Spandau

Theater auf dem Schiff

An diesem Schiff kommt wohl keiner vorbei, zu einladend und mächtig sieht es aus. 67 Meter lang, acht Meter breit liegt es am Kai in Spandau.

Am vergangenen Montagabend war der Andrang groß – da wurde das Jüdische Theaterschiff MS Goldberg mit der Uraufführung von Armin Petras’ Der Sänger nach dem gleichnamigen Roman von Lukas Hartmann über das tragische Schicksal des berühmten Tenors Joseph Schmidt eingeweiht.

PERFORMANCE Schmidt starb 1942 als jüdischer Flüchtling in der Schweiz an einer Herzerkrankung, die von Ärzten ignoriert wurde. Zentrale Stationen seines Lebens wurden in knapp 80 Minuten in einer szenisch-musikalischen Performance packend präsentiert.

Die Schauspieler Ferdinand Lehmann, Christian Freund und die Schauspielerin Laila Abdullah, die jeweils mehrere Rollen übernahmen, sorgten für Erschauern, wenn es um den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 und um Flucht und Verfolgung während des Zweiten Weltkriegs geht – in der Zeit des Ukraine-Kriegs wirkt das Stück an vielen Stellen beklemmend aktuell –, aber auch für befreiende Lacher, etwa über einen wichtigtuerischen Schweizer Grenzbeamten, der Joseph Schmidt die Einreise verweigert.

Die Stimme des Sängers erklingt nur zum Schluss mit dem berühmten Song »Ein Lied geht um die Welt«. Eine konsequente Entscheidung – wer mehr von Joseph Schmidt hören möchte, kann dies auf der MS Goldberg nachholen, wenn der gleichnamige Kinofilm von 1933 dort am 30. und 31. Mai gezeigt wird.

premiere Zur Premiere von Der Sänger am Montag kamen unter anderen Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die die Theaterschiff-Macher und das Publikum begrüßte, sowie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Ein gelungener Auftakt, fast alle 190 Plätze im ehemaligen Laderaum der MS Goldberg waren besetzt. Einziger Kritikpunkt: Die Belüftung des Saals müsste bis zum Sommer verbessert werden.

Es werden mehrere Aufführungen, Kammerkonzerte, Lesungen, eine Talk­runde und Filmvorführungen folgen. Jeden Tag gibt es mindestens eine Veranstaltung. Hinter dem Konzept steht der Verein »Discover Jewish Europe«, dem jüdische und nichtjüdische Künstlerinnen und Künstler angehören.

Am Sonntagmorgen, einen Tag vor der Premiere, steht Intendant Peter Sauerbaum an der Reling und wird von Passanten befragt. »Was für ein Schiff ist das?«, »Was wird gespielt?«, »Können wir ein Programm bekommen?«. Der Intendant beantwortet alles geduldig und sieht dabei zufrieden aus. Während die anderen Interessierten draußen bleiben müssen, hat die Jüdische Allgemeine die Möglichkeit, sich einen Tag vor der Premiere auf dem ehemaligen Frachter umzuschauen. Bei der Aufführungsstätte handelt es sich um ein 1964 in der VEB Elbewerft Boizenburg gebautes sogenanntes Motorgüterschiff.

THEATERSAAL »Schauen Sie, hier kommt das Bistro hin, was leider noch nicht fertig ist«, sagt Peter Sauerbaum. Der Raum ist in silbriges Alu gehüllt, weiter sind sie noch nicht gekommen, auch weil 50.000 Euro dafür fehlen. Dort, wo das Bistro geplant wird, begann einst der frühere Ladebereich, der allein schon 50 Meter lang war. Ein paar Stufen führen in den Vorraum hinauf, wo sich auch die Toiletten befinden. Es duftet nach frischem Holz.

Dann geht es in den Theatersaal, ebenfalls noch im Bereich des ehemaligen Frachtteils des Schiffes. Am Ende des Raums steht ein Konzertflügel, Requisiten liegen auf dem Boden. Wer bei der Aufführung einen Fensterplatz ergattert, kann gleichzeitig einen Blick auf die Havel werfen. Die blauen Stühle mit den gelben Punkten stammen von der Kammeroper Schloss Rheinsberg. Sie sind ausgeliehen.

Die MS Goldberg liegt fest vertäut am Spandauer Kai.

Von draußen dringen Stimmen ins Schiffsinnere. Peter Sauerbaum steht von seinem Stuhl auf, um die paar Meter zur Reling zu gehen, wo neugierige Passanten stehen. Die Programmhefte sind leider gerade vergriffen, aber alle Infos stehen auch auf der Homepage, teilt er ihnen mit.

schiffsbauch Weiter geht es mit der Führung durch den Schiffsbauch. Geht man am Flügel vorbei, befinden sich dahinter die Toiletten und Garderoben für die Künstler. Dort, wo jetzt die Damengarderobe ist, war früher die Kajüte des Kapitäns. Wo einst seine Badewanne stand, ist nun der Bereich für die Herren. »Die Goldberg wackelt noch nicht einmal, wenn ein anderes Schiff vorbeikommt«, sagt Peter Sauerbaum zufrieden.

»Sie liegt sicher und fest, dank der vier Leinen«, ergänzt der jetzige Schiffsführer und Bootsmann Artur Tuszynski. Unterhalb der Garderoben befindet sich der Maschinenraum. »Der Motor kann bei guter Pflege 100 Jahre alt werden«, meint Sauerbaum.

Eine Million Euro hat der Umbau der Goldberg gekostet, der mehr als sechs Monate dauerte und von der Stiftung der Deutschen Klassenlotterie finanziert wurde. 200.000 Euro kamen als Kaufsumme noch hinzu. »Wir wollen mit unseren Veranstaltungen das Herz berühren, informieren und exzellent unterhalten«, hofft Sauerbaum.

Denn sie würden in talmudischer Manier auf Austausch, wechselseitige Inspiration und die gegenseitige Akzeptanz auch von Minderheiten setzen. »Dies verstehen wir als wichtigen Beitrag gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.«

TEAM Das Goldberg-Team besteht aus fast 20 Mitgliedern, darunter auch die RBB-Moderatorin Shelly Kupferberg, Geigerin Liv Migdal, Pianist und Komponist Max Doehlemann sowie der Literaturwissenschaftler Wolfgang Trautwein.

Das Programm soll das jüdische Leben in Geschichte und Gegenwart abbilden – und es soll »Perspektiven für uns Juden bieten«. Auch Gottesdienste sollen unter Leitung von Rabbiner Walter Rothschild gefeiert und Schabbat-Dinner angeboten werden.

Und seit Mittwoch verweist auch ein 20 Meter langes Schild auf die künftige Aufgabe der MS Goldberg als »Jüdisches Theaterschiff«. »Dann werden wahrscheinlich noch mehr Leute stehen bleiben und Nachfragen haben«, vermutet Sauerbaum. Sein Handy klingelt. Artur Tuszynski, nur wenige Meter vom Schiff entfernt, verkündet, dass die restlichen Stühle gerade geliefert werden.

Wenige Minuten später kommen der Bootsführer und der technische Direktor Klaus Wichmann mit einem Stapel Stühle an. Eine Frau schaut sich unterdessen interessiert die Goldberg an und fotografiert sie. Sie möchte mehr wissen. Peter Sauerbaum stellt das Projekt vor und ist erfreut, dass auch neue Programmhefte geliefert wurden. Er reicht ihr eines davon.

GENEHMIGUNG Die Anlegestelle ist nun erst einmal nach einigen bürokratischen Querelen bis zum 31. Mai genehmigt. »Eigentlich hätten wir am Lindenufer 12 beim Gedenkstein den perfekten Platz gehabt, aber das ist der Parkplatz für die Schleuse«, sagt Sauerbaum, der auch als Leiter des Choriner Musiksommers amtiert.

Nun liegt die MS Goldberg bis mindestens Ende Juli planmäßig an ihrem Heimathafen Havelufer an der Dischinger Brücke. Auf dem Programm in Spandau stehen ab Mitte Juni auch Vorführungen des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg (jfbb). Doch könnte das Schiff, so Sauerbaum, in Zukunft unterwegs sein und Kultur an verschiedene Orte bringen: »Auch wir sind gespannt und können uns vorstellen, dass unsere mobile Bühne zugleich einen Raum schafft, der je nach Ankerort neue Sichtweisen eröffnet.«

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