Portrait der Woche

Städte, die bleiben

»Vielleicht bin ich nicht mehr ganz so witzig wie früher, aber es geht schon«: Josef L. Ronel (85) aus München Foto: Lydia Bergida

Meine Bilder sind mir wichtig. Ich habe in ihnen Orte und Momente festgehalten, die mich angesprochen, die mir gefallen haben. Und dabei musste ich gar nicht wirklich »vor Ort« gewesen sein, ich musste diese besonderen Momente gar nicht wirklich miterlebt haben. Fotos, Berichte, eine Filmsequenz reichten mir. Es tut mir heute gut, dass mich meine Aquarelle in unserer Wohnung umgeben.

Sie hängen dicht an dicht, machen den Blick frei auf Straßenschluchten, Ecken von Großstädten, gerne bei Nacht, New York, Venedig, Paris und natürlich immer wieder München. Technische Gebäude gefallen mir, Raffinerien und Fördertürme im Ruhrgebiet, die Stellwerkhäuschen zwischen den Gleisen, die schmiedeeiserne Hackerbrücke kurz vor dem Münchner Hauptbahnhof.

Meine Familie war sefardisch, meine Eltern, meine Großmutter haben neben Bulgarisch noch Ladino gesprochen.

Gemalt habe ich vor allem zwischen den 70er- und 90er-Jahren. Dass ich dafür ein gewisses Talent hatte, das ahnte ich schon früher. Als Junge malte ich mal die Vereinigten Staaten: eine große Landkarte mit allen Staaten darauf, und irgendwo wehte auch noch die amerikanische Fahne. Daran erinnere ich mich noch ziemlich genau, und bis heute bin ich ein Fan dieses großen Landes, mag die alten Hollywood­filme, liebe die Bücher von Hemingway, Jack London. Umso schlimmer, was dieser Präsident da jetzt gerade mit Amerika treibt.

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Jedenfalls hatte ich den Pinsel nach dem Landkarten-Jugendwerk erst mal wieder zur Seite gelegt. Dass ich Jahre später das Malen wieder aufnahm, hatte wahrscheinlich auch mit meinem Beruf zu tun. 1963 hatte ich an der Münchner Technischen Universität, damals hieß sie noch Technische Hochschule, einen Studienplatz bekommen, was mich sehr stolz und zufrieden machte und was bedeutete, dass ich Israel verlassen und sozusagen peu à peu zu einem zugereisten Münchner werden würde. »Mach’ ich meinen Weg eben in Deutschland«, dachte ich mir, vor allem, nachdem ich in Haifa am Technion abgelehnt worden war.

Und ich habe meinen Weg gemacht, hatte Glück mit der Aufnahmeprüfung – ich musste, was mir sehr lag, ein paar Holzbretter zeichnen – und hatte noch einmal mehr Glück mit meiner zukünftigen Frau, die ich hier in München auf einem Chanukkaball kennenlernen durfte. Fast lustig ist, dass Karen, die an der Uni Biologie studierte, ebenfalls aus Israel, aus Tel Aviv, nach München gekommen war. Aber es brauchte diesen Ball, um sie zu treffen. Wir hatten da beide im feinen Bayerischen Hof Studentenkarten ergattert, die uns erlaubten, ganz oben – nicht zu sitzen, sondern zu stehen. Aber es hat sich gelohnt!

Es tut mir gut, dass mich meine Aquarelle umgeben.

Im Gegensatz zu mir stammt Karen aus einer deutschen, hoch angesehenen Berliner Familie, die Gott sei Dank 1932 nach Palästina ausgewandert ist. Karens Vater, Walter Hoppe, Psychiater und Nervenarzt, hatte großen Einfluss auf mich, diesen »Bauernjungen«. Er bestärkte mich darin, in Deutschland zu bleiben, »weil die Deutschen andere geworden« seien.

Karens Großvater, Hugo Hoppe, ebenfalls ein namhafter Arzt, hatte zum Ärger der Brauereien ein wichtiges Buch über die Gefahren des Alkohols geschrieben. Er weigerte sich zu konvertieren, um an eine Chefarztstelle an einem Berliner Krankenhaus zu kommen. »Nein«, hat er gesagt, wurde Zionist und nahm am ersten Zionistenkongress in Basel teil.

Der kleine Jossi dagegen stammt aus Bulgarien, wurde 1939 in Plovdiv geboren, und Gott sei Dank sind wir nicht in Auschwitz gelandet. Dabei standen wir schon an der Sammelstelle, von der aus die Menschen deportiert werden sollten. Aber dann wurden wir wieder nach Hause geschickt. Es war ein Wunder! Boris III., der bulgarische Zar, und einige bulgarische Politiker, aber auch die Kirche und Menschen aus der Bevölkerung hatten interveniert.

Und deshalb lebe ich! Meine Familie ist dann aber doch schnell nach dem Zweiten Weltkrieg nach Eretz Israel gegangen. 1948. Mein älterer Bruder war da bereits dort. Der hatte Jugend-Alija gemacht. Ich war, als wir in Israel ankamen, gerade einmal neun oder zehn Jahre alt und fand natürlich alles aufregend und neu, aber auch ein wenig beunruhigend. Der Staat war im Entstehen, der Unabhängigkeitskrieg gegen die arabische Allianz noch nicht beendet.

Wir bekamen eine Wohnung im damals noch arabischen Jaffo zugeteilt, in einem der Häuser, in denen zuvor arabische Familien gelebt hatten. Und aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass ich das als ein Unrecht empfinde. Wir sind dann aber auch recht schnell weiter nach Tel Aviv gezogen. Der kleine Jossi musste erst einmal die hebräische Sprache lernen, etwas, das ihm nicht leichtfiel.

Über zwei Jahre lang diente ich als Soldat in der Golani-Brigade.

Meine Familie war sefardisch, meine Eltern, meine Großmutter haben neben Bulgarisch noch Ladino gesprochen, eine Sprache, die ich bis heute beherrsche, worauf ich natürlich auch ein bisschen stolz bin. In Israel geriet ich dann ausgerechnet an so einen bösartigen Lehrer, der mir immer und immer wieder sagte, dass ich keine Aufsätze schreiben könne, und der mich immer und immer wieder durchfallen ließ. Na ja. Irgendwie habe ich es dann geschafft, und weiter ging’s.

Natürlich war ich als junger Mann beim Militär. Über zwei Jahre lang diente ich als Soldat in der Golani-Brigade. Ich habe in dieser Einheit für mein Land gekämpft, bis mich dann der Studienplatz nach Deutschland rief. Wir Israelis in München fühlten uns anfänglich in der dortigen jüdischen Community eher fremd. Auch Karen empfand das so. Zwar beteiligten wir uns als junge Leute an einigem, waren Madrichim, besuchten mit den anderen den Maon Hanoar, den Jugendklub. Aber irgendetwas entsprach uns nicht.

Ich denke, das Münchner jüdische Leben nach dem Krieg ist damals vor allem von den osteuropäischen Überlebenden aus den DP-Lagern geprägt gewesen, was man ja auch verstehen kann. Uns war auch nicht alles klar, was sich so in der Gemeinde abspielte. Wir zogen uns zurück und traten schließlich sogar aus. Jedenfalls hat mir Hans Lamm, der bis 1985 Präsident der Münchner Kultusgemeinde gewesen ist und den alle – auch wir – sehr mochten, 1982 eine wunderbare Ausstellung meiner Gemälde mit dem Titel »Stadtlandschaften in Ost und West« ermöglicht. Er hat gesagt: »Diese Bilder musst du zeigen.« Die Ausstellungsräume waren in der Gemeinde in der Reichenbachstraße, der Münchner Kulturreferent Jürgen Kolbe hielt die Einführungsrede, und viele begeisterten sich für meine Kunst, was auch bedeutete, dass ich in der Folgezeit einiges verkaufen konnte.

Wir haben zwei wunderbare Enkelsöhne.

Inzwischen war ich Vater von zwei Jungs, Joram und Daniel, arbeitete zunächst als »Freier« in verschiedenen, auch namhaften Architekturbüros und bin schließlich als Festangestellter bei der Firma Linde gelandet, die groß in der Sparte Kältetechnik und Herstellung von technischen Gasen ist. Als Architekt war ich für die technischen Gebäude zuständig, Messwarten und so weiter. Und was mir noch einfällt: Als Student im Praktikum habe ich beim Betonmischen für den Münchner Fernsehturm mitgewirkt. Und der steht heute noch!

Blöde Bemerkungen bleiben halt in einem Leben, wenn die Leute wissen, dass jemand Jude oder Israeli ist, nicht aus. Einmal hatte ich einem Kollegen bei Linde Fotos vom verschneiten Jerusalem gezeigt, und da sagt der doch: »Ihr wart die Leute, die Jesus ermordet haben.« So etwas macht mich traurig.

Aber runterziehen lass’ ich mich davon nicht. In den Archiven von Linde hatte ich auch alte Aufnahmen vom Firmengebäude gesehen, und da hingen selbstverständlich unter Hitler aus den Fenstern die Nazi-Fahnen. So ist das eben. Traurig und sehr aufgeregt haben mich die Ereignisse vom 7. Oktober 2023 gemacht. Ich war so wütend, auf ganzer Linie hat das Militär dort versagt, und wie schlimm ist dieser Krieg jetzt.

Außerdem ist es alles andere als leicht, alt zu sein. Vor zwei, drei Jahren hatte ich einen leichten Schlaganfall, ich kümmere mich um Karen, die nicht mehr sehr gut gehen kann. Trotzdem muss ich sagen, dass ich meine gute Laune nicht verloren habe. Vielleicht bin ich nicht mehr ganz so witzig wie früher, aber es geht schon. Dani schaut nach uns, bringt uns alles vorbei, was wir brauchen. Wir haben zwei wunderbare Enkelsöhne. In die Gemeinde sind wir auch wieder eingetreten. Wir haben diese schöne Wohnung mit dem großen Balkon. Die Vögel zwitschern, und meine Bilder umgeben mich.

Aufgezeichnet von Katrin Diehl

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