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Sport verbindet

»Es bedarf permanenter Impulse, um eine positive Wechselwirkung von Sport und Gesellschaft zu fördern«: Luis Engelhardt Foto: Piero Chiussi

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Sport verbindet

Ein jüdischer Beitrag aus der neuesten Veröffentlichung des Zentralratsprojekts »Schalom Aleikum«

von Luis Engelhardt  28.06.2021 14:54 Uhr

Mit 15 Jahren war ich vollkommen neu beim jüdischen Sportverein TuS Makkabi Frankfurt, doch wirklich neu hat es sich gar nicht angefühlt. Eher familiär, geborgen und natürlich aufgeschlossen. Aufgeschlossen nicht nur mir gegenüber, sondern allen, die sich für den Verein, die unterschiedlichen Sportarten oder auch nur das Miteinander interessieren – aus meiner Sicht ist es bei Makkabi egal, woher man kommt, wie man aussieht, woran man glaubt oder wen man liebt.

Makkabi hat mir damals schon gezeigt, wofür der Verein steht: Der Sport bringt Menschen zusammen, die sich sonst nie begegnen würden, und darin liegt eine riesengroße Chance! Um diese zu ergreifen, müssen wir uns bewusst machen, dass niemand frei von stereotypem Denken ist und wir uns stetig fortentwickeln müssen. Trotz der interkulturellen Offenheit von Makkabi habe ich auf dem Spielfeld seit jeher Antisemitismus und Rassismus erlebt.

Damit nicht nur die Personen, sondern auch die Organisationsstruktur des Sports lernen und antisemitische wie auch alle anderen ausgrenzenden, diskriminierenden Tendenzen an der Wurzel bekämpfen können, setze ich mich für eine gelingende pädagogische Präventionsarbeit ein. Der Sport ist in jedem Fall ein gestaltungsbedürftiges Lernfeld.

Im Sport lassen sich gut gesellschaftliche Projekte integrieren.

Als Sozial- und Erziehungswissenschaftler mit engen persönlichen Verbindungen zur jüdischen Gemeinde, einer großen Leidenschaft für den Fußball und vielschichtigen pädagogischen Praxiserfahrungen habe ich in den letzten Jahren meine Berufung in der Planung und Durchführung gesellschaftspolitischer Projekte im Handlungsfeld Sport gefunden. Mit dem Projekt »Zusammen1 – Für das, was uns verbindet« haben wir uns bei Makkabi Deutschland e.V. in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland die Aufgabe gestellt, politische Bildung im und durch Sport zu realisieren.

Wechselwirkung Der Sport transportiert Werte. Jedoch bedarf es permanenter Impulse, um eine positive Wechselwirkung von Sport und Gesellschaft zu fördern. Bildung, Integration und Demokratie sind keine Automatismen. Im Sport offenbaren sich alle Dimensionen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung – auch die mühsamen. Sport ist kein Selbstläufer, ebenso wenig wie Integration in (sportbezogen) und durch (soziale Teilhabe) den Sport.

Eine weitere großartige Chance für das Gelingen pädagogischer und bildungspolitischer Präventionsarbeit im Handlungsfeld Sport lautet: Alle müssen denselben Regel- und Wertekanon akzeptieren, sonst ist organisierter Sport nicht möglich. Das Bildungspotenzial des Sports ist ganz einfach: Mit der notwendigen Zuwendung, ehrlicher Aufmerksamkeit und einer gewissen Aufbruchstimmung kann im Sport jede Menge erreicht werden. Sowohl in Bezug auf einzelne Sporttreibende oder Sportgruppen als auch mit Blick auf die gesamte Struktur des organisierten Sports.

Das gesamtgesellschaftliche Problem antisemitischer Grundhaltungen offenbart sich insbesondere im »Brennglas Sport« immer wieder in verbaler, visueller oder physischer Diskriminierung. Vor allem im Kontext des Fußballs werden diskriminierende Verhaltensweisen teils widerspruchslos geduldet, gar nicht erst erkannt oder nicht an die vorhandenen Meldestellen übermittelt. Diesen nicht länger hinnehmbaren Zustand adressiert das Modellprojekt »Zusammen1 – Für das, was uns verbindet«, welches im Rahmen der Bundesinitiative »Demokratie Leben« des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert wird.

Nachhaltigkeit Um nachhaltig gegen Antisemitismus im Sport vorzugehen, arbeiten wir an der Umsetzung von drei Projektsäulen mit den Namen: Verstehen – Vermitteln – Verändern. Das Verstehen beinhaltet empirische Sozialforschung, um durch wissenschaftliche Studien, Gruppendiskussionen und ausgereifte Spielbeobachtungen Antisemitismus sichtbar zu machen. Nicht zuletzt aufgrund unausgereifter Reportingstrukturen im organisierten Sport ist uns noch viel zu wenig bekannt über die Ausmaße des Problemfeldes. Darauf aufbauend können wir im Vermitteln-Teil des Projekts durch Schulungen, (Online-)Kurse und vor allem pädagogisches Training auf dem Platz sensibilisieren und wirksame Handlungsoptionen aufzeigen. Für uns ist es wichtig, innovative Methoden zu entwickeln, die so nah wie möglich an der Lebenswelt unserer Zielgruppen ansetzen. Ein komplexes Unterfangen mit Blick auf die Vielschichtigkeit unserer Adressat:innen: Spieler:innen, Trainer:innen, Vereinsvorstände, Schiedsrichter:innen, Sportgerichte, Verbände und natürlich Fans.

Im letzten Teil des Projekts, also dem Verändern, wollen wir nachhaltige Regelstrukturen etablieren, indem wir Kooperationen schmieden und ein breites Netzwerk aufbauen, das gemeinsam und entschieden gegen Antisemitismus und alle anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im Sport und ganz besonders im Fußball einsteht.

Sportvereine sind als non-formale Bildungsstätte gefragt, einen Ort zur Reflexion unterschiedlicher Perspektiven darzustellen und sich solidarisch für die Förderung von Vielfalt einzusetzen. Vereine und insbesondere Jugendtrainer:innen leisten einen wichtigen Beitrag in der Erziehung, wobei der Persönlichkeitsentwicklung und Vermittlung von Demokratieverständnis eine ganz besondere Bedeutung zukommt.

Dialog Bei Makkabi wird der interkulturelle und interreligiöse Dialog gelebt. Antisemitismus, Rassismus und jeglicher Diskriminierung zu trotzen, ist für viele ein wesentlicher Beweggrund für die Vereinsmitgliedschaft. Als Projekt von Makkabi Deutschland liegt unser Fokus auf der Antisemitismusprävention. Doch uns ist bewusst, dass wir hier nur Fortschritte machen können, wenn wir die Perspektiven der Betroffenen aller unterschiedlichen, vielschichtigen und sich teilweise überlagernden Diskriminierungsformen berücksichtigen. Denn: Wenn wir über Antisemitismus sprechen wollen, müssen wir auch über Rassismus sprechen, über Antiziganismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Homophobie und alle anderen »Ismen«.

Die Chance des jüdisch-muslimischen Dialogs liegt darin, aufzuzeigen, dass beides möglich ist: zum Beispiel muslimischen Glaubens zu sein und dennoch beim jüdischen Sportverein Makkabi zu spielen – oder natürlich andersherum. Mit gutem Beispiel für gelebte Vielfalt, Toleranz und Verbundenheit voranzugehen. Denn: Das alltägliche und selbstverständliche Miteinander ist der Schlüssel für eine nachhaltige Bewusstseinsänderung. Wenn wir auf dem Platz mit muslimischen Jugendlichen arbeiten, bedeutet das für uns, zunächst über ihre Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, um sie im nächsten Schritt auch für die Perspektive der Betroffenen von Antisemitismus zu sensibilisieren.

Im Sport können wir vor allem junge Menschen in ihrer Alltagswelt (einem freiwilligen Setting im Gegensatz zum verpflichtenden Schulkontext) erreichen und im Dialog Perspektiven aufzeigen, die ihnen sonst sehr wahrscheinlich weitestgehend verborgen bleiben würden. Durch eine interne (Vereinskultur) und externe (Wettkampf) Begegnung und das dabei entstehende Miteinander können im Sport Vorurteile niedrigschwellig und oftmals unbewusst abgebaut werden. Die Vision des deutsch-jüdischen Fußballpioniers Walther Bensemann – Urvater der »Länderspiele«, Mitbegründer etlicher deutscher Fußballvereine, des Deutschen Fußball-Bundes sowie des Kicker-Fußballmagazins – hat an Aktualität nie eingebüßt. Ganz im Gegenteil:

»Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen.« Walther Bensemann, deutscher Jude und Wegbereiter des deutschen Fußballs (1873–1934).

Der Autor ist Projektleiter »Zusammen1 – Für das, was uns verbindet« bei Makkabi Deutschland.

Schalom Aleikum, Buchreihe, Band IV: »Goodbye Hate! Bildungsakteurinnen und -akteure gegen Antisemitismus«, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig, 2021

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