Buchvorstellung

Spätes Sprechen

Ich bin gerührt über dieses Foto meines Vaters. Und dass es auf dem Cover unseres Buches zu sehen ist.» Anita Haviv-Horiner, in Netanja lebende Bildungsexpertin, die sich seit 30 Jahren im israelisch-österreichisch-deutschen Kulturaustausch engagiert, war extra zur Buchvorstellung in die Kölner Stadtbibliothek gekommen.

Nachkommen von Verfolgten des Nationalsozialismus heißt der vorgestellte Sammelband mit den Ergebnissen einer Konferenz zum Thema, die im Juni 2015 in Berlin stattfand, und in dem die Mitfünfzigerin mit einem autobiografischen Beitrag vertreten ist. «Israel ist meine Heimat, aber doch nicht ganz», betont sie. Das Leben in Israel bleibe eine Achterbahn, sei nicht einfach, aber sie werde gewiss immer in Israel bleiben, sagt Haviv-Horiner.

Ihre Eltern – Überlebende der Schoa – lebten aus praktischen Gründen in Österreich, obwohl ihr Vater dort nur in dem kleinen Kreis von Schoa-Überlebenden verkehrte und sich dem Land nicht zugehörig fühlte. «Er hasste die meisten Österreicher seiner Generation», erzählt die Tochter. Die Mutter hingegen habe sich als Österreicherin gefühlt. Sie gelangte 1956 auf abenteuerlichen Wegen aus Ungarn nach Österreich und blieb der österreichischen Demokratie für den erlebten Schutz dankbar.

Israel Anita Haviv-Horiner erinnert sich, wie ihr Vater sie immer wieder mit ins Kaffeehaus genommen hat, zu den Gesprächen mit seinen Freunden, den Überlebenden. «Häufig sogar während der Schulzeit. Meine Mutter war ziemlich aufgebracht, als sie das mitbekam.» Als Haviv-Horiner 19 Jahre alt war, stand für sie fest: «Ich gehe nach Israel. Israel wird meine neue Heimat.» Dennoch empfinde sie auch heute noch eine gewisse Heimatlosigkeit. Ihre Kinder hingegen seien überzeugte Israelis, für sie sei nur ein Leben dort vorstellbar. Über sich selbst sagt Anita Haviv-Horiner, sie sei nun zur Brückenbauerin zu ihrer früheren Heimat geworden.

Die Folgen der Schoa – auch für die zweite Generation der Überlebenden – sind Themen des von der Organisation Information & Beratung für NS-Verfolgte herausgegebenen Bandes. Die Publikation greift erstmals das Thema aus den unterschiedlichen Perspektiven verschiedener Opfergruppen auf. Kooperationspartner ist die Germania Judaica – Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums. An diesem Abend standen die komplexen, durch die Schoa ausgelösten Traumata und insbesondere die Möglichkeiten ihrer konstruktiven Lösung im Mittelpunkt. Haviv-Horiners Vater war seinerzeit an den Folgen der Traumatisierung zerbrochen.

Homosexualität Der Kölner Schauspieler Claus Vinçon, bekannt geworden als Georg Eschweiler in der ARD-Serie Lindenstraße, las aus dem Beitrag von Petra Hörig vor. Ihr Vater war wegen seiner Homosexualität in ein Konzentrationslager verbracht worden. Er gründete zwar noch eine Familie, nahm sich aber dennoch Jahre später das Leben. Der Eichmann-Prozess hatte die erlittenen Traumatisierungen in ihm wieder wachgerufen. Ein Sprechen über seine Verletzungen war ihm nie möglich.

Der Arzt und Psychologe Alexander Bakalejnik, 1961 in der Sowjetunion geboren und selbst Angehöriger der zweiten Generation, vermittelte einen Überblick von der in seiner früheren Heimat vorherrschende Tabuisierung der Schoa-Erfahrungen.

Im Austausch mit den knapp 60 interessierten Zuhörern, darunter mehreren Psychotherapeuten, beschrieb er die Möglichkeiten, konkrete Hilfsangebote für die schweren Belastungen zu bieten, die heute viele in Deutschland lebende Kinder und Enkel der Überlebenden verspüren. Wichtig sei es, die seelischen Ressourcen wahrzunehmen, über die die meisten Menschen verfügen. Aber auch das Schweigen über das Erlittene, über das innerfamiliär Weitergegebene, sei in vielen Fällen eine gesunde Form des Weiterlebens, betonte Bakalejnik.

Gedenken

Neues Denkmal für jüdische Häftlinge in Gedenkstätte Ravensbrück

Etwa 20.000 Jüdinnen und Juden sind im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg inhaftiert gewesen. Die heutige Gedenkstätte hat nun ein neues Denkmal enthüllt - im Beisein von Überlebenden

von Daniel Zander  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 06.11.2025 Aktualisiert

Reaktionen

Zohran Mamdanis Sieg spaltet die jüdische Gemeinschaft

Während ein Drittel der New Yorker Juden den neuen Bürgermeister gewählt hat, haben andere Angst, dass dessen Antizionismus ihre Sicherheit gefährdet

 06.11.2025

Hamburg

Viel mehr als Klezmer

In der Hansestadt haben die zweiten Jüdischen Kulturtage begonnen. Bis Mitte Dezember erwartet die Besucher ein breit gefächertes Programm – inklusive einer jiddisch-hebräischen Oper

von Heike Linde-Lembke  06.11.2025

Düsseldorf

»Eine Stimme, wo andere schwiegen«

Die Gemeinde zeichnet Wolfgang Rolshoven mit der Josef-Neuberger-Medaille aus

von Stefan Laurin  06.11.2025

Berlin

Andacht für Margot Friedländer: »Du lebst weiter«

Sie war Holocaustüberlebende, Berliner Ehrenbürgerin und eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Gestern wäre Margot Friedländer 104 Jahre alt geworden. An ihrem Grab erinnern Freunde und Bekannte an sie

von Andreas Heimann  06.11.2025

Laudatio

»Wie hält man so etwas aus?«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hielt die Laudatio auf Karoline Preisler anlässlich der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises in Berlin. Eine Dokumentation

von Julia Klöckner  05.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Berlin

Davidstern-Gemälde an East Side Gallery beschmiert

Der Tatverdächtige konnte gefasst werden. Bei der Begehung seines Wohnhauses fand die Polizei mehrere Hakenkreuze

 05.11.2025