Veteranen

So sehen Sieger aus

Stolz auf ihre Orden: In der Gemeinde und für Jugendliche sind Semen Maydanyk (l.) und Schimmel Fuks wichtige Zeitzeugen. Foto: Alexandra Umbach

Für das Erinnerungsfoto geben sie sich militärisch: Ihre Hände sind angelegt, die Brust ist mit Orden behangen, manche tragen sogar eine Pilotka, die Dienstmütze der Roten Armee. So präsentieren sie sich gern, wenn sie alljährlich nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern auch den des Großen Vaterländischen Krieges feiern, wie er in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion genannt wird. Wer damals schon auf der Welt war, wird dann geehrt, bekommt Blumen oder Pralinen. Sie sind Veteranen, Holocaust-Überlebende, und sie genießen großen Respekt.

In Gelsenkirchen kamen 14 von ihnen zusammen. »Eigentlich haben wir 16, aber zwei sind schon zu alt«, sagt die Gemeindevorsitzende Judith Neuwald-Tasbach. 2005 waren es noch mehr als 40 Veteranen, die geehrt wurden. »Für uns ist das etwas sehr Besonderes, dass wir an diesem Tag mit den Menschen feiern, denn sie haben viel für uns getan. Sie haben dazu beigetragen, dass Deutschland befreit wird«, erzählt Neuwald-Tasbach.

Mut Doch sei das längst nicht alles, denn schließlich würden sie nun in diesem Land leben. »Sie haben gegen Deutschland gekämpft, aber sie hatten auch den Mut, nach Deutschland zu kommen, sich hier niederzulassen und die Hand zur Versöhnung zu reichen.« Diese Menschen sind kein Denkmal, das irgendwo herumsteht. Sie sind ein Beispiel für Mut, damals wie heute.«

Einer von ihnen ist Schimmel Fuks. Bei der großen Feier am 8. Mai verzichtete er auf alte Orden und das Schiffchen auf dem Kopf. Nur eine kleine Schleife heftete er sich ans Hemd. Trotzdem sagt er überzeugt: »Für mich ist dieser Tag der wichtigste Feiertag.« Über die Sowjetunion und die Kommunisten möchte er lieber nicht sprechen. Seine nach unten gezogenen Mundwinkel und die abfällige Handbewegung machen seine Position deutlich. »Aber diesen Tag feiere ich trotzdem gern.«

Als der Krieg seine Heimat erreichte, war er elf Jahre alt. »Was soll ich in dem Alter mitbekommen haben?« Der heute 81-Jährige gibt sich stark und trotzig, doch dann fängt er an zu erzählen. Seine Familie habe in der Nähe von Kiew gelebt, Fuks und seine Verwandten mussten mit einem Pferdewagen fliehen, mehr als 500 Kilometer legten sie so zurück. Weiter ging es mit dem Zug. »Wir fuhren und fuhren und fuhren«, bis nach Usbekistan. Im Juni 1945 kam er zurück in die Ukraine. »Da waren mein Opa, Onkel, meine Schwester schon gestorben. Mir ist nur meine Mutter geblieben.« Der Vater saß in Kriegsgefangenschaft.

Hilfsbereitschaft Doch diese Zeit hat Schimmel Fuks überwunden. »Ich habe keine einzige Minute an diese Dinge gedacht, als wir uns 1996 dazu entschlossen haben, nach Deutschland zu kommen«, sagt er entschieden. Und die Deutschen hätten ihm auch keinen Anlass dazu gegeben. »Wir waren gerade zwei Tage in unserer Wohnung, da kam schon ein Nachbar und hat gefragt, was wir brauchen und wie er uns helfen kann.« Er habe nie gegrollt, betont Fuks. Zwar freut er sich noch, wenn in seinem Haus Russisch gesprochen wird, aber manchmal spricht er dort selbst auch Deutsch. »Denn der Sohn meiner Enkelin ist Deutscher. Kein Russland-Deutscher, ein echter«, sagt er lachend. »Er interessiert sich auch für meine Geschichten. Aber wenn ich dann erzähle, sagt meine Enkelin immer: ›Ach Opa, lass das doch.‹«

Biografien Fünf Jahre nach Schimmel Fuks kam Semen Maydanyk nach Deutschland. Und auch er erzählt noch mit strahlenden Augen, wie er aufgenommen wurde. »Wir kamen in Regensburg an, es regnete schrecklich. Meine Frau und ich wollten zur jüdischen Gemeinde, wurden aber furchtbar nass.« Doch eine Regensburgerin habe sie in ihr Haus geholt, ihnen Tee gegeben und sie später zur Gemeinde gebracht. »Alle waren freundlich zu uns. Soll ich da etwa Rachegefühle haben? Ganz im Gegenteil!« Was Semen Maydanyk durchgemacht hat – sein Vater starb an der Front, seine Tante und ihre Kinder wurden ermordet, er floh aus der Ukraine über Perm nach Kasachstan – verarbeitet er in Gedichten. Fünf Bücher mit seinen Werken sind bereits erschienen, darin steckt seine gesamte Biografie, eine außergewöhnliche Dokumentation.

Die hat auch Inessa Lukach in ihrem Schrank. Die Dresdnerin leitet den Treffpunkt für Holocaust-Überlebende der Gemeinde und arbeitete vier Jahre lang an den Biografien der ältesten Gemeindemitglieder. 217 Lebensgeschichten wurden aufgeschrieben. »Und besonders schön ist, dass manche von ihnen von den jüngeren Gemeindemitgliedern übersetzt wurden«, sagt Lukach. So wird die Erinnerung lebendig gehalten und an die nächsten Generationen weitergegeben.

Das passiert auch durch die Zusammenarbeit mit Schulen. Dann sitzen Jugendliche in der Gemeinde und hören sich Vorträge der Zeitzeugen an. 235 Mitglieder der Dresdner Gemeinde sind älter als 70 Jahre, 207 zählen zu den Holocaust-Überlebenden. Zur Feier anlässlich des Kriegsendes kamen rund 130 Mitglieder, den Veteranen wurden Blumen überreicht, es wurden Kränze niedergelegt und der Opfer gedacht.

Begriffsbesstimmung Aus der Erfurter Gemeinde dringen zum Jahrestag des Kriegsendes kritische Töne, auch wenn dort selbstverständlich gefeiert wurde. Aber: »Für mich ist jemand, der 1944 geboren wurde, kein Veteran«, betont Wolfgang Nossen. Tatsächlich gegen die Deutschen gekämpft habe in der Gemeinde nur ein Mitglied, erklärt der Gemeindevorsitzende. Doch seien es immer mehr geworden, »die die Brust voll mit Medaillen haben«.

Schuld daran hätte zum Beispiel das russische Generalkonsulat, das entscheiden würde, wer als Veteran geführt wird. Nossen fordert eine klare Unterscheidung zwischen Opfern und Veteranen. »Ein echter Veteran genießt bei mir die größte Anerkennung. Denn ohne die Rote Armee hätte ich die Staatsgründung Israels nie erlebt.«

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