Frankfurt

Sichtbares Erbe

Wo heute der Hochbunker steht, befand sich zwischen 1907 und 1938 die Synagoge der neo-orthodoxen Austrittsgemeinde. Foto: Rafael Herlich

An der Friedberger Anlage im Ostend und am Börneplatz in der östlichen Innenstadt Frankfurts standen bis 1938 prächtige Synagogen. In den 80er-Jahren wurden beide Orte zum Symbol für bürgerschaftliches Engagement gegen Geschichtsvergessenheit. Heute stehen sie im Fokus einer Debatte über den Umgang mit dem Erbe der Frankfurter Vorkriegsgemeinden.

Die 1907 eröffnete Synagoge an der Friedberger Anlage diente der neo-orthodoxen Austrittsgemeinde, der Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG), als Domizil. Die Synagoge am Börneplatz wurde 1882 eingeweiht und vom orthodoxen Flügel der Gemeinde genutzt. Beide Gotteshäuser wurden am 9. November 1938 von den Nationalsozialisten geschändet, in Brand gesteckt und anschließend abgerissen. An der Friedberger Anlage wurde 1942/43 ein Hochbunker errichtet, während der Börneplatz jahrzehntelang in Teilen unbebaut blieb.

Die Fundamente der zerstörten Friedberger Anlage sollen sichtbar gemacht werden.

1987 wurden dort bei Bauarbeiten für ein Kundenzentrum der Stadtwerke archäologische Überreste der Judengasse entdeckt und abgetragen. Dies führte zu heftigen Protesten und einer Besetzung der Baustelle durch Demonstranten. Ein Kompromiss beendete den Konflikt: Das Kundenzentrum wurde gebaut, zugleich wurden das Museum Judengasse und eine Gedenkstätte eingerichtet.

Eine weitere Folge des Börneplatz-Konflikts ist Entdeckung und Nutzung des Hochbunkers an der Friedberger Anlage durch eine Bürgervereinigung. Seit 1988 richtet die »Initiative 9. November« dort Gedenkveranstaltungen, Zeitzeugengespräche, Lesungen, Ausstellungen und Konzerte aus.

Die Initiative fordert, die Fundamente der zerstörten Synagoge auszugraben und sichtbar zu machen, zugleich aber auch den Hochbunker »als authentisches Mahnmal von Zerstörung und Vernichtung einer Kultur, die freie Religionsausübung, Toleranz und Vielfalt dokumentieren sollte«, zu erhalten.

Kulturdezernent Marc Grünbaum sagt, dass die Geschichte der einstigen Synagoge an der Friedberger Anlage nicht mehr im Bewusstsein der Menschen sei.

Jetzt ist eine Diskussion über die künftige Nutzung des Areals entstanden. Im vergangenen Dezember plädierte Marc Grünbaum, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, im »Journal Frankfurt« für eine stärkere Rückbesinnung auf die Traditionen der Vorkriegsgemeinden, so auch der Israelitischen Religionsgesellschaft.

Begegnungszentrum »Ein Bezugspunkt könnte das Grundstück an der Friedberger Anlage sein«, schrieb er und brachte die Einrichtung eines Jugend-, Kultur und Begegnungszentrums ins Gespräch. Schon im Oktober äußerte laut einem Bericht der FAZ der CDU-Politiker Thomas Dürbeck die Idee, den im städtischen Besitz befindlichen Hochbunker der Jüdischen Gemeinde zu übergeben. Dort könnte, so Dürbeck, eine Synagoge oder ein Gemeindezentrum entstehen. Marc Grünbaum soll den Vorschlag in der Sitzung gelobt haben.

Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen betont Grünbaum: »Ich würde mir wünschen, dass von diesem Grundstück wieder eine engere Beziehung zur Jüdischen Gemeinde und zu jüdischem Leben in Frankfurt ausgehen würde.« Er erläutert: »Es geht mir darum, dass unsere Jugendlichen an ein Grundstück mit historischem Bezug zurückkommen.« Sie müssten verstehen, dass die Wurzeln dieser Gemeinde weit zurückreichten.

Mit der derzeitigen Nutzung des Hochbunkers zeigt sich Grünbaum unzufrieden: »Dieser Ort ist im Bewusstsein der Frankfurter Öffentlichkeit überhaupt nicht vorhanden.« Insbesondere die Bedeutung des Ortes als Ausgangspunkt für die weltweite Bewegung der Neo-Orthodoxie komme dort gegenwärtig überhaupt nicht zum Ausdruck.

Kurt Grünberg, Vorstandsmitglied der Initiative 9. November, widerspricht: »Es müsste darum gehen, an diesem Ort an die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft zu erinnern, aber eben auch an die Zerstörung der Gemeinde und an die Verbrechen der Nazis am 9. November 1938.«

Grünberg verweist auf den Leitspruch der Israelitischen Religionsgesellschaft, »Tora im Derech Eretz«. Die IRG habe ihre Treue zum Leben entsprechend den Regeln der Tora mit den Gegebenheiten des Landes verbunden. »Den Leitspruch ernst zu nehmen und anzuwenden auf die heutige Zeit, fordert eine Auseinandersetzung zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Welt«, so Grünberg.

Erinnerungspolitik Debatten um den Wiederaufbau zerstörter Synagogen betrachtet der Psychoanalytiker mit Skepsis. Im Hinblick auf den Hochbunker sagt er: »Mit dem Abreißen so zu tun, als wäre die Geschichte anders gewesen, halte ich für erinnerungspolitisch und kulturpolitisch vollkommen falsch. Man muss das Zerstörte, aber auch den Prozess der Zerstörung sichtbar werden lassen.«

Bürgermeister Uwe Becker kritisiert, die Bebauung des Börneplatzes in den 80er-Jahren sei ein Fehler gewesen.

Eine weitere Wiederaufbaudebatte stieß kürzlich Frankfurts Bürgermeister und Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Uwe Becker, an. In einer Sitzung des Stadtparlaments sagte er, die Bebauung des Börneplatzes in den 80er-Jahren sei ein Fehler gewesen. »Aus meiner Sicht hat dieser Ort eine andere Sichtbarmachung jüdischen Lebens verdient«, betont Becker im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen: »Ich wäre dafür, wenn die Chance sich mal ergibt, die Börneplatzsynagoge wiederaufzubauen.« Marc Grünbaum dagegen sagt: »Die Zeit für den Wiederaufbau einer Börneplatzsynagoge ist längst verstrichen. Dort sind alle Chancen vertan.«

In der Diskussion um den Hochbunker an der Friedberger Anlage plädiert Uwe Becker für eine Weiterentwicklung der Nutzung: »Ich halte viel davon, dass man die jetzige Form weiterführt, sie ausbaut und fortentwickelt.« Zur Rolle der Initia-tive 9. November sagt er: »Es gibt kein Alleinnutzungsrecht einer Initiative, auch wenn sie dort bisher wunderbare Arbeit gemacht hat und auch erst mal weiterführt.« Es sei eine gute Ergänzung, wenn die Gemeinde dort eigene Nutzungsideen einbringe. Im Hochbunker wird seit 2003 die vom Jüdischen Museum entwickelte Ausstellung »Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel« gezeigt.

Museumsdirektorin Mirjam Wenzel würdigt die Arbeit der Initiative 9. November: »Es ist verdienstvoll, dass sie diesen Ort so lange in Erinnerung gerufen haben.« Zur Debatte um die Zukunft des Hochbunkers sagt sie: »Diese Frage muss man maßgeblich mit der Gemeinde besprechen, und es wäre angemessen, der Gemeinde bei der zukünftigen Nutzung dieses Geländes eine tonangebende Rolle zu geben.« Und sie mahnt: »Es ist an der Stadt, da eine Entscheidung zu treffen.«

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