Frankfurt

Sein Leben, ihre Bühne

Lola ist jung, jüdisch und Schauspielerin. Sie kommt aus Wien, hat einen Freund, Leo, und will mit ihm ein gemeinsames Leben beginnen. Doch alles wird ihnen durch die Nazis genommen. Auf einmal ist alles anders. Lola muss in die USA emigrieren, wo sie zwar Karriere macht, doch die Vergangenheit lässt sie nicht los, und sie wird alkoholsüchtig. Nach dem Krieg erfährt sie, dass ihr Freund das KZ Dachau überlebt hat, und sie kehrt zurück nach Wien – ihre Naivität ist verloren gegangen, sie erkennt, dass sich die Menschen dort nie verändert haben.

Lola hat es so nicht gegeben, sie ist eine fiktive Figur, und doch ist ihre Geschichte die des Sängers und Dichters Georg Kreisler, der 2011 starb. Am Montagabend wurde sein Stück Heute Abend: Lola Blau am English Theatre in Frankfurt am Main aufgeführt. Eingeladen zu dieser außergewöhnlichen und berührenden Vorstellung hatte die Frankfurter WIZO. Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) sprach ein Grußwort und mahnte, dass Antisemitismus, egal woher und in welcher Form, in Deutschland keinen Platz habe. Worte, die nicht nur das Publikum, sondern auch die Schauspielerinnen und Schauspieler emotional mitnahmen.

Die Schauspielerin Sabine Fischmann, an diesem Abend am Klavier begleitet von Markus Neumeyer, ist Lola. Sie hatte das Stück bereits früher gespielt, doch wollte es nun auf eine neue, mehr gegenwartsbezogene Weise aufführen.

Aviva Goldschmidt und Eva Szepesi liehen für dieses Theaterstück ihre Stimmen.

Denn Lolas Geschichte, die Lieder und die auftretenden Nebencharaktere, die Fischmann wie eine wahre Verwandlungskünstlerin auf die Bühne holt, sind heute aktueller denn je. »Musik und Theater hat die Macht, die Leute zu öffnen für Dinge«, meint Fischmann.

Mit der Idee, reale Geschichten des Überlebens der Schoa mit dem Stück zu verweben, saß sie dann letztlich mit einem Aufnahmegerät bei den beiden beeindruckenden Frauen Aviva Goldschmidt und Eva Szepesi im Wohnzimmer. Und so liehen die beiden Schoa-Überlebenden aus Frankfurt dem Stück nicht nur ihre Geschichten, sondern auch ihre Stimmen. Eingebettet in die Geschichte der Lola Blau, umrahmt von Klavier und Melodica, erzählen Eva und Aviva in Einspielern ihre eigenen Geschichten des Überlebens.

Eva Szepesis Stimme

Die zuversichtliche, naive Lola Blau entscheidet sich, nachdem ihr Theaterengagement in Österreich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft abgesagt wurde, in die Schweiz zu gehen. Dort wird sie jedoch ausgewiesen. Aus Lautsprechern ertönt Eva Szepesis Stimme, die von der Flucht in die Slowakei berichtet, und Aviva Goldschmidt erzählt, wie man sie und ihre Mutter aus einem Versteck hinausgeworfen hat.

Lola geht in die USA und wird ein kleiner Star in den Nachtklubs. Sie fängt an zu trinken, kann das, was sie zurücklassen musste, nicht vergessen. In derselben Szene erzählt Eva Szepesi von ihrer Einlieferung und den ersten Tagen der damals Zwölfjährigen im KZ Auschwitz-Birkenau. Lolas neue Realität gerät ins Wanken durch einen Anruf ihres Freundes Leo aus London: Er hat überlebt. Und fast, als wäre es währenddessen, flieht Aviva Goldschmidt mit ihrer Mutter aus dem Arbeitslager Boryslav und hält sich bis zur Befreiung durch die Rote Armee versteckt.

Das Stück äußert auch Kritik an der sich nach dem Krieg nicht verändernden deutschen und österreichischen Gesellschaft. Auch hier lässt sich erkennen, dass es an Aktualität nicht verloren hat.

Vergeben und vergessen

Ein Herr Schmidt – Sabine Fischmann verwandelt sich zum dicklichen Deutschen – säuselt Lola Blau auf dem Schiff, das sie zurück nach Wien bringt, zu, dass »die Heimat« sie beim Wiederaufbau brauche. Dass doch alles vergeben und vergessen sei. Grandios singt Fischmann auch den Charakter Frau Schmidt, die doch für das alles nichts könne und einfach nur an ihrer Meinung festhält.

Eva Szepesi, die selbst gern Schauspielerin und Sängerin geworden wäre, singt zum Schluss aus dem Off ein Lied auf Ungarisch, das von Fischmann übersetzt wird: »Lasst uns gegenseitig lieben, das Herz ist der schönste Schatz. Ein schöneres Wort als Liebe gibt es auf der ganzen Welt nicht. Das Leben zieht sowieso weiter, das Grab schließt es ein. Deshalb lasst uns gegenseitig lieben, denn sonst ist es um jede Minute schade.«

Im Februar sind weitere Aufführungen des Stückes geplant.

Doch die beiden Zeitzeuginnen waren nicht nur auf der Bühne anwesend, sondern auch als Ehrengäste im Publikum. Der Abend endete mit Jubel und Applaus, als die beiden Frauen auf das Podium traten und diese ganz besondere Anerkennung und Stimmung auf sich wirken ließen. Sichtlich gerührt drückte die WIZO-Präsidentin den beiden langjährigen WIZO-Freundinnen ihren Dank aus, und sie sprach wohl für alle im Saal, als sie sagte, dass Szepesi und Goldschmidt »uns viel, viel Kraft geben«.

Das Theaterstück in dieser Form ist ein sehr gelungener Versuch, Zeitzeugenschaft und Dokumentation der Schoa mit der Macht der Musik und des Theaters zu kombinieren, um die Leute zu öffnen für die Geschichte, die der Gegenwart doch sehr nahe ist. Weitere Aufführungen sind noch im Februar geplant.

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