Dortmund

Schule machen

Der Unterricht findet zunächst in den Räumen der Gemeinde statt, später wird man in eine sanierte ehemalige Hauptschule umziehen. Foto: HGVorndran/SchalomNet

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Schule machen

Nach den Sommerferien startet die jüdische Primarstufe – zunächst in den Räumen der Gemeinde. Die Stadt übernimmt die Trägerschaft

von Christine Schmitt  22.05.2025 10:14 Uhr

Ende August wird es ernst, dann werden die Kinder in der wiedergegründeten Jüdischen Grundschule Dortmund ihre Hefte aufschlagen. 16 Erstklässler sind bereits angemeldet. Damit geht der Wunsch der Vorstandsmitglieder der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, des Geschäftsführers Leonid Chraga und vieler Familien in Erfüllung. Auch sein Sohn wird unter den Erstklässlern sein, so Chraga.

Die Grundschule steht Kindern aller Konfessionen offen. Allerdings beginnt der Unterricht zunächst an einem provisorischen Standort.
Wenn der Rat der Stadt Dortmund im Juli zustimmt, geht die Realisierung eines Grundschulstandortes für jüdische Schüler in Dortmund in die nächste Phase, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt.

»Nach 83 Jahren gibt es bald wieder einen eigenen Grundschulstandort für jüdische Kinder in Dortmund«, sagt Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD). »Das ist ein bedeutendes Ereignis und ein lang gehegter Wunsch. Nicht nur die Jüdische Kultusgemeinde freut sich darauf, sondern die ganze Stadtgesellschaft. Jüdisches Leben und jüdische Kultur sind in Dortmund tief verwurzelt und haben eine lange Tradition.«

Interimsweise startet der Unterricht in Räumen der Jüdischen Kultusgemeinde

Die Stadt werde nach der Zustimmung des Rats rund 13 Millionen Euro in die Sanierung der ehemaligen Hauptschule am Ostpark investieren, wo die Schule als jüdischer Teilstandort der Berswordt-Europa-Grundschule in direkter Nachbarschaft zum Hauptstandort eingerichtet werden soll. Das Gebäude in der Davidisstraße soll 2032 bezogen werden, heißt es weiter.

Interimsweise startet der Unterricht in Räumen der Jüdischen Kultusgemeinde. Die Partnerschaft mit der Berswordt-Europa-Grundschule wird weitergeführt. Etliche jüdische Kinder besuchen sie bereits, wechseln aber nach Unterrichtsende in die Nachmittagsbetreuung »Achwat Israel« der Gemeinde, so der Geschäftsführer. Etwa 50 Schüler würden das Angebot wahrnehmen, darunter auch nichtjüdische Kinder.
Für den Schulbeginn im August wurde bereits eine Klassenlehrerin gefunden. Mit einer ersten Klasse wird gestartet. In vier Jahren werden dann voraussichtlich 80 Schüler die Lehrbücher öffnen. »Über den Nachwuchs brauche ich mir keine Gedanken zu machen, denn unsere Kita zählt fast 80 Kinder«, so der Geschäftsführer.

Der Unterricht wird nach den Lehrplänen von Nordrhein-Westfalen gestaltet. Hebräisch- und jüdischer Religionsunterricht sollen einen wichtigen und integralen Bestandteil des Programms bilden, Hebräisch werde in einer AG angeboten, sagt Leonid Chraga. Es soll ein tägliches Gebet geben, Schabbatfeiern und Zeremonien zu den Festtagen werden ebenso zum Schulalltag gehören wie koschere Mahlzeiten.

Dritte jüdische Grundschule in Nordrhein-Westfalen

Die Einrichtung ist neben der Yitzhak-Rabin-Schule in Düsseldorf und der Lauder-Morijah-Schule in Köln die dritte jüdische Grundschule in Nordrhein-Westfalen – und die elfte bundesweit. In Berlin wird an vier jüdischen Grundschulen unterrichtet (Jüdische Traditionsschule Or Avner, Masorti, Lauder Beth-Zion Schule und Heinz-Galinski-Schule), weitere gibt es in Hamburg (Joseph-Carlebach-Bildungshaus), Stuttgart (Eduard-Pfeiffer-Schule), Frankfurt (I. E. Lichtigfeld-Schule) und München (Sinai-Grundschule). Dass eine Stadt die Trägerschaft einer jüdischen Grundschule übernimmt, dürfte ein Novum sein. Die anderen Grundschulen befinden sich entweder in Trägerschaft jüdischer Gemeinden, eines Vereins (Masorti und Lauder-Morijah) oder bei Chabad (Jüdische Traditionsschule).

Bereits 1964 hatte sich die Dortmunder Gemeinde um eine Wiedereröffnung bemüht, letztendlich fehlten aber potenzielle Schüler. Nach der Schoa wurde die jüdische Gemeinde neu gegründet, in den 50er-Jahren wurde eine Synagoge gebaut. Neuen Schwung bekam das jüdische Leben in der knapp 600.000 Einwohner zählenden Stadt aber erst mit dem Zuzug von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion.

Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov betont, eine Bedingung für seine Zusage, in Dortmund Gemeinderabbiner zu werden, sei gewesen, dass es demnächst eine jüdische Grundschule gebe. Denn nur, wenn die Kinder eine jüdische Bildung erfahren, bestünden »echte Chancen, unsere Zukunft zu verbessern«. Seit 2022 amtiert er und freut sich, dass die Kita so gefragt ist und bald auch die Schule startet.

Seit 2019 befassen sich die Kultusgemeinde und die Stadtverwaltung mit dieser Aufgabe

»Wir sind eine aktive Gemeinde«, betont Leonid Chraga. Deshalb sei eine Infrastruktur mit jüdischen Angeboten wichtig. Die Jüdische Kultusgemeinde zähle in den vergangenen Jahren kons­tant 2800 Mitglieder. Aber den Wunsch nach einer eigenen Schule gibt es schon seit Jahren. Bereits seit 2019 befassen sich die Kultusgemeinde und die Dortmunder Stadtverwaltung mit dieser Hausaufgabe.

Apropos Wiedergründung: Eine jüdische Volksschule existierte wahrscheinlich schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Schülerinnen und Schüler dieser Volksschule wurden im Laufe der Jahre an unterschiedlichen Standorten unterrichtet: in der Breiten Gasse (1870/71), Kampstraße (1889) und Lindenstraße (1930). Ab 1904 wurde diese Schule als Bekenntnisschule von der Stadt Dortmund finanziert. Am 30. Juni 1942 besiegelten die Natio­nalsozialisten das grundsätzliche Schulverbot für jüdische Kinder: Alle jüdischen Schulen im Deutschen Reich wurden geschlossen, auch die in Dortmund. Höchste Zeit also, nun wieder eine zu gründen.

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