Hamburg

Schule als Zufluchtsort

Eine Schultasche, Schlittschuhe und ein Physik-Lehrbuch von Erika Estis, geborene Freundlich; das Poesiealbum von Lucille Eichengreen, geborene Cecilie Landau; ein Brief an ihre Lehrerin von Ruth Moses – all dies sind Gegenstände aus einer anderen Zeit, die für die Schülerinnen der Israelitischen Töchterschule in Hamburg einmal sehr wichtig waren.

Nun sind sie in der neu konzipierten Dauerausstellung »Jüdische Kinderwelten: Die Geschichte der Israelitischen Töchterschule« in der gleichnamigen Volkshochschul-Gedenk- und Bildungsstätte in der Hamburger Karolinenstraße zu sehen.

Die Töchterschule nahm vor allem jüdische Mädchen aus prekären Verhältnissen auf.

Nach umfassender Sanierung ist dort ein Ort entstanden, der an die jüdische Geschichte des Karolinenviertels erinnern soll. Zugleich ist daraus auch ein Lernort geworden, der sich an Jugendliche richtet und sie mit dem Leben und Schicksal jüdischer Schülerinnen und Schüler während der NS-Zeit vertraut machen soll. Nach 1933 gingen aufgrund der antisemitischen Ausgrenzungspolitik der Nazis auch einige Jungen auf die Töchterschule.

Die neue Dauerausstellung deckt aber mehr ab als nur die Jahre zwischen 1933 und 1945. Auch das Kaiserreich und die Jahre der Weimarer Republik werden erfasst, und zwar auf Basis von Originaldokumenten aus der Schule, darunter Zeugnisse, Stundenpläne oder auch alte Originalfotografien von Schulausflügen, unter anderem in den Hafen der Hansestadt.

Mithilfe von Tablets, Hörstationen und Filmen können sich Besucherinnen und Besucher interaktiv auf die Spurensuche begeben und sich auf unterschiedliche Art und Weise mit den Herausforderungen der Schülerinnen und Schüler von damals auseinandersetzen. Auch über die Lehrerinnen und Lehrer erfährt man einiges. Darüber hinaus berichten in Videos junge jüdische Erwachsene aus ihrem Leben in der Gegenwart.

Die Ausstellung ist in mehrere Einheiten aufgegliedert, darunter ein Raum »Großstadt«, bestehend aus einem begehbaren Stadtplan auf dem Fußboden, sowie der Raum »Schule«, der ein Klassenzimmer der Naturwissenschaften von 1930 original nachbildet und die Leitlinien der modernen Mädchenbildung, wie es damals hieß, vermittelt.

Dann gibt es noch den Raum »Letzter Ort«. Dieser dokumentiert die Jahre 1933 bis 1942, also die Phase, in der die Schule zu einer Art Zufluchtsort für jüdische Kinder wurde. Die Ausstellung endet mit der Frage: »Wie wollen wir heute erinnern und handeln?«

Moderne Sprachen und Naturwissenschaften standen auf dem Stundenplan.

»Die Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule versteht sich als Ort des Erinnerns und der Würdigung der Kinder, ihrer Lehrkräfte und ihrer Familien in der NS-Zeit«, bringt es Anna von Villiez, Leiterin der VHS-Gedenk- und Bildungsstätte und Kuratorin der neuen Dauerausstellung, auf den Punkt. »Die Kinder, die hier einst zur Schule gingen, erkundeten als Hamburger ›Jungs un Deerns‹ ihre Stadt – neugierig, kreativ und voller Lebenslust«, so berichtet die Historikerin weiter.

Die 1884 gegründete und errichtete Israelitische Töchterschule nahm vor allem jüdische Mädchen aus prekären Verhältnissen auf. In den ersten Jahren lernten hier rund 500 Schülerinnen in 16 Klassenräumen. Nach dem Ausbau des Dachgeschosses in den Jahren 1910 und 1929 kamen drei weitere Klassenzimmer sowie der Naturkunderaum hinzu.

Die Schule war bekannt für ein modernes Bildungsprogramm, das einen ganzen Kanon weltlicher Fächer unterrichtete. Moderne Sprachen und Naturwissenschaften standen ebenso auf dem Stundenplan wie das Erlernen praktischer Fähigkeiten und eine religiöse Bildung. Ab 1930 konnte hier der Realschulabschluss erlangt werden.

»Jüdische Kinderwelten: Die Geschichte der Israelitischen Töchterschule«, Karolinenstraße 35, Hamburg, geöffnet donnerstags von 14 bis 17 Uhr, sonntags von 10 bis 14 Uhr.

Erziehung

Es ist schön, jüdisch zu sein!

Wie wir unsere Kinder gerade in schwierigen Zeiten in ihrer Identität bestärken können

von Daniela Fabian  25.07.2025

Portrait der Woche

Städte, die bleiben

Josef l. Ronel ist Architekt und malt Erinnerungen an Orte, an denen er nie war

von Katrin Diehl  24.07.2025

Judith Kessler

Die Geschichtenjägerin

Viele Jahrzehnte war Judith Kessler Redakteurin beim »jüdischen berlin«, hat Menschen zusammengebracht, vergessene Storys recherchiert. Jetzt geht sie in Rente – und hat eine neue Mission

von Christine Schmitt  24.07.2025

Interview

»Viele queere Räume sind für uns mittlerweile verschlossen«

Ariel Elbert über die Pride Shabbatot von Keshet Deutschland, Hamas-Glorifizierung in der LGBTIQ-Szene und die schwierige Situation queerer Jüdinnen und Juden

von Joshua Schultheis  23.07.2025

Porträt der Woche

Die Sprachlehrerin

Julia Steinberg arbeitete als Dolmetscherin vor Gericht, heute unterrichtet sie Deutsch

von Gerhard Haase-Hindenberg  22.07.2025

Nachruf

Regionales wird zur Weltgeschichte

Zum Tod der Historikerin Edith Raim, die ein bedeutendes publizistisches Vermächtnis hinterlässt

von Ellen Presser  22.07.2025

Kunst

Enthüllung im Paradies

Navot Miller malt in kräftigen Farben Momente aus dem Leben in New York und Berlin. Derzeit sind seine Werke in der Galerie Dittrich & Schlechtriem zu sehen

von Katrin Richter  21.07.2025

Konzert

Melodien als Hoffnung

Das Polizeiorchester Bayern gab auf Wunsch der IKG-Präsidentin ein Benefizkonzert. Mit dem Erlös sollen Opfer von Anschlägen unterstützt werden

von Luis Gruhler  21.07.2025

Buchenwald

KZ-Gedenkstätte muss Ausstellungen schließen

Für mindestens zwölf Monate können Besucher ab dem kommenden Jahr den zentralen Ausstellungsbereich nicht besuchen. Die Hintergründe

 21.07.2025