Berlin-Dahlem

Schon wieder eine Villa

Irakische Botschaft in Berlin-Dahlem (Pacelliallee) Foto: imago/Steinach

Hugo Heymann stellte künstliche Perlen her. In den Jahren der Hyperinflation und dann der Weltwirtschaftskrise war dieses Massenprodukt eine beliebte Alternative zu Luxusprodukten wie echten Perlen. Rudolf Löb leitete die Mendelssohn-Bank und beriet als angesehener Finanzexperte Regierungen der Weimarer Republik. Und Richard Semmel gehörte Anfang des vergangenen Jahrhunderts zu den Wegbereitern der boomenden Textilbranche in Berlin-Mitte. Alle drei Berliner Juden hinterließen Spuren in der deutschen Geschichte, die weit über ihr Wirken als deutsch-jüdische Unternehmer in Berlin hinausgehen.

Doch die drei Männer verband nicht nur ihr Judentum, sondern auch ihre Nachbarschaft in Berlin-Dahlem: Das nördliche Ende des Karrees zwischen Pücklerstraße, Messelstraße, dem Dohnenstieg und der Max-Eyth-Straße bestand aus drei Grundstücken, die alle eine Seite zur Straßenfront der Pücklerstraße hatten. Das größte gehörte Rudolf Löb, daneben wohnte Hugo Heymann, der Nachbar am Ende dieser Reihe war der Wäschefabrikant Richard Semmel.

KUNSTSAMMLUNG Hugo Heymann war 1926 in die Villa neben Löb gezogen. Als sich 1932 abzeichnete, dass die NSDAP an die Macht kommen würde, verkaufte er sie unter dem Druck drohender Verfolgung für einen sehr niedrigen Preis und suchte dann Käufer für seine restlichen Immobilien.

Der Käufer seiner Villa war ein SS-naher Verleger. Dessen Erben verkauften das Haus nach dem Krieg. Seit 2004 ist es die Dienstwohnung des amtierenden Bundespräsidenten. An Hugo Heymanns Schicksal erinnert vor der Villa seit 2018 eine Gedenkstele. Sie dient nun als Vorbild für eine weitere Stele – für Heymanns Nachbarn Richard Semmel.

Richard Semmel sah vom Verkauf seiner Villa an den Gewürzfabrikanten Kühne keine Mark.

1875 als Sohn eines schlesischen Getreidehändlers geboren, war Richard Semmel Eigentümer der Wäschefabrik Arthur Samulon in Berlin. 1922 kaufte er ein weiteres großflächiges Areal in Dahlem mit der heutigen Adresse Pacelliallee 19/21. 1926 stellte der Architekt Adolf Wollenberg eines der geschmackvollsten Wohnhäuser Berlins fertig.

Anschließend zog Semmel ein und mit ihm rund 150 Kunstwerke, unter anderem von Pissarro, Gauguin, Liebermann, Renoir, Rembrandt, Rubens und Tizian.

KÜHNE Noch in den Tagen der Machtübernahme 1933 flüchtete Semmel in die Niederlande. Er verkaufte von dort aus seine Villa an Wilhelm Kühne, Eigentümer eines 1772 gegründeten Familienunternehmens, das bis heute für seine Gewürzgurken, Essige und viele andere Lebensmittel bekannt ist.

Der Kaufpreis war so niedrig, dass er für Makler und Steuern verbraucht wurde – Semmel sah keine Mark. In einem höchst seltenen Vorgang erließ ihm das Finanzamt einige hunderttausend Reichsmark Reichsfluchtsteuer – weil sein Vermögensverlust so gewaltig war.

Die Familie Kühne verkaufte die Liegenschaft nach dem Krieg für rund das Elffache des seinerzeitigen Kaufpreises weiter. Richard Semmel starb 1950 verarmt in New York. Seine Versuche, sein Vermögen zurückzuerhalten, blieben erfolglos.

Experten sagen, Iraks Botschafter könne sich nicht rechtlich dagegen wehren, wenn vor seiner Botschaft an verfolgte Juden erinnert wird.

STOLPERSTEINE Seit 2010 ist jene Villa, die Richard Semmel 1926 in der Pacelliallee in Berlin erbaute und aus der er 1933 vertrieben wurde, die Botschaft des Irak untergebracht. Gerade, weil sich der Irak als einziger der Angreifer auf den gerade gegründeten Staat Israel im Jahr 1948 mit diesem noch völkerrechtlich im Kriegszustand befindet, liegt hier eine bemerkenswerte Situation vor.

Nachdem jüngst Stolpersteine gestiftet wurden, soll nun auch eine Gedenkstele vor der Botschaft errichtet werden. Doch hier beginnen die Probleme. Experten sagen, Botschafter Dhia Hadi Mahmoud al-Dabbass könne sich nicht rechtlich dagegen wehren, wenn im öffentlichen Straßenraum vor seiner Botschaft an verfolgte Juden erinnert wird ...

Lesen Sie den ganzen Bericht in unserer nächsten Printausgabe am Donnerstag.

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025

Freiwilligendienst

Helfen und lernen

Vier Israelis erzählen, warum sie ehrenamtlich in Deutschland arbeiten

von Christine Schmitt  06.07.2025

Porträt der Woche

Die Welt verbessern

Noam Quensel möchte sich engagieren und das Judentum nach außen tragen

von Eugen El  06.07.2025

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  06.07.2025 Aktualisiert

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert