Kindertransporte

80 Jahre später

Mahnmal in Berlin zur Erinnerung an die Kindertransporte Foto: imago

Kindertransporte

80 Jahre später

Mehrere Jahrzehnte nach ihrer Flucht kamen Schoa-Überlebende aus aller Welt zurück nach Berlin

von Lisa Konstantinidis  05.07.2019 18:15 Uhr

Traumatische Ereignisse können Menschen ein Leben lang begleiten. Sie werden ein Teil der Persönlichkeit und lassen sich auch nach Jahren oder Jahrzehnten nicht vergessen.

Einer, der mit einem solchen Trauma lebt, ist Ralph Mollerick: 89 Jahre alt, verheiratet, er lebt in Los Angeles in den USA. Seine Geschichte beginnt 1938. Das Jahr in dem seine jüdischen Eltern um das Leben ihres achtjährigen Sohnes und seiner älteren Schwester fürchten. Auf der Suche nach einem Ausweg ergattert der Vater Fahrkarten für den ersten Kindertransport, der jüdische Kinder von Hamburg nach England bringen sollte.

GEBETE »Ich erinnere mich vor allem an den Lärm in der Bahnstation, an die Schreie und Gebete«, erzählt Mollerick. Und an die dreistellige Nummer, die jedes Kind dort zur Identifizierung umgehängt bekam. Nur einen kleinen Koffer mit Kleidung trug er bei sich, sonst nichts. Kein Spielzeug, keine Bücher, kein Geld. Auf Gleis 14 a sah er seine Eltern das letzte Mal.

Die Kindertransporte retteten 10.000 jüdischen Jungen und Mädchen das Leben.

Mollerick gehört zu einer US-amerikanischen Delegation von Holocaust-Überlebenden, die den Nationalsozialisten dank der Kindertransporte entkamen. Der Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland, hat sie anlässlich des 80. Jahrestages der Kindertransporte am Freitag empfangen. Organisiert wurde der Besuch von der »Kindertransport Association« mit Sitz in New York. Neben Berlin macht die Gruppe noch Station in Wien, Amsterdam und London.

Zwischen Dezember 1938 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurden laut Schätzungen rund 10.000 Kinder aus Deutschland einschließlich Österreichs und annektierter Teile der Tschechoslowakei zum Schutz vor den Nationalsozialisten nach Großbritannien gebracht. Es handelte sich dabei fast ausschließlich um jüdische Kinder ohne ihre Familien.

AUSWIRKUNGEN Für Ralph Mollerick sind die psychologischen Auswirkungen, die die Kindertransporte auf ihre kleinen Fahrgäste und deren Eltern hatten, besonders wichtig: »Die Kinder wussten nicht, wohin sie gehen und ob sie ihre Eltern je wiedersehen würden.«

Sein Vater habe die Fahrkarten für den Transport erst zwei Tage vor der Abfahrt von einem Nachbarn gekauft, dessen eigene Töchter erkrankt waren und deswegen die Reise nicht antreten konnten. »Mein Vater sagte zu meiner älteren Schwester, dass sie auf mich aufpassen soll.« Dass er nicht wusste, warum er seine Familie und sein Zuhause verlassen musste, ist ein Trauma, das ihn bis heute begleitet.

»Das Schicksal der Kinder, die rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, ist ein Aspekt, der in der Öffentlichkeit noch nicht ausreichend bekannt ist. Dass Sie Deutschland besuchen, bedeutet uns viel«, sagt Wieland gegenüber den Überlebenden und ihren Angehörigen in Berlin.

»Ihre Geschichten müssen weitererzählt werden und dürfen nicht vergessen werden«, betont Sigmount A. Königsberg.

Und auch der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, findet deutliche Worte: »Für uns ist der heutige Besuch von Holocaust-Überlebenden in Berlin, die 1938 mit den Kindertransporten den Nazis entkommen sind, sehr wichtig. Ihre Geschichten müssen weitererzählt werden und dürfen nicht vergessen werden.«

Ralph Mollerick hat die Reise nach Deutschland nicht alleine angetreten, sondern seine Frau Phyllis mitgebracht. Sie kennt seine Geschichte und weiß, was er durchlitten hat. »Ralph dachte, dass seine Eltern ihn nach drei Monaten wieder zu sich holen. Das ist nie passiert«, erzählt sie. »Es bricht mir das Herz, zu wissen, was ihm geschehen ist.«

Dennoch hat das Ehepaar Deutschland bereits mehr als 13 Mal besucht und es sogar geschafft, einen Grabstein für Mollericks Eltern auf dem jüdischen Friedhof in Wolfshagen nahe Kassel zu errichten. »Damit haben wir seine Eltern symbolisch zurück in ihre Heimat gebracht«, erklärt Phyllis Mollerick.

Lesung

Ein zeitgenössisches Märchen

Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter stellte im Literaturhaus seinen neuen Roman »Stadt der Hunde« vor

von Luis Gruhler  16.06.2025

Urteil

Sicherungsverwahrung nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

Der Mann hatte die Tat eingeräumt und von »Stimmen« berichtet, die ihn zu dem Brandanschlag aufgefordert hatten

von Jörg Nielsen  16.06.2025

Thüringen

Gebete im »Salon Goethe«

Rund 130 Menschen kamen zum Schabbaton der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin nach Weimar

 16.06.2025

Berlin

Unter die Haut

Der Künstler Gabriel Wolff malt, formt und tätowiert »jüdische Identität

von Alicia Rust  15.06.2025

Porträt der Woche

Zwischen den Welten

Ruth Peiser aus Berlin war Goldschmiedin, arbeitete bei einer Airline und jobbt nun in einer Boutique

von Gerhard Haase-Hindenberg  15.06.2025

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025