WIZO

Raus ins Grüne

Zwei, drei beherzte Züge an der Kordel, und schon kommt der Schriftzug hinter der zurückgezogenen blau-weißen WIZO-Fahne zum Vorschein: »The Professor Heuss Therapy Center – Sponsored by WIZO Germany – Inaugurated in 2024«. Endlich zu Hause! Die Mesusa ist angebracht, das rosa Band durchschnitten, damit ist der Heuss-Campus offiziell eröffnet.

Was am Montagmittag bei heißer Junisonne so fröhlich und unbeschwert in Hadassim – unweit der Stadt Netanya – gefeiert wurde und nun zum »Shir La’Ahava« auf dem Instagram-Kanal der »Women’s International Zionist Organisation« in Kurzfassung zu sehen ist, ist ein Meilenstein für die WIZO. Nach vielen Jahren der Vorbereitung ist aus dem »Beit Heuss« der Heuss-Campus geworden, ist die Einrichtung, die 1967 in Herzliya eröffnet wurde, raus ins Grüne und rein in eine neue Zukunft gezogen.

Die Entscheidung, sich von dem lieb gewonnenen Beit Heuss zu verabschieden, sei allen nicht leicht gefallen, betont WIZO-Deutschland-Präsidentin Nicole Faktor in ihrer Rede. »Fast sechs Jahrzehnte lang war Beit Heuss immer für die israelische Gesellschaft da – insbesondere in Zeiten des Krieges oder der Intifada.« Familien wurden untergebracht, wenn ihre Häuser evakuiert werden mussten, Traumata wurden therapiert. Zuletzt, beschreibt Faktor, war das Beit Heuss in der Corona-Pandemie Notunterkunft für Opfer häuslicher Gewalt.

Die Mesusa ist angebracht, der Baum ist gepflanzt.

Auch auf dem Heuss-Campus soll Familien und gefährdeten Jugendlichen geholfen werden. Auf dem größeren Gelände um den Campus herum gibt es bereits Wohnheime, eine Schule, Musikstudios. Dem Heuss-Campus zugeordnet ist das »Emergency Center«, eine Auffangeinrichtung für 16 Kinder und Jugendliche ab drei Jahren. »Kinder in Not aus ihren Familien herauszunehmen, sei immer die allerletzte Option«, sagt Faktor. Dass dies auch nachts vorkommen kann, darauf ist das Emergency Center vorbereitet. Drei weitere Wohnheime stehen für die Unterbringung von Jugendlichen zur Verfügung. Sobald die letzten Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind, könnten sie auch dort einziehen.

Das große Haus ist schon fertig, im Erdgeschoss hängt das überdimensionale Bild eines Kindergesichts. Die Augen blicken neugierig, die kleine Hand an der Wand scheint den Kopf zu stützen, oder ist der Zeigefinger erhoben, mahnt? Gleich daneben noch ein Gesicht. Dieses Mal allerdings ist es kleiner, schwarz-weiß und eine Fotografie. Nämlich die des Mannes, der dem Haus den Namen gab: Theodor Heuss. »Dieser Mann mit seiner unbestrittenen Integrität war genau der, den das Land in den ersten Jahren brauchte«, sagt der deutsche Botschafter Steffen Seibert, der ebenfalls zur Eröffnung des Heuss-Campus gekommen ist. Ohne Elly Heuss-Knapp aber, auch das betont Seibert, wäre vieles nicht möglich gewesen.

Gründung des Müttergenesungswerks

1950 gründete Elly Heuss-Knapp das Müttergenesungswerk, eine Stiftung, die vornehmlich das Ziel hatte, die Gesundheit von Müttern mit Kuren zu unterstützen. Mutter-Kind-Kuren oder gar Vater-Kind-Kuren, wie es sie heute gibt, darauf hatten Eltern in den 50er-Jahren noch keinen gesetzlichen Anspruch. Und so bildeten am Anfang zunächst die Beratung oder die Nachsorge und kleine Kuren das Fundament der Stiftung.

Auch die Anfänge des Beit Heuss in Herzliya waren klein. Bei seiner Eröffnung 1967 war es – ganz im Sinne des zentralen Anliegens des Müttergenesungswerks – zunächst ein Erholungsheim für Mütter sogenannter kinderreicher Familien. »Viele Jahre bot dieser Ort unzähligen benachteiligten und überarbeiteten Müttern die erste und einzige Erholung in ihrem Leben«, heißt es auf der WIZO-Website. Auch hier ging das Programm mit der Zeit und den sich verändernden Umständen. Es entstand ein Familientherapiezentrum mit Seminaren und Workshops, die auf individuelle Gruppen zugeschnitten waren: Alleinerziehende, Neueinwanderer, Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen, aber auch Eltern von gefallenen Soldatinnen und Soldaten, Opfer von familiärer Gewalt.

Frauen kämpfen für die Werte des Judentums und der Demokratie.

2014 war das Theodor-Heuss-Familientherapiezentrum Zufluchtsort für die vor den Raketen der Hamas fliehenden Menschen aus dem Süden Israels. Dort fanden sie Schutz und Geborgenheit, konnten zumindest ansatzweise ein bisschen zur Ruhe kommen.

Seit dem 7. Oktober 2023 ist in Israel alles anders. »Wir leben unter dunklen Wolken von Traurigkeit«, beschreibt der deutsche Botschafter Steffen Seibert das allgemeine Gefühl. Umso wichtiger sei es, dass es Tage wie diesen gebe, »ein wundervolles und glückliches Event«. Seibert war besonders beeindruckt von den vielen Jugendlichen, die zur Begrüßung gekommen waren. Weiß gekleidet, unter blauem Himmel mit weiß-blauen Israelfahnen.

Für ihn sei es »sehr bewegend« gewesen, im Gespräch mit ihnen zu erfahren, dass diese jungen Menschen, einige von ihnen sind gerade einmal 14 Jahre alt, aus Mexiko, Peru oder Argentinien nach Israel gekommen sind, um dort ihren Traum zu leben. Dafür gab es ein anerkennendes »Kol HaKawod«.

Probleme nicht nur erkennen, sondern auch angehen

Ein weiteres Kol HaKawod schwang in der Beschreibung für die Arbeit der WIZO mit. Sie sei das beste Beispiel für den »Dienst an der Gemeinde, der Dienst an anderen«. Zu den Leistungen der WIZO zähle eben nicht nur, das Problem zu erkennen, sondern es auch anzugehen. Zudem kämpfe die WIZO für die Werte des Judentums, für die der liberalen Demokratie und damit auch für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. »Israel hat ein hohes Level an Gleichberechtigung erreicht«, sagte Seibert unter Applaus.

Immerhin sind bei der WIZO auch Männer mit dabei. Und denen dankte Nicole Faktor in ihrer Rede. Vor allem Doron Yechieli, dem Director of Building and Construction, und Danny Shapiro, Director of the External Relations Division, für deren Einsatz rund um die Uhr.

Dass der Campus auch weiterhin den Namen Heuss trägt, dafür war Abraham Lehrer, Zentralratsvizepräsident und vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, dankbar. War es doch Elly Heuss-Knapp, so Lehrer, die ihrem Mann damals den nötigen Schubs für das Haus in Herzliya gab. Man könne viel über Heuss und seine Politik sagen, »aber er war ein Freund Israels« und sei dem Rat seiner Frau gefolgt. Dieser Campus würde ihr gefallen, denn er helfe Menschen in ihrem Alltag. Mit dem Dank an Nicole Faktor gehe auch der Dank an die vielen Spenderinnen und Spender einher, die die WIZO unterstützen. Es seien vor allem Nichtjuden, betonte Lehrer.

Diesen Tag so zu feiern, das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Die Pandemie hatte die Spendenbereitschaft in vielen Bereichen zurückgehen lassen. Die WIZO sei, sagt Faktor, »ganz gut durchgekommen«. Seit den Angriffen der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober habe es eine enorme Unterstützung gegeben. Um 50 Prozent hätten die Spenden zugenommen. Sie helfen, die vielen Projekte der WIZO aufrechtzuerhalten und neue Projekte wie den Heuss-Campus zu unterstützen.

Die Mesusa hängt, das Band ist durchschnitten, ein Baum ist gepflanzt: Am Montagnachmittag geht Nicole Faktor mit einem »sehr erfüllten« Gefühl vom neuen Heuss-Campus. Dass dieser Tag in diesen Zeiten auf diese Weise gefeiert werden kann, ist ein kleiner Hoffnungsschimmer. Aus Deutschland waren Mitglieder des WIZO-Präsidiums dabei, die Ehrenpräsidentin Rachel Singer, die Präsidentin der Welt WIZO, Anat Vidor, sowie Anita Friedman, Chairperson der Welt WIZO. »Umgeben zu sein von Freunden und vielen, die die WIZO kennen, das fühlt sich gut an«, betont sie.

»Wenn sich das Herz öffnet, umarmt es die Welt und singt laut für Liebe«, heißt es im »Shir La’ahava« – das passt zur WIZO.

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Engagement

Verantwortung übernehmen

Erstmals wurde der Fritz-Neuland-Gedächtnispreis verliehen. Die Auszeichnung erhielten der Jurist Andreas Franck und die AG PRIOX der bayerischen Polizei

von Luis Gruhler  09.07.2025

Deutsch-Israelischer Freiwilligendienst

»Wir müssen gewachsene Strukturen erhalten«

ZWST-Projektleiter Erik Erenbourg über ein besonderes Jubiläum, fehlende Freiwillige aus Deutschland und einen neuen Jahrgang

von Christine Schmitt  09.07.2025

Essen

Vier Tage durch die Stadt

Der Verein Kibbuz Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung führte 20 Jugendliche einer Gesamtschule an jüdische Orte. Die Reaktionen überraschten den Projektleiter

von Stefan Laurin  09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025

Magdeburg

Staatsvertrag zur Sicherheit jüdischer Gemeinden geändert

Die Änderung sei durch den Neubau der Synagogen in Magdeburg und Dessau-Roßlau vor rund zwei Jahren sowie durch zu erwartende Kostensteigerungen notwendig geworden

 09.07.2025

Berliner Philharmonie

Gedenkfeier für Margot Friedländer am Mittwoch

Erwartet werden zu dem Gedenken langjährige Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, Freundinnen und Freunde Friedländers sowie Preisträgerinnen und Preisträger des nach ihr benannten Preises

 08.07.2025

Mittelfranken

Archäologen entdecken erste Synagoge Rothenburgs wieder

Erst zerstört, dann vergessen, jetzt zurück im Stadtbild: Die erste Synagoge von Rothenburg ob der Tauber ist durch einen Zufall wiederentdeckt worden. Ihre Überreste liegen aber an anderer Stelle als vermutet

von Hannah Krewer  08.07.2025

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025