Porträt der Woche

»Pflanzen sind nichts für mich«

Joachim Jacobs ist Landschaftsarchitekt und restauriert jüdische Friedhöfe

von Christine Schmitt  09.06.2022 12:41 Uhr

»Mich begleitet der Wunsch, einen Fluss oder einen Kanal vor meiner Haustür zu haben«: Joachim Jacobs lebt in Berlin Foto: Uwe Steinert

Joachim Jacobs ist Landschaftsarchitekt und restauriert jüdische Friedhöfe

von Christine Schmitt  09.06.2022 12:41 Uhr

Zwei Düfte begleiten mich mein ganzes Leben. Ich wuchs im Mehrgenerationenhaus meiner Großmutter auf, mit meinen Eltern und der Familie meiner Tante. Jeden Freitag buk meine Oma Barches, und der herrliche Geruch zog durch alle Räume. Das ist eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. Im Herbst lagerten wir die Äpfel aus unserem Obstgarten im Keller ein. Sie hatten einen eigenen Duft, der für mich immer ein Signal war, dass ich nun zu Hause war.

Dieses große Haus in Düsseldorf hatte mein Großvater väterlicherseits durch einen bekannten Architekten bauen lassen. 1934 wurde er von den Nazis aus dem Staatsdienst entlassen. Wenig später starb er, und ein Jahr vor Kriegsende wurde das Haus zerbombt. Glücklicherweise konnte meine Familie mit gefälschten »Ariernachweisen« im Rheinland überleben. Als meine Großmutter die Möglichkeit hatte, sich als Verfolgte des Naziregimes regis­trieren zu lassen, wollte sie dies nicht aus Sorge vor den Nachbarn, von denen viele Nazis gewesen waren. Aber bald nach 1945 konnte sie das Haus instandsetzen.

Garten Zum Haus gehörte ein herrlicher Garten. Pflanzen sind nichts für mich, dafür umso mehr das Anlegen von Wegen, Sitzplätzen und Wasserbecken. Heute noch – obwohl längst verkauft – ist das Haus ein Sehnsuchtsort für mich. Und mich begleitet immer noch der Wunsch, einen Fluss oder einen Kanal vor meiner Haustür zu haben. Früher war es der Rhein, heute als kleiner Ersatz die Spree.

Heute noch ist das Haus meiner Großmutter ein Sehnsuchtsort für mich.

Seit 1984 lebe ich in Berlin. Auf meinem Balkon wachsen lediglich Kakteen, denn ich bin oft nicht zu Hause, da würden sich keine anderen Pflanzen halten. Reisen sind ein guter Ausgleich für meine Büroarbeit, bei der es hauptsächlich um Gutachten und häufig um jüdische Friedhöfe geht. Der Schwerpunkt ist dabei deren halachische Instandsetzung. Derzeit bin ich deshalb viel in Schleswig-Holstein.

Eigentlich wollte ich Hochbauarchitekt werden. Zuerst studierte ich an der FH in Essen, danach absolvierte ich an der TU Berlin meinen Abschluss in Landschaftsplanung. Die Gestaltung von Außenräumen hatte mich immer mehr fasziniert, später vor allem die Gartendenkmalpflege. Beim Landesdenkmalamt absolvierte ich ein Volontariat. Schließlich wurde ich promoviert und machte mich mit dem Schwerpunkt Gartendenkmalpflege selbstständig. Neben Projekten wie Bundesrat und Finanzministerium war einer meiner wichtigsten Aufträge die Erweiterung des jüdischen Friedhofs am Berliner Scholzplatz vor mehr als 20 Jahren.

projekte Danach folgte die Restaurierung der Gedenkstätte und des Friedhofs Große Hamburger Straße. Dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen. Es ist ein schwieriger Ort, weil in den letzten Kriegsjahren dort auch zivile Opfer und SS-Angehörige beigesetzt wurden. Eigentlich war nur noch eine Grünfläche zu sehen, aber da die Gräber noch vorhanden waren, wurde die Fläche entsprechend dem jüdischen Religionsgesetz eingefriedet und gestaltet.

Im Bereich des früheren Altenheims, von dem aus Deportationen stattfanden, wurden dessen Grundmauern freigelegt und wieder sichtbar gemacht. Diese schattenhafte Raumstruktur wurde zum Zeichen für die Menschenleere der früheren Räume dieses Ortes und zusammen mit einer Skulptur von Will Lammert ein Gedenkort.

Später sollte der Jüdische Friedhof Schönhauser Allee wiederhergestellt werden, vor allem der Judengang, der rituelle Begräbnisgang, sollte wieder sichtbar sein, was damals zu Konflikten mit den Anwohnern führte, die dort Schrebergärten eingerichtet hatten. Auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee plante ich die Restaurierung der Einfriedungsmauer und der dazugehörigen Wandgrabmale.

Die Friedhöfe sind oft das Einzige, was von jüdischen Gemeinden übrig geblieben ist. Bis zum 19. Jahrhundert wurden die Toten auf einem einfachen eingefriedeten Feld außerhalb der Stadt oder des Dorfes begraben. Dann änderte sich die Anlage. Es gab nun Wegekreuze, Alleen, Heckenpflanzen und prunkvolle Grabmale, schließlich auch repräsentative Trauerhallen. Die Friedhöfe reflektieren die Wohnverhältnisse der Gemeindemitglieder und die jeweilige politisch-gesellschaftliche Situation, in der sie entstanden sind. Die Gestaltung der Friedhöfe als »schöne Orte« ist dabei ein Ausdruck der wachsenden Assimilation im 19. Jahrhundert.

Nach einigen Jahren wurde mir klar, dass es kein Buch über die Geschichte jüdischer Friedhöfe gab. Also beschloss ich, es selbst zu schreiben. Eine Verwandte in London unterstützte dieses Projekt großzügig. Mit einem Fotografen reiste ich dann durch ganz Europa, von Istanbul und St. Petersburg bis Faro, von London bis Süditalien. Mir war es wichtig, dass er Fotos in Farbe machte, denn sonst werden jüdische Friedhöfe meist schwarz-weiß und in betont melancholischer Atmosphäre gezeigt. 2009 erschien dann in London mein Buch Houses of Life – Jewish Cemeteries of Europe, leider nur auf Englisch.

Seit einigen Jahren restauriere ich jüdische Friedhöfe in Schleswig-Holstein. Man findet sie beispielsweise in Kiel, Elmshorn, Ahrensburg und Glücksstadt. Eine sehr interessante Stadt ist Friedrichstadt, denn es ist eine der wenigen Kleinstädte in Deutschland, die gleich zwei Friedhöfe, einen neuen und einen alten, besitzt. In dieser 1662 gegründeten sogenannten Toleranzstadt sollten verschiedene Religionsgemeinschaften heimisch werden, auch Juden wurden eingeladen zu kommen.

Nachdem der 1677 angelegte alte Friedhof im 19. Jahrhundert voll belegt war – es gilt Ewiges Ruherecht auf jüdischen Friedhöfen –, erwarb die Gemeinde die Fläche für einen neuen Friedhof, der durch einen Entwässerungsgraben eingefriedet wurde. Eine dort auch in neogotischen Formen errichtete Leichenhalle wurde in der Nachkriegszeit zum Trafohaus umgebaut und völlig entstellt. Vor dieses Trafohaus soll nun eine Stahlkonstruktion gestellt werden, die die Fassadenstruktur des Leichenhauses als Schatten nachzeichnet. Auch sollen der Einfriedungsgraben neu angelegt und die Grabsteine restauriert werden. Die Stadt sucht immer noch Spender, die die Sanierung der beiden Friedhöfe unterstützen.

denkmalschutz Neben meiner Planungstätigkeit beschäftige ich mich viel mit Denkmalnachbegründungen. Es kann historische oder künstlerische Gründe geben, warum beispielsweise ein Park unter Denkmalschutz stehen sollte. Das Schloss Wiepersdorf bei Jüterbog ist so ein Objekt. Bettina und Achim von Armin haben hier gelebt und wurden dort auch beerdigt, später ließ ihr Enkel, der Maler Achim von Arnim, das Schloss und vor allem den Garten im neobarocken Stil umbauen. Dies ist eines der bedeutendsten Gartendenkmale in Brandenburg.

Meine Religion ist mir sehr wichtig. Die Familie meines Vaters war jüdisch und schloss sich dann dem katholischen Glauben an. So bin ich auch aufgewachsen. Doch mit Ende 20 bemerkte ich, wie fremd mir diese Religion war, und beschloss zu konvertieren. Zwei bis drei Jahre lernte ich intensiv mit einem Vorbeter der Synagoge Joachimsthaler Straße und ging dann in Den Haag vor einen Beit Din. Diese Zeit legte das Fundament für meine religiöse Praxis. So bete ich dreimal täglich, lege Tefillin und halte so gut es geht die Kaschrut.

Meine Synagoge war von Anfang an die Pestalozzistraße. Vor mehr als 20 Jahren wurde ich dann gefragt, ob ich Gabbai werden möchte, worüber ich mich sehr gefreut habe. Ich habe das als große Ehre empfunden und wurde auf Anhieb gewählt. Damals war ich der Benjamin, nun bin ich der dienstälteste Gabbai und kann Geschichten aus der »grauen Vorzeit« zum Besten geben.

Förderung Die Bauangelegenheiten der Synagoge sind mein Aufgabenbereich. Vor einigen Jahren wurde klar, dass die Synagoge dringend restauriert werden müsste, und wir stellten bei der Stiftung der Deutschen Klassenlotterie einen Förderantrag. Heute sitze ich in der Synagoge, die nun wieder so aussieht wie bei ihrer Eröffnung 1912, und freue mich darüber, wie schön sie geworden ist. Auch der Kidduschsaal ist mittlerweile saniert und sieht elegant, festlich und einladend aus. Das nächste Projekt ist eine neue Sukka, die sowohl als Festzelt im Sommer als auch als Laubhütte im Herbst dienen soll. Außerdem planen wir neue Jugendräume.

Zwei Hobbys habe ich: Ich bin passionierter Motorradfahrer. Mit meiner »Triumph« düse ich gerne durch die schöne Umgebung Berlins. Und ich bin ein fleißiger Museumsbesucher. Malerei hat mich seit meiner Kindheit fasziniert, und ich habe schon früh begonnen, Kunst zu sammeln. Meine Freunde nennen meine Wohnung ein kleines Museum.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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