Stuttgart

Oft entscheidet der erste Ton

Die Jury: Emil Rovner, Dimitri Rudiakov, Margarita Volkova-Mendzelevskaya und Norbert Niederer (v.l.) Foto: Brigitte Jähnigen


So gut klingt Zukunft», und das wieder live im Gemeindesaal der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW): 43 Bewerber aus Deutschland, Irland, der Ukraine und Israel präsentierten am 22. und 29. Mai beim 16. Internationalen Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerb 2022 ihr musikalisches Können vor einer hochkarätigen Jury. Doch woran erkennen die Jurymitglieder Talent, das zu fördern und auszuzeichnen ist?

Eliana Esther Rovner nimmt die Violine an die Schulter, hebt den Geigenbogen, beginnt das «Grave» aus dem Violinkonzert in D-Dur von Georg Anton Benda (1722–1795). Schon der erste Ton erzeugt bei den Zuhörern Gänsehaut. Ist es die Bittersüße der Komposition des Böhmen, oder ist es das Besondere des ersten Tons, an dem Margarita Volkova-Mendzelevskaya ein Talent erkennt? «Ich höre es am ersten Ton, ob ein Kind oder ein Jugendlicher Talent hat, und natürlich auch an der Art der Präsentation», erklärt die Klavierpädagogin und Jury-Vorsitzende.

Emotion Er spüre «die Liebe zur Musik» bei den Teilnehmenden, sagt Dimitri Rudiakov. Der Stuttgarter Fagottist spricht von der Kantilene, der lyrischen Stimmführung, die ihn bei einem Vortrag überzeugen sollte.
Und doch bleibt die Juryarbeit und -entscheidung eine Balance zwischen Wohlwollen und konstruktiver Kritik. «Wir versuchen eine wohlwollende Bewertung, die für die Kinder und Jugendlichen nachvollziehbar ist», sagt Norbert Niederer. Die Bewertung ergebe sich aus musikalischen und technischen Aspekten, sagt der Trompeter aus Oberboihingen, der ebenfalls der Jury zum Karl-Adler-Musikwettbewerb angehört.

In zwei Tagen hört sich die Jury Beiträge von 43 Bewerberinnen und Bewerbern an.

Wie hoch und intensiv muss die Konzentration der Jurymitglieder sein, wenn sie zwei Tage lang 43 Bewerberinnen und Bewerbern zuhören will? Darf sie Missfallen äußern, anerkennend raunen, vor Begeisterung im Rhythmus mitwippen? «Wir sind Menschen. Wir haben Emotionen. Wir sitzen bestimmt nicht mit verkniffenen Lippen da und hören zu. Wenn Musik wirkt, wirkt sie auch auf uns», sagt Norbert Niederer, bestätigt von den anderen Jurymitgliedern.

Kommunikation «Jeder Wettbewerbsteilnehmer, aber auch die Eltern und Lehrer haben die Möglichkeit des Gesprächs mit uns», ergänzt Margarita Volkova-Mendzelevskaya. Die Jury gebe durchaus auch Empfehlungen, den Lehrer zu wechseln, wenn sie es für nötig befände. Das habe schon zu großen Erfolgen geführt, sagt die Initiatorin des Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerbs. Talent kann eine individuelle Anlage sein, die unterschiedliche Lehrer auf unterschiedliche Art wecken könnten, sagt auch Norbert Niederer.

Wie fühlt es sich am Ende eines langen Wettbewerbstages mit einer Überfülle an Klängen und Rhythmen im Kopf und im Herzen an? «Man ist müde, aber zufrieden. Man hat Verantwortung, sieht die Fortschritte und will den Kindern auf keinen Fall den Mut nehmen», sagt Josef Rissin, Geiger und Professor für Violine an der Hochschule für Musik Karlsruhe.

Kontinuität Der Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerb findet jedes Jahr statt. Daraus ergibt sich eine besondere Kontinuität, die die künstlerische Entwicklung der Teilnehmenden fördert und so auch von der Jury wahrgenommen wird. Wer die Wettbewerbe in den vergangenen Jahren verfolgte, kennt Namen von Teilnehmern, die weder Kosten noch Mühen scheuen, um immer wieder nach Stuttgart zu kommen. Teilnehmen dürfen Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 28 Jahren. Ihre Vorträge werden nach genau festgelegten Kriterien bewertet.

In den vergangenen zwei Covid-Jahren mussten sich die Musiker per Video präsentieren.

«Im Laufe der Jahre hat sich ein wunderbares Jury-Team gebildet – auch das ist ein großer Erfolg des Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerbs», sagt Volkova-Mendzelev­skaya. In den vergangenen beiden Jahren allerdings konnten sich die Teilnehmer wegen der Covid-Schutzmaßnahmen nur per Video präsentieren. Doch die Originalität des Vortrags kann am besten in Präsenz bewertet werden – darin sind sich alle Jury­mitglieder einig.

Preisträger Eliana Esther Rovner hat nicht nur mit ihrem ersten Ton aus Bendas «Grave» Talent gezeigt. Die Jury zeichnete sie für ihren Gesamtvortrag mit einem 1. Preis A für außergewöhnliche Leistungen aus. Der Freiburger Pianist Ofer Stolarov nahm den Grand Prix entgegen. Zu einem Konzert mit dem Kammerorchester Nigun im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle wurde die Cellistin Elina Singer aus Stuttgart eingeladen. Dank eines umfangreichen Preisträgerfonds, zu dem der Zentralrat der Juden in Deutschland, die IRGW, aber auch Einrichtungen und Privatpersonen gehören, konnten auch beim 16. Karl-Adler-Jugend-Musikwettbewerb zahlreiche Teilnehmende ausgezeichnet werden. Das Preisträgerkonzert und die öffentliche Preisverleihung finden am 26. Juni um 15 Uhr im Saal der IRGW statt.

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025

Freiwilligendienst

Helfen und lernen

Vier Israelis erzählen, warum sie ehrenamtlich in Deutschland arbeiten

von Christine Schmitt  06.07.2025

Porträt der Woche

Die Welt verbessern

Noam Quensel möchte sich engagieren und das Judentum nach außen tragen

von Eugen El  06.07.2025

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  06.07.2025 Aktualisiert

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert