Hamburg

Odyssee der Bücher

Ellen Presser (M.) nimmt den Nachlass in Empfang. Foto: Moritz Piehler

Mit einem kleinen Festakt hat das Institut der Geschichte der Deutschen Juden in Hamburg (IGDJ) Bücher der »Cossmann-Werner-Bibliothek« an die Israelische Kultusgemeinde München (IKG) zurückgegeben. Stellvertretend für die IKG nahm die Leiterin des Kulturzentrums, Ellen Presser, die 13 Bände in Empfang.

Seit 2013 arbeitet das Institut in der Provenienzforschung, um die Herkunft etwaiger Raubgutbücher in den eigenen Beständen offenzulegen und diese an ihre rechtmäßigen Besitzer oder deren Erben zurückzugeben. Autogramme, Widmungen, Exlibris und Stempel helfen den beiden Wissenschaftlern Susanne Küther und Jörn Kreuzer bei der detektivischen Arbeit.

Schwieriger, als den ursprünglichen Besitzer zu ermitteln, sei es oft, heutige Nachfahren zu finden. Aus den 8300 vor 1945 publizierten Büchern des Bestandes fanden sich bei 945 Hinweise, die sie als Raubgut identifizieren ließen. Bei jedem einzelnen Buch erforschten Küther und Kreuzer, wem es gehörte. Die Werke seien schließlich »mehr als die Summe ihrer Buchstaben«, betonte Kreuzer. Oft gelangten die Bücher als Geschenk der Unibibliothek ans Institut, das sie wiederum von der Gestapo, aus »Judenauktionen« oder günstig von emigrierten Juden erhalten hatte.

»Archival Depot« Unzählige Bücher wurden von den Nazis vernichtet, aber ein großer Teil der jüdischen Privat- und Institutionsbibliotheken wurde nach dem sogenannten Blitzbefehl, dem Fernschreiben von Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamts, zur Pogromnacht 1938 zentral gesammelt, um eine »Bibliothek zur weltanschaulichen Gegnerforschung« aufzubauen.

In den Wirren des Krieges wurden viele Bücher an andere NS-Organisationen weitergegeben, verbrannten bei Bombenangriffen oder wurden ausgelagert, ohne katalogisiert zu werden. Nach 1945 sammelten die Alliierten die Bestände im »Archival Depot« in Offenbach. Wo sich kein Besitzer finden ließ, wurden die Bücher weltweit an jüdische Institutionen weitergegeben.

Die Erklärung der Washingtoner Konferenz von 1998 veranlasste auch jüngere Institute wie das IGDJ, ihre Bestände erneut oder erstmalig auf etwaiges Raubgut zu überprüfen. Seit 2008 gibt es entsprechende Fördermittel. Im vergangenen Jahr wurde das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg gegründet, das sich gezielt um die Koordinierung und Förderung der Provenienzforschung kümmert.

Aufarbeitung Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky lobte die Arbeit des IGDJ: »Wenn wir wissen, dass wir im Bereich der geschichtlichen Aufarbeitung beruhigt sein können, dann können wir uns um Gegenwart und Zukunft kümmern.« Gerade in seiner Familie hatten Bücher große Bedeutung. Sein Urgroßvater hatte bei seiner Emigration vier Kisten mit Talmudbänden aus Hamburg mitgenommen. Ihre Reise führte über Rotterdam, die USA, Jerusalem und nach dem Tod der Großeltern wieder zurück nach Hamburg.

Den Weg der »Remigration« treten nun auch die 13 Bände nach München an. Und Ellen Presser erhielt ähnlich gute Nachrichten bereits aus anderen Bibliotheken, wo sich Bände der Cossmann-Werner-Bibliothek fanden. Die freudige Nachricht von Jörn Kreuzer erreichte die Münchner Gemeinde im vergangenen Sommer zum 200-jährigen Jubiläum der Gemeinde.

»Für die Münchner ist es eine kleine bis mittlere Sensation, Bücher aus der Bibliothek des vierten Gemeinderabbiners wieder mit in die Kehilla nehmen zu dürfen«, sagte Presser. Sie hofft, schon im kommenden Jahr mit den restituierten Büchern aus Prag, Berlin und Hamburg eine kleine Bibliothek im Gedenken an Rabbiner Cossmann Werner in München eröffnen zu können. »Und dann werde ich mich hinsetzen und jedes der Bücher lesen«, freut sich Presser. Denn schließlich seien sie auch Indizien für die Lebens- und Gedankenwelten ihrer vorherigen Besitzer. Moritz Piehler

Interview

»Physisch geht es mir gut, psychisch ist ewas anderes«

Sacha Stawski über den Angriff auf ihn und seine Kritik an Frankfurts Oberbürgermeister

von Helmut Kuhn  28.08.2025

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  28.08.2025

Zentralrat

Schuster sieht Strukturwandel bei jüdischen Gemeinden

Aktuell sei der Zentralrat auch gefordert, über religiöse Fragen hinaus den jüdischen Gemeinden bei der Organisation ihrer Sicherheit zu helfen

 27.08.2025

Gedenken

30 neue Stolpersteine für Magdeburg

Insgesamt gebe es in der Stadt bislang mehr als 830 Stolpersteine

 26.08.2025

München

Schalom, Chawerim!

Der Religionslehrer Asaf Grünwald legt Woche für Woche in Kurzvideos den aktuellen Tora-Text für die Gemeindemitglieder aus

von Luis Gruhler  26.08.2025

Frankfurt am Main

Jüdische Gemeinde ehrt Salomon Korn und Leo Latasch

Beide haben über Jahrzehnte hinweg das jüdische Leben in der Stadt geprägt

 26.08.2025

Neuanfang

Berliner Fußballverein entdeckt seine jüdischen Wurzeln neu

Im Berliner Stadtteil Wedding spielt ein unterklassiger Amateurverein, dessen Geschichte mit einigen der bedeutendsten jüdischen Vereine der Stadt verbunden ist. Der junge Vorstand des Vereins will die eigene Geschichte jetzt aufarbeiten

von Jonas Grimm  25.08.2025

Geburtstag

Renate Aris wird 90

Die Chemnitzer Zeitzeugin prägt seit Jahrzehnten das jüdische Leben der Stadt. Sie hat noch viel vor – eine Tour auf dem »Purple Path« zum Beispiel

von Anett Böttger  25.08.2025

Interview

Unikate und Exlibris

Seit fünf Jahren arbeitet Susanne Riexinger in der Münchner Gemeindebibliothek. Ein Gespräch über Katalogisierung, Provenienz und Geschichte in Büchern

von Luis Gruhler  24.08.2025