Eine »Crime Scene« mit roten Absperrbändern ist noch in dem Büro von Noga Hartmann aufgebaut. »Wir haben hier gerade einen Abistreich erlebt«, sagt die Direktorin der I. E. Lichtigfeld-Schule in Frankfurt. Ihr Büro wurde zum Schauplatz eines Verbrechens, das gelöst wurde.
In der vergangenen Woche gab es Tauziehen, Spiele für Schüler und Lehrer sowie eine Wasserschlacht. »Die passte ja bestens zu Schawuot.« Per Durchsage haben sich am Ende des Schultags die 26 Abiturientinnen und Abiturienten bei ihren Mitschülern sowie den Lehrkräften bedankt und sich verabschiedet. Es ist der dritte Jahrgang, der an dieser Schule sein Abitur ablegt.
BALL Derzeit müssen die Schüler nur noch für ihre mündlichen Prüfungen Mitte Juni pauken, denn die schriftlichen haben sie bereits hinter sich. »So viele Prüflinge in einer Stufe hatten wir noch nie«, sagt Noga Hartmann, die vor Jahren von der Berliner Heinz-Galinski-Schule nach Frankfurt wechselte, um die gymnasiale Oberstufe aufzubauen.
Es sei sehr viel Arbeit gewesen, sagt sie. Aber das Ergebnis sei »toll«. Um Gelder für den Abiball zu sammeln, wurden Pausensnacks verkauft, ein Klassenraum zwischenzeitlich in ein Kino verwandelt und musikalische Abende veranstaltet. »Wir waren baff, wie konsequent sie bei der Sache waren«, so Hartmann.
Auch in den nächsten Jahrgängen kommen jeweils knapp 30 Schüler nach, die die Allgemeine Hochschulreife anstreben. Der erste Abitur-Jahrgang an dieser Schule bestand noch aus einem Jungen und zehn Mädchen, der zweite aus sieben Absolventen. »Wir haben viele Anfragen und Anmeldungen, sodass wir mittlerweile ein Problem mit den Räumlichkeiten bekommen«, sagt Hartmann. Und weitere Lehrkräfte würden damit auch gebraucht.
stolz Insgesamt 633 Schüler zählt derzeit die Schule. »Wir sind stolz auf unsere Abiturientinnen und Abiturienten«, so Hartmann. Eigentlich wolle man sich gar nicht von ihnen verabschieden. Andererseits können »wir froh sein, dass die jungen Erwachsenen uns nun nicht mehr brauchen«. Und so soll es sein, sagt Hartmann.
Das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn in Berlin gehört zu den größten jüdischen Schulen in Deutschland. Aktuell zählt es 69 Abiturientinnen und Abiturienten. Im vergangenen Jahr waren es 73, von denen sieben einen Durchschnitt von 1,0 erzielten. 17 erreichten einen Schnitt, der unter 1,5 lag.
»Ich werde gern an meine Schulzeit zurückdenken, denn in diesen Jahren habe ich auch meine besten Freunde gefunden.«
Leona Kossev
»Den Abistreich haben wir während unserer Mottowoche gemacht«, sagt Leona Kossev. Alle 69 Schüler verkleideten sich zum Thema Mafia. Und mit einer Schuldurchsage ließen sie ausrichten, die Lehrer seien alle Verbrecher und würden nun verhaftet. Auf dem Schulhof mussten sie Aufgaben lösen, um freizukommen. Beispielsweise musste die Kunstlehrerin ein Dadaismus-Gedicht aufsagen, der Lehrer für Darstellendes Spiel ein Theaterstück aufführen. Zum Schluss warfen die Abiturienten alte Schulpapiere und Süßigkeiten aus den Fenstern.
Zur neunten Klasse wechselte Leona zum Jüdischen Gymnasium. Die Abitur-Prüfungen seien für sie reibungslos gelaufen, sie rechne mit einem guten Durchschnitt und möchte anschließend Jura studieren. Eines weiß sie jetzt schon: Sie wird gern an ihre Schulzeit zurückdenken, denn in diesen Jahren hat sie auch ihre besten Freunde gefunden.
BESTNOTE Die schönsten Momente im Berufsleben von Heike Michalak, Direktorin der Jüdischen Traditionsschule Or Avner in Berlin, waren, als »ihre« Abiturienten den besten Durchschnitt von ganz Berlin hatten, was 2018 und 2021 der Fall war. »Das war eine große Bestätigung für unsere Arbeit«, sagt sie. 186 Kinder und Jugendliche besuchen derzeit die Schule am Spandauer Damm. Sechs von ihnen werden in den nächsten Wochen ihr Abitur in der Tasche haben. »Die Zahl hält sich stabil.« Es gab auch schon Jahrgänge, in denen es drei oder elf waren. »Die Nachfrage steigt, denn viele wollen erst in höheren Stufen zu uns wechseln«, so Michalak.
Sie freut sich, dass Or Avner ab dem nächsten Schuljahr eine neue Adresse haben wird, da die Schule in den Pears Jüdischen Campus in der Westfälischen Straße umziehen wird. Drei Etagen stehen dann zur Verfügung. »Da können wir die gymnasiale Oberstufe richtig gut ausbauen.« Zu den derzeitigen Klassen zählen auch vier Willkommensklassen, zwei von ihnen in der Oberstufe. »Es ist mittlerweile bei uns sehr laut und eng, es wird Zeit für eine räumliche Veränderung.«
Auch seien ehemalige Schüler, die vor Jahren das Abi gemacht haben, nun als Lehrer an die Schule zurückgekehrt. »So haben wir das Glück, dass auch jüdische Religion in perfektem Deutsch unterrichtet wird.« Manche Kinder kenne sie seit der ersten Klasse. Dieses Mal seien es drei. »Erst waren sie kleine Kinder, nun sind sie plötzlich erwachsen.«
stundenplan Einer von ihnen ist Moshe Schapiro, der mit seinen 17 Jahren der Zweitjüngste in der Stufe ist. Für ihn war es wichtig, die jüdischen Fächer im Stundenplan zu haben. Die Klausuren sind gerade erst vorbei. »Gefühlt habe ich nicht genug gelernt.« Was er nun machen wird, weiß er noch nicht. »Auf jeden Fall etwas Nützliches, vielleicht gehe ich für ein Jahr ins Ausland.«
An der Lauder Beth-Zion Schule, ebenfalls in Berlin, werden im Juni vier Schüler ihre Hochschulreife erhalten. Die vier Tichon-Schüler absolvieren das israelische Abitur Bagrut. Insgesamt besuchen 110 Kinder und Jugendliche die Schule.
Die elf Abiturienten des Joseph-Carlebach-Bildungshauses in Hamburg sind derzeit fleißig am Lernen. Yaniv Golan, der vor einem Jahr sein Abi gemacht hat, erinnert sich gern an seine Schulzeit. Er gehörte dem zweiten Jahrgang der Abiturienten an. »Ich würde mich immer wieder für diese Schule entscheiden.« Für ihn waren die jüdischen Fächer wie Religion und Hebräisch wichtig. Aber was ihm ebenso gefiel, war, dass Christen, Atheisten und Muslime die Schule besuchten. Zu zehnt lernten sie fürs Abitur. Und feierten auch einen Abiball mit den Lehrern und älteren Schülern. »Das war ein sehr schöner Abend.« Nach der Schulzeit ging er für ein halbes Jahr nach Israel.
ZEUGNISVERGABE Auch die jüdischen Schulen in Düsseldorf und München werden größer. »Unser Gymnasium befindet sich noch im Aufbau, nächstes Schuljahr haben wir das erste Abitur«, teilt Miriam Geldmacher, Direktorin des Helene-Habermann-Gymnasiums, mit.
»Wir werden am 21. Juni 2024 das erste Abitur an unserer Schule vergeben«, sagt Michael Anger, Schulleiter des Albert-Einstein-Gymnasiums in Düsseldorf. Dies stelle in Nordrhein-Westfalen eine ganz besondere Feierlichkeit dar – das erste jüdische Gymnasium dort vergibt erstmalig die Allgemeine Hochschulreife. Er rechne mit etwa 35 Absolventen. »Wir werden neben einer feierlichen Zeugnisvergabe abends einen besonderen Kabbalat Schabbat feiern.« Ein Datum, auf das alle an der Schule mit viel Kraft seit acht Jahren hingearbeitet haben.