Hamburg

Nicht Welt, nicht Kultur, nicht Erbe?

Kämpft für den Friedhof und Erhalt des sefardischen Andenkens: Michael Studemund-Halévy Foto: Heike Linde-Lembke

Die schöne Rachel und ihre Zwillingsschwester aus Curaçao werden nicht zueinander finden. Die Figurine, ein Beispiel bester sefardischer Grabsteinkunst aus dem 17. Jahrhundert, die sich über die Idylle mit Hirten und Schafen zu freuen scheint, steht auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Altona an der Königstraße.

Im Zuge des Antrags auf Aufnahme in die UNESCO-Weltkulturerbeliste sollten die Schwestern zusammengebracht werden. Da aber Hamburg seinen ersten Antrag kurzfristig zurückgezogen hatte, prüfte das Denkmalschutzamt die Möglichkeit, einen gemeinsamen Antrag mit den Niederlanden zu stellen. Doch die winkten ab.

»Die Holländer wollten nicht, weil sie langfristig ohnehin aus dem Weltkulturerbe-Programm aussteigen«, sagt Michael Studemund-Halévy, der den Jüdischen Friedhof Königstraße in Hamburg-Altona seit Jahrzehnten erforscht und dafür durch die ganze Welt reist.

karibik Die Inquisition der katholischen Kirche hatte die Juden von der Iberischen Halbinsel vertrieben, ihre Grabkunst nahmen sie nicht nur in den europäischen Norden, nach Hamburg, Amsterdam und Venedig, sondern auch in die Karibik mit. Und so kam es, dass Rachel aus Hamburg-Altona eine Zwillingsschwester in Curaçao hat.

Viele sefardische Friedhöfe, vor allem in der Karibik, entsprechen kaum mehr den Richtlinien der UNESCO.

Die niederländischen Denkmalschützer schlugen vor, sefardische Stätten wie Friedhöfe, Mikwot und Synagogen weltweit zu erforschen, gemeinsame Verbindungen zu entdecken und neu zu erstellen. Das beträfe vor allem die Friedhöfe und Synagogen. »Das wäre ein lohnenswertes Ziel, doch dafür müsste erst einmal ein Forschungsprojekt initiiert werden«, sagt Studemund-Halévy.

Außerdem entsprächen viele sefardische Friedhöfe, vor allem in der Karibik, kaum mehr den Richtlinien der UNESCO. »In Surinam sind viele Steine verschwunden, in Curaçao haben die Abgase der Raffinerien die Hälfte der Inschriften und des Bildschmucks zerstört, und auf Barbados wurde der beeindruckende Friedhof zu Tode saniert«, hat Studemund-Halévy auf seinen Reisen in die Karibik schmerzhaft feststellen müssen.

Königstraße Der sefardische Friedhof Königstraße ist mit einem aschkenasischen Teil verbunden, und die im August 1945 neu gegründete Jüdische Gemeinde Hamburg setzte mithilfe des Denkmalschutzes, dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden und einigen Stiftungen alles daran, den zerstörten Friedhof zu schützen, zu pflegen und zu restaurieren. Denn nicht nur die Bomben, auch Menschen trugen zur Zerstörung bei. Viele Teile vom sefardischen Teil wurden auf der aschkenasischen Seite wiedergefunden und umgekehrt. Grabsteine wurden entwendet, als Baumaterial und Gartenschmuck missbraucht und dienten sogar zur Befestigung des Elbufers oder beim U-Bahn-Bau.

Studemund-Halévy, Autor, Übersetzer und Sprachkundler des Ladino, hatte einst Rachels Zwillingsschwester auf dem Friedhof in Curaçao entdeckt. Seit 1990 sorgen er und sein Kollege Dan Bondy, der gemeinsam mit anderen Forschern den aschkenasischen Teil des Friedhofs Königstraße betreut, dafür, dass der knapp zwei Hektar große Friedhof erforscht und restauriert wird.

InventUr »Ich arbeite weiter an, für und auf dem Friedhof, und das eng zusammen mit Kollegen auf den karibischen Inseln«, sagt Studemund-Halévy. Und so reist er immer wieder in die Karibik, um Synagogen, Mikwot, Bibliotheken, Schulen und die Grabinschriften zu inventarisieren und auf einer Datenbank zu digitalisieren, in der alle verfügbaren Informationen zusammengefasst werden.

Der Friedhof Königstraße erzählt mit mehr als 1600 Grabplatten vom Leben der sefardischen Juden in Hamburg. »Viele der kunstvollen Insignien und Verzierungen sind sogar christlichen Ursprungs, weil die Steinmetze vermutlich Christen waren«, erzählt Studemund-Halévy. Heute sind sie versunken, und die Quader liegen mit spitzem Dach direkt auf der Erde, Denkmäler für Hamburgs Sefardim. Und über all dem lächelt die schöne Rachel – ohne Welterbetitel.

Interview

»Das ist meine Mission«

Die 101-Jährige Margot Friedländer über ihre neue Stiftung, Erinnerungsarbeit und ein Vermächtnis

von Christine Schmitt  25.09.2023

Jom Kippur

Berlin sendet beste Wünsche zu Jom Kippur

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner wünschte ein »friedvolles Fest«

 24.09.2023

Antisemitismusbeauftragter

Salzborn für weitere Straßenumbenennungen

Nötig sei an dieser Stelle ein stärkeres historisches Bewusstsein

 24.09.2023

München

Politische Debatte

Zur bevorstehenden Landtagswahl lud die Israelitische Kultusgemeinde führende Vertreter der demokratischen Parteien ein

von Andrea Kästle  23.09.2023

Einblicke

Pausen? Kaum möglich

Rebbetzins haben während der Feiertage viel zu tun – in der Familie und in der Gemeinde

von Christine Schmitt  23.09.2023

Auszeichnung

Verdienstkreuz am Bande für Ernst Grube

Schon vor der Verleihungszeremonie wurde Grube gratuliert

 22.09.2023

leer

Der Holocaust-Überlebende Weinberg ist Ehrenbürger von Leer

Nachdem er als jüdisches Kind vertrieben wurde, überlebte er Auschwitz

von Karen Miether, Wolfgang Stelljes  22.09.2023

Berlin

Open-Air-Synagoge zu Jom Kippur

Der Grund: Die Gemeinde ist stark gewachsen

 22.09.2023

Moses-Mendelssohn-Zentrum

Neues Netzwerk-Portal »Jüdische Geschichte online« gestartet

Das Fach-Portal ermöglicht eine komfortable und übergreifende Recherche

 21.09.2023