ZWST-Projekt

»Netzwerk für Menschen mit Behinderung«

Berät Gemeinden, wenn es um die Integration von behinderten Mitgliedern geht: Dinah Kohan Foto: Uwe Steinert

ZWST-Projekt

»Netzwerk für Menschen mit Behinderung«

Fünf Minuten mit Dinah Kohan über ihre Doktorarbeit und Tips für Gemeinden

von Christine Schmitt  21.07.2015 21:28 Uhr

Frau Kohan, Sie arbeiten am Projekt der ZWST »Menschen mit Behinderung« mit. In Ihrer Doktorarbeit haben Sie untersucht, ob Migration und Behinderung zwangsläufig eine doppelte Belastung bedeuten. Wie fällt Ihr Ergebnis aus?
In der Literatur wird immer davon ausgegangen, dass es eine Doppelbelastung für Zuwanderer mit einem behinderten Familienmitglied gibt. Das erscheint logisch: Im neuen Land versteht man die Sprache nicht, muss sich zurechtfinden, man weiß nicht, welche Hilfsangebote es gibt, Familienmitglieder oder Freunde, die helfen könnten und die man in der Heimat noch hatte, fehlen nun. Ich habe aber festgestellt, dass für etliche Zuwanderer, die ein behindertes Familienmitglied haben, die Migration von Vorteil ist.

Wie kommt das?
In der Sowjetunion gab es keine Werkstätten für Behinderte, kaum Schulen für gehandicapte Kinder. Ebenso fehlte finanzielle Unterstützung wie beispielsweise Pflegegeld und Fördermaßnahmen. Und die Haltung in der Gesellschaft war negativ, sodass es trotz aller genannten Integrationsprobleme für diese Familien leichter ist, in Deutschland zu leben.

Ist Deutschland behindertenfreundlicher?
Die Leute, die ich befragt habe, waren erstaunt über die freundliche Atmosphäre und wie gut Menschen mit Behinderungen behandelt werden. Außerdem gibt es spezielle Werkstätten und Schulen. Ein Vater erzählte, dass er immer mit einem Bus, den viele behinderte Menschen nutzen, fährt und sich über den guten Umgangston freut.

Welche Behinderungen haben Ihre Probanden, die Sie für Ihre Dissertation befragten?
Ich konzentrierte mich auf Menschen mit geistigen Behinderungen, die beispielsweise mit dem Down-Syndrom, Intelligenzminderungen oder Hirnverletzungen durch einen Unfall leben. Wir haben in unserem ZWST-Projekt aber auch Menschen mit psychischen Behinderungen. Da sieht die Situation aber ganz anders aus.

Inwiefern?
Das Netzwerk für Menschen mit einer geistigen Behinderung ist gut und übersichtlich gestaltet. Bei Menschen mit einer psychischen Behinderung ist die Diagnose schwieriger. Diese Menschen wollen meist zu keinem Arzt und auch keine Diagnose hören. Es gibt viel weniger klare Hilfsangebote. Meistens sind die Menschen sehr intelligent, können aber aufgrund ihrer Erkrankung nicht arbeiten. Das ist für sie und ihre Angehörigen schwer einzusehen.

Wie können die jüdischen Gemeinden ihr Angebot diesbezüglich verbessern?
Ich würde mir wünschen, dass einige jüdische Gemeinden dieser Personengruppe mehr Interesse und Akzeptanz entgegenbringen. Wiewohl einige sehr rege sind und behinderten Menschen unter anderem Kunstkurse anbieten. Aber es wäre schön, wenn wir mit mehr Gemeinden vernetzt wären.

Was leistet die ZWST?

Anfangs konzentrierten wir uns darauf, dass in den Gemeinden Selbsthilfegruppen entstehen, wir über Unterstützungsleistungen informieren und Freizeiten veranstalten. Das machen wir weiter. Nun möchten wir differenziertere Angebote schaffen: Seit vergangenem Oktober gibt es ein Autismus-Projekt, in dem wir gezielt über diese Behinderung informieren. Wir möchten auch jüngere Leute ansprechen, daher haben wir ein Projekt zu inklusiven Angeboten gestartet.

Warum berücksichtigen Sie in Ihrem Projekt keine körperlich Behinderten?
Wir haben erst einmal geschaut, welche Hilfsangebote wir überhaupt schaffen können. Die Häuser, in denen unsere Freizeiten stattfinden, sind nicht barrierefrei. Wir können derzeit auch nicht die erforderliche Assistenz leisten. Aber wir helfen den Gemeinden, Gelder zu beantragen, damit ihre Zugänge barrierefrei werden. Beispielsweise werden wir den Kindergarten der Jüdischen Gemeinde Frankfurt beraten, wie man Geld für einen barrierefreien Spielplatz erhalten kann. »Aktion Mensch« hilft bei so einem Projekt mit 5000 Euro.

Mit der Gerontologin und Koordinationsleiterin des ZWST-Projekts »Menschen mit Behinderung« sprach Christine Schmitt.

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