Lörrach

Mit Widderhorn und Wandkalender

Vor den Hohen Feiertagen hat Rabbiner Moshe Flomenmann viel zu tun

von Christine Schmitt  15.09.2022 09:39 Uhr

»Jeder kann lernen, auf dem Schofar zu blasen«: Rabbiner Moshe Flomenmann Foto: Doro Amar

Vor den Hohen Feiertagen hat Rabbiner Moshe Flomenmann viel zu tun

von Christine Schmitt  15.09.2022 09:39 Uhr

Den ersten eigenen Schofar hielt er bereits als Jugendlicher in seinen Händen. »Seitdem begleitet mich das Horn«, sagt Moshe Flomenmann, Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Lörrach und Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden.

Mehr als 25 Jahre liegt diese Begegnung mit dem Widderhorn nun schon zurück – doch seit jenem Moment ist es ein ganz besonderes Instrument für ihn. Seinerzeit besuchte er die Jewish Academy in Kopenhagen und brachte sich das Blasen des Schofars selbst bei.

schofar-sammlung Mittlerweile verfügt der Rabbiner über eine kleine Schofar-Sammlung. Besonders der alte Schofar, den er von seinen Großeltern geerbt hat, ist etwas Besonderes für ihn, obwohl er nicht viel über das Instrument weiß, außer, dass es sehr wertvoll sein soll. Auch der Schofar, den er vor zwölf Jahren in England gekauft hat, gefällt ihm.

Doch das Allerwichtigste ist für ihn, dass das Naturhorn koscher ist. Es gehe nicht darum, übermäßig viele zu besitzen, sondern darum, ein koscheres zu haben. Wenn ein Stück Horn beispielsweise abbreche, sei es das nicht mehr. »Ein Rosch Haschana ohne Schofar ist keines – und ein Horn ohne die Feiertage wirkt auch nicht.«

Das Allerwichtigste ist für ihn, dass das Naturhorn koscher ist.

Die Tonfolgen und die Blasweise sind zum Morgengebet beim Neujahrsfest ebenso wie am Ende des Versöhnungstages genau festgelegt.
Jetzt, im Monat Elul, unterrichtet Flomenmann die Schüler in Lörrach und möchte ihnen so viel wie möglich über den Schofar beibringen. Jeden Morgen bringt der Ruf des Horns schließlich die Beter zusammen. »Der Ton berührt die Seele und soll die Menschen aufwecken.« Beim Blasen müsse man viele Techniken berücksichtigen, damit lange Töne entstehen können. Aber es sei keine besondere Herausforderung, denn jeder könne es lernen.

Vorbereitungen Wenige Tage vor den Hohen Feiertagen hat der Rabbiner viel zu tun. Soeben sind die 5000 jüdischen Kalender fertig geworden, die an die Mitglieder verteilt werden. 2500 Stück sind Wandkalender, auf den anderen 2500 sind die Daten und Feiertage auf einem DIN-A4-Blatt gedruckt. »Ich kontrolliere, ob alle Mitglieder die Kalender auch bekommen«, sagt der Rabbiner. Ebenso werden sie an den Polizeipräsidenten und seine Mitarbeiter und an das Innenministerium geschickt. »Sie sind unsere Partner, mit denen wir viel zu tun haben und sehr gut zusammenarbeiten.« Es sei seiner Meinung nach angemessen, auch an sie zu denken.

Einigen Gemeindemitgliedern bringt er die Kalender in diesen Tagen höchstpersönlich vorbei. Zum Beispiel dann, wenn er den etwa 40 Schoa-Überlebenden ein Paket mit koscherem Fleisch, Honig und Äpfeln überreicht. »Das Versenden wäre vom Aufwand her günstiger, aber es ist mir wichtig, sie zu besuchen und mit ihnen ein bisschen Zeit zu verbringen.«

Nur mit einem Telefonat ist es für ihn nicht getan. Die älteren Mitglieder würden sich freuen, ihn zu sehen, und wenn der Rabbiner mehr Zeit hätte, würde er auch bei jedem eine Tasse Kaffee mittrinken, »aber dann würde ich vom vielen Koffein Bluthochdruck bekommen«, sagt er lachend. Dennoch: Einen Moment nimmt sich Flomenmann für jeden, weshalb er für diese Besuche immer ein paar Tage in seinem Kalender freihält.

Ukraine In Berdytschiw, einer Stadt in der südlichen Ukraine, wurde Flomenmann 1982 geboren. Sein Urgroßvater war Oberrabbiner, der Großvater Leiter einer jüdischen Schule. 90 Prozent der Bewohner Berdytschiws waren damals Juden, erzählt der Rabbiner. Seine Familie kam nach dem Ende der Sowjetunion 1991 nach Deutschland. Er wusste schon als kleiner Junge, was er werden wollte: Rabbiner.

»Meine Familie ist traditionell geblieben«, sagt er. Auch zu Sowjetzeiten. Als die Flomenmanns nach Deutschland kamen, entschloss sich der Sohn schnell, eine religiöse Schule zu besuchen. Und nahm dafür auch in Kauf, sein Elternhaus zu verlassen. »Das war nicht einfach für mich, aber meine Eltern haben mich immer gut unterstützt.« Mit 13 Jahren schrieb er sich an der Jewish Academy in Kopenhagen ein, auf die die Jeschiwa in Manchester folgte, bei der er die Smicha erhielt. Mit 21 Jahren war er bereits Rabbiner – mit zusätzlichem Highschool-Examen.

Für Flomenmann war es auch wichtig, sich parallel ebenfalls weltlich weiterzubilden. »Meine Eltern wollten, dass ich neben der religiösen Erziehung eine gute Allgemeinbildung bekomme.« Vor seiner jetzigen Gemeinde war Flomenmann – gerade einmal 25 Jahre jung – als Landesrabbiner von Sachsen-Anhalt für die Gemeinden Magdeburg, Halle und Dessau zuständig.

Zu seinen Aufgaben zählt auch, dass alle Gottesdienste der Gemeinden mit einem Rabbiner oder einem Kantor besetzt sind. Da ist es schon des Öfteren vorgekommen war, dass wenige Tage vor Rosch Haschana oder Jom Kippur jemand krank wurde und ausfiel. Und das sei der Moment, in dem er nervös werde, sagt der Vater zweier Kinder.

Zu seinen Aufgaben zählt auch, dass alle Gottesdienste der Gemeinden mit einem Rabbiner oder einem Kantor besetzt sind.

Wenn er einen passenden Kantoren-Ersatz gefunden habe, könne er wieder entspannen. »Glücklicherweise gibt es mittlerweile genug Rabbis und Kantoren, die ihre Zeit anbieten.« Zehn Gemeinden gehören zur Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden. Insgesamt sind das etwa 5000 Mitglieder.

Auch das Amtieren bei den Gottesdiensten sei mitunter eine Herausforderung, der er sich immer wieder gerne stellt. Schließlich kann dieser zu den Hohen Feiertagen schon mal vier Stunden lang sein. Hinterher sei er aber immer glücklich, wenn alles gut gegangen ist.

Neujahr Zur Tradition vor den Hohen Feiertagen zählt auch, dass die Beter mit dem Rabbiner zusammen den jüdischen Friedhof besuchen, um G‹tt zu bitten, der Verdienste der Vorfahren zu gedenken, und gemeinsam das El Male Rachamin zu sprechen. »In diesem Jahr werden viele Flüchtlinge aus der Ukraine mit dabei sein, die an ihre Verwandten und Freunde denken.« Auch das ist Realität.

Und dann noch eine philosophische Frage: Was wird es bringen, das neue Jahr? »Ich hoffe, dass alles gut geht und ich in zwölf Monaten wieder hier stehe.«

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