Auf die Uhr schauen musste vor Langeweile an dem Abend dieses Benefizkonzerts im bis zum letzten Platz gefüllten Hubert-Burda-Saal niemand. Doch als das sinfonische Blasorchester der Polizei Bayern die »Overture in Five Flat« anstimmte, war es dem Publikum nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, auf die verbleibende Zeit zu achten. »Ihr habt fünf Minuten. Wenn ihr drunterbleibt, habt ihr gewonnen«, lautete die Anweisung der US-amerikanischen Komponistin Julie Giroux an die ausführenden Musiker. Das Polizeiorchester brachte das virtuose Stück im rasenden Tempo mit 4:36 Minuten deutlich innerhalb des Zeitfensters und wurde vom begeisterten Publikum verdientermaßen mit Standing Ovations und Riesenapplaus belohnt.
»Ich habe mich sehr lange auf diesen Abend gefreut, und nun ist er endlich da«, erklärte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), Charlotte Knobloch, in ihrem Grußwort begeistert. Das Benefiz- und Gedenkkonzert unter dem Motto »Harmonien der Hoffnung« unter der Leitung von Johann Mösenbichler, Generalmusikdirektor der Bayerischen Polizei, war bereits seit längerer Zeit in Planung gewesen. Zunächst war es vor allem als ein Geschenk des Orchesters zum letzten runden Geburtstag der Präsidentin gedacht. Das war noch vor dem 7. Oktober 2023 und den Attentaten von Aschaffenburg und München, für deren Betroffene nun an diesem Abend Geld gesammelt wurde.
Charlotte Knobloch bat um eine Schweigeminute, um der Opfer zu gedenken
Am Tag nach dem Messerangriff in Aschaffenburg hatte im Münchner Herkulessaal das traditionelle Neujahrskonzert des Polizeiorchesters Bayern stattgefunden, berichtete der bayerische Landespolizeipräsident Michael Schwald in seiner Ansprache. Die IKG-Präsidentin habe sich an ihn gewandt und sinngemäß geflüstert: »Herr Präsident, ich habe doch noch ein Konzert bei Ihnen gut – könnte das zugunsten der Opfer von Aschaffenburg stattfinden?«
Es konnte. Laut Chefdirigent Mösenbichler waren bis zum Konzert bereits 30.000 Euro an Spenden zusammengekommen. Auch der Oberbürgermeister von Aschaffenburg, Jürgen Herzing, war deshalb für das Konzert im Jüdischen Gemeindezentrum angereist. Für die Stadt München nahm der Zweite Bürgermeister Dominik Krause teil. Zahlreiche Vertreter aus der Bayerischen Polizei saßen im Saal, aber ebenso Repräsentanten aus Justiz und Stadtgesellschaft.
»Ich glaube, so viele und hochkarätige Vertreterinnen und Vertreter der Polizei hatten wir noch nie bei einer festlichen Veranstaltung hier im Saal versammelt«, bemerkte Knobloch. Das Konzert stehe, so die Präsidentin, »für so viel Gutes, für Freundliches und Menschliches in einer Zeit, da uns so viel Böses, Unfreundliches und Unmenschliches erschüttert«, betonte sie weiter in ihrem Grußwort. Mit einer Schweigeminute bat sie, der Opfer zu gedenken.
Laut Chefdirigent Mösenbichler waren bis zum Konzert bereits 30.000 Euro an Spenden zusammengekommen
»Unser Mitgefühl gilt auch all denen, die an Leib und Seele verletzt wurden, und den Angehörigen, die den Verlust, die Verletzungen und die Traumatisierung ihrer Liebsten mittragen.« Das Motto des Konzertes müsse nach diesen Ereignissen besonders hervorgehoben werden, so die Präsidentin: »Wo Worte versagen, kann Musik unmittelbar zum Herzen sprechen: Harmonien fangen unsere Gefühle auf. Sie geben ihnen einen Klang, der Trost spendet, der Hoffnung gibt und Lebensfreude schenkt.«
»Ein Herz voller Mitmenschlichkeit macht den Unterschied.«
Michael Schwald
Auch Landespolizeipräsident Michael Schwald setzte den Akzent auf die hoffnungsvolle Botschaft der Musik. »Ein Herz voller Mitmenschlichkeit macht den Unterschied. Mit diesem Konzert wollen wir der Sprachlosigkeit angesichts des großen Leids, das diese Taten verursacht haben, etwas entgegensetzen.«
Diesen Worten entsprach das Konzert vollkommen und bildete ein heiteres, mitunter episch-wuchtiges Kontrastprogramm zu den traurigen Anlässen. Die Oboistin und Moderatorin Elke Uta Rusch führte charmant und kundig durch das Programm.
Moderatorin Elke Uta Rusch führte charmant und kundig durch das Programm
Dabei ließen 45 Musikerinnen und Musiker auf der Bühne »An Epic Fanfare« von Giroux im Saal erschallen. Ebenso wie die rasende »Overture in Five Flat« folgt die Fanfare dem Genre amerikanischer Filmmusik, wie es der jüdisch-österreichische Komponist Max Steiner bereits in den 30er-Jahren mit seinem charakteristischen und brillanten Orchesterklang geprägt hatte. Aber auch heitere Klänge aus der Welt der Operette mit »Banditenstreiche« von Franz von Suppè und eine »Polka« von Johann Strauss erklangen im Hubert-Burda-Saal.
In dem Stück »Fantasy Variations« von James Barnes spielten alle Instrumentgruppen ein bekanntes Thema von Paganini in Variationen und vielen Klangfarben. Die Pfiffe des »Orient Express« von Philip Sparke wurden durch kleine Holzpfeifen imitiert, der Klang der Dampflok wurde mit Perkussionsinstrumenten aus Schleifpapier nachgeahmt. Mit einem Instrumentalauszug aus der Oper »Porgy and Bess« von George Gershwin endete der Abend und hinterließ das Publikum vollauf begeistert. Auch die musikalisch beschenkte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch bekräftigte: »Ich bin jedes Mal begeistert, wenn ich dieses virtuose und so vielseitige Orchester höre.«