Düsseldorf

Meine coole Oma

Eine lebensweise Oma Foto: Thinkstock

Ich stehe vor dem jüdischen Altenheim in Düsseldorf, die Polizisten stehen erstmals seit Langem vor dem grün-weißen Polizeibus und sitzen nicht wie gewöhnlich gelangweilt darin. Ich frage mich, ob dies die neuen Sicherheitsvorkehrungen sind, seit Belgien, seit Frankreich, seit den antisemitischen Demonstrationen in Deutschland. Dann denke ich mir, es ist vielleicht einfach nur warm, sie wollen die Sonne genießen.

Oma freut sich, mich zu sehen, und plant schon den ganzen Nachmittag, den Abend mit mir zu verbringen, und »eigentlich könntest du natürlich auch bei mir schlafen«. Leider, so sage ich, habe ich noch einen Termin.

Da könnte sie ja mitkommen. Lachend winke ich ab und frage, wie es ihr geht. Nicht gut. Was da in Israel los wäre. Unglaublich. »An allem sind die Juden schuld«, singt sie dann. Ein Lied von 1931, in dem man sich darüber lustig macht, dass Juden stets die Sündenböcke sind.

Demos Dann guckt Oma plötzlich ganz besorgt: »Naomi, ich will aber nicht, dass du nach Israel zurückgehst, wenn es da so gefährlich ist.« Das habe ich schon mehrmals diese Woche gehört, von Freunden, meiner Mama und sogar meinem muslimischen Fahrlehrer: »Quatsch, Oma, bei diesen Anti-Israel-Demos, die in Judenfeindlichkeit enden, ist es doch sogar angenehmer, dort zu sein anstatt hier.«

»Da hast du natürlich auch recht. Schrecklich. Jetzt kommen sie wieder, die Antisemiten. »Ich habe heute Nacht überlegt, wie wir dich nach Israel kriegen, wenn sie kommen ...«

Meine paranoide Art ist mir vor Oma nicht peinlich. Sie hat dafür Verständnis. »Ach, ich hab das schon erlebt, mir passiert nichts!« Wir entschließen uns, einen Kaffee im Hof des Altenheimes zu trinken. Kaum sitzen wir, holt Oma ihre Kamera raus und bittet einen Jungen (offenbar macht er hier ein Ferienpraktikum), ein Foto von uns zu machen. »Wie heißt du noch mal?«, fragt Oma. »Luca«, antwortet er schüchtern. »Lukas? Ja, Naomi, der Lukas ist ein ganz Lieber.«

Luca/Lukas lächelt auf eine Art, auf die nur peinlich berührte Jungs im Alter von 13 bis 16 Jahren lächeln können. »Weißt du, Lukas«, sagt Oma, als er ihr die Kamera zurückgibt, »du kommst später mal hoch in mein Zimmer, und ich gebe dir mein Buch.«

Theresienstadt Oma hat, zusammen mit meiner Tante, ein Buch über ihr Leben geschrieben, in dem es vor allen Dingen um ihre Kindheit in Theresienstadt geht. »Nein, das brauchen Sie doch nicht.« »Doch doch, ich gebe dir ein Buch, das gegen Hass ist und die Wichtigkeit der Toleranz zwischen Menschen beschreibt. Es erzählt von damals, als es mal nicht so schön war. Gerade jetzt ist das wieder ganz wichtig!«

Luca weiß erst nicht, was er sagen soll, und fragt dann, in welchem Zimmer Oma denn wohnt. »Im 3. Stock. Edith heiße ich.« Als er gegangen ist, lache ich. Oma guckt mich fragend an. »Weißt du, Oma, wenigstens tust du was dagegen ...« »Ja«, sagt sie, »nochmal passiert mir das nicht!«

Graphic Novel

Gezeichnete Erinnerungen

Die Geschichte von vier Überlebenden für Kinder erzählt

von Jan Popp-Sewing  06.06.2023

Biografie

Schöneberg, Sydney, Neukölln

Der Regisseur Aaron Lucas hat in »Iʼll be Frank« das Leben seines Großvaters verfilmt

von Katrin Richter  06.06.2023

»Slammt Tacheles!«

Poetry Slam-Wettbewerb auf der Zielgeraden

Am 13. Juli wird die Jury die zu prämierenden Beiträge auswählen

von Imanuel Marcus  06.06.2023

»Jetzt ist die Zeit«

Kirchentag in Nürnberg

Im Programm sind zahlreiche jüdische Themen vertreten

von Joshua Schultheis  05.06.2023

Nürnberg

Erstmals wieder ein Gottesdienst an ehemaliger Hauptsynagoge

Am früheren Standort des von den Nazis zerstörten Gotteshauses soll der Schabbat begangen werden

 05.06.2023

Portät der Woche

Blick in die Seele

Alisa Goldman ist Verhaltenstherapeutin und arbeitet im Jüdischen Krankenhaus in Berlin

von Gerhard Haase-Hindenberg  04.06.2023

JLEV

Ein volles Programm

Der Vorstand des neuen liberal-egalitären Verbandes arbeitet an einem umfangreichen Angebot

von Christine Schmitt  04.06.2023

Frankfurt

Ein »Mentsch« mit Verstand

Der Gemeindevorsitzende und Architekt Salomon Korn wird 80 Jahre alt. Eine Würdigung von FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube

von Jürgen Kaube  03.06.2023

Gratulation

Meister der geschliffenen Worte

Der Frankfurter Gemeindevorsitzende und Architekt Salomon Korn wird 80. Ein Grußwort des Zentralratspräsidenten

von Josef Schuster  03.06.2023