Kultur

Mehr als nur Erinnerung

Mit einem Festakt wurde am Sonntag sowohl die Jüdische Woche in der Messestadt feierlich beendet als auch 50 Jahre Beziehungen zwischen Israel und Deutschland begangen. »Leipzig ist die einzige Stadt, die es geschafft hat, zu diesem Anlass sogar authentisches Klima zu organisieren«, scherzt Avraham Nir-Feldklein, Gesandter des Staates Israel, angesichts der Rekordtemperatur in seiner Rede.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, schlug in seiner Rede nachdenklichere Töne an. Er beklagte die negative Stimmung gegenüber Israel in der deutschen Bevölkerung, die oft nur »alter Antisemitismus in neuem Gewand« sei. »Wir müssen aufklären und gegenhalten. Wir müssen auf unsere Sprache achten. Wir müssen unseren Kindern die besondere Bedeutung Israels erklären«, forderte Schuster. Hoffnung würden ihm dagegen die Menschen geben, die sich für einen deutsch-israelischen Austausch engagieren.

alte heimat Eine Art dieses Austauschs ist das Besuchsprogramm der Stadt Leipzig, bei dem ehemalige Leipziger Bürger, die die Schoa überlebten, eingeladen werden, ihre alte Heimat zu besuchen. Und so kommt es, dass Eva Wechsberg drei Tage vor Schusters Rede in der Leipziger Stadtbiblothek steht und ein Portrait von sich selbst begutachtet, das bei ihrem Besuch vor drei Jahren entstand. »Heute habe ich eine andere Haarfarbe«, kommentiert sie die Schwarz-Weiß-Fotografie trocken.

Die 93-Jährige ist extra aus Los Angeles nach Leipzig gereist, um aus ihrem Leben zu erzählen – es ist eines von zahlreichen Zeitzeugengesprächen während der Jüdischen Woche. Doch noch begutachtet Wechsberg die Ausstellung der Fotografin Silvia Hauptmann, die seit rund 20 Jahren das jüdische Leben in Leipzig dokumentiert. Angeregt unterhält sie sich mit einer alten Freundin von damals: Stefanie Segerman, die heute in Israel lebt und mit ihrer Familie nach Leipzig gereist ist.

Eva Wechsberg erzählt aus ihrer Kindheit in Leipzig. Von Handballturnieren und der Schwierigkeit zu fasten, wenn einem der Duft aus einer Schokoladenfabrik entgegenwehte, und von einem regen kulturellen Leben: So war ihr Vater, ein Arzt und engagierter Zionist, zwischenzeitlich Präsident des Kulturbundes Deutscher Juden in Leipzig. Dieser versuchte, den vom Berufsverbot betroffenen jüdischen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen. Und so, erinnert sich die alte Dame, hätten alle Künstler, die in Leipzig gastierten, bei ihnen in der Wohnung übernachtet: »Das waren fruchtbringende, interessante Zeiten.«

emigration Doch sie erspart dem Publikum auch nicht die dunklen Seiten, etwa den Rassismus der Klassenkameraden: »Macht das Fenster auf, hier stinkt’s nach Juden!« oder »Ranzen zumachen! Die Juden klauen!«

Oder auch den Morgen des 10. November 1938, als die damals 16-Jährige mit der Straßenbahn zu einem Kochkurs unterwegs war: »Die Straßenbahn musste einen Umweg fahren, und als sie anhielt und ich ausstieg, stand ich vor meiner Synagoge – die nicht mehr da war. Ich rief zu Hause an, und mein kleiner Bruder ging ans Telefon, da wusste ich, dass auch die jüdische Schule geschlossen hatte. Ich bin dann so schnell wie möglich nach Hause gelaufen.«

Die Familie emigrierte anschließend in die USA. Als die Veranstaltung endet, gibt es wohl niemanden im Saal, der angesichts dieser Geschichten nicht vom ungebrochenen Optimismus der alten Dame beeindruckt wäre.

Doch die Jüdische Woche ist mehr als Zeitzeugengespräche, das macht für Zentralratspräsident Josef Schuster ihren Wert aus: »Sie zeigt jüdische Kultur, jüdisches Leben. Sie gibt die Gelegenheit, Juden kennenzulernen«, sagt er auf dem Empfang im Gewandhaus. »Judentum darf man nicht beschränken auf die Schoa. Die Jüdische Woche zeigt jüdisches Leben davor, danach und heute.«

Sicherheit

»Keine jüdische Veranstaltung soll je abgesagt werden müssen«

Nach dem Massaker von Sydney wendet sich Zentralratspräsident Josef Schuster in einer persönlichen Botschaft an alle Juden in Deutschland: Lasst euch die Freude an Chanukka nicht nehmen!

von Josef Schuster  17.12.2025

Deutschland

»Das Licht wird nicht erlöschen«

Trotz des Terroranschlags in Sydney lassen es sich viele Juden in Deutschland nicht nehmen, öffentlich Chanukka zu feiern. Ein Stimmungsbild

von Christine Schmitt, Helmut Kuhn, Nicole Dreyfus, Ulrike Gräfin Hoensbroech  17.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025