Corona

Manches wird bleiben

Zwischen Flexibilität und Dauerbereitschaft: Homeoffice hat seine Vor- und Nachteile. Foto: Getty Images

Noch vor knapp einem Jahr war Homeoffice in Deutschland die große Ausnahme. Durch die Pandemie hat sich das umfassend geändert – auch in jüdischen Institutionen und Gemeinden wird mittlerweile von zu Hause aus gearbeitet.

»Wir sind als Organisation, die in den USA verankert ist, sehr schnell in den Homeoffice-Modus gewechselt«, sagt Allegra Silbiger, Büromanagerin in der Berliner Niederlassung des American Jewish Committee (AJC). »Dabei haben wir nicht nur die deutschen Vorgaben der Pandemiebekämpfung befolgt und umgesetzt, sondern auch die unseres Hauptbüros in New York.«

Natürlich sei es für alle Kollegen eine große Umstellung gewesen, nicht mehr regelmäßig ins Büro zu kommen und sich unmittelbar mit den anderen austauschen zu können. »Aber alle sind, trotz der widrigen Umstände, sehr produktiv.« Die meisten Kontakte zu den Kollegen erfolgen über Zoom. »Wir treffen uns online viel öfter als früher. Das hebt auch die Stimmung.«

Nebeneffekt Einen besonders positiven Nebeneffekt gebe es dabei auch: »Ich kenne nun viel mehr Kollegen aus den amerikanischen Büros als früher, das ist natürlich schön. Bei den großen Konferenzen sind nämlich die meisten auch im Bild zu sehen.« Ihr Fazit: »Transatlantisch und auch innerhalb Europas hat uns die Pandemie auf eine Art näher zueinander gebracht. Und ich bin sicher, dass dieser Teil auch dann bleiben wird, wenn wir wieder jeden Tag in unseren Büros arbeiten werden.« Online-Treffen können natürlich den direkten Kontakt nicht ersetzen, schon gar nicht in Gruppensituationen, die ja immer eine eigene Dynamik haben.

Auch Erholungspausen seien zu Hause nicht ganz so einfach einzuhalten wie im Büro: »An der Schokolade komme ich gut vorbei«, sagt Silbiger und lacht. »Aber mir fehlt dieses kurze Abschalten, denn hier will ich zum Beispiel nur kurz einen Kaffee holen und räume doch noch schnell in der Küche etwas weg. Das heißt, ich habe dann zwar nicht gearbeitet und nichts Produktives gemacht, aber relaxt bin ich auch nicht, und das ist einfach nicht gut.«

Vor März 2020 gab es keine einheitliche Homeoffice/Remote-Work-Regelung bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST), berichtet Laura Cazés, Referentin für Verbandsentwicklung sowie Leitung Kommunikation und Digitalisierung bei der ZWST. »Allerdings sind es viele in unserem Kollegium durch die kontinuierliche Seminararbeit, die Bildungs- und Beratungsangebote sowie die Machanot gewohnt, sich flexibel auf unterschiedliche Arbeitsmodi einzustellen. Aber selbstverständlich mussten auch bei uns viele Arbeitsplätze mobil aufgerüstet werden.«

Vernetzung Die Flexibilität, mit der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die neue Situation einstellten, habe »insbesondere in den ersten Monaten wirklich einen unglaublichen Anstoß gegeben, zu wissen, dass das Team bereit ist, in Krisenzeiten anzupacken, egal ob von zu Hause aus, im Büro oder im Max-Willner-Heim in Bad Sobernheim«.

Ein weiterer positiver Aspekt: der Bedarf und die Bereitschaft, sich untereinander und auch mit den Gemeinden zu vernetzen. Die Möglichkeiten zum kurzen Online-Austausch, an einem Vortrag oder Info-Treffen teilzunehmen und sich kurzfristig auszutauschen, seien »vor der Pandemie bei Weitem nicht so ausgeschöpft worden«.

Die Arbeit habe dies wiederum insofern bereichert, »als dass wir auf diese Weise nah an den Bedürfnissen der Gemeinden waren und sie so mit dem unterstützen konnten, was sie brauchten. Des Weiteren sind wir natürlich sehr dankbar dafür, dass wir über die Digitalisierungsinitiative Mabat die Gemeinden auch in der Bewältigung digitaler Herausforderungen unterstützen können«.

Beim Zoom-Unterricht treffen sich mehr Leute als im Gemeindezentrum, erzählt Baden-Badens Rabbiner Daniel Naftoli Surovtsev.


Gefehlt habe dagegen der direkte Kontakt zu Menschen. Gleichwohl könne »der Schritt zu dieser Veränderung der Arbeit nicht mehr rückgängig gemacht werden«. Insbesondere für diejenigen, die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige haben, sei die Möglichkeit, die Arbeit zeitlich flexibler und von zu Hause aus leisten zu können, eine große Entlastung. »Diese Möglichkeit werden wir auch nach der Pandemie beibehalten.«

Daniel Naftoli Surovtsev, Rabbiner in Baden-Baden, unterrichtet nun schon seit fast einem Jahr per Zoom im Home­office. »Für manche Gruppen ist das sogar besser«, hat er festgestellt. »Es beteiligen sich mehr Leute als beim Unterricht im Gemeindezentrum. Man kann einfach sein Tablet nehmen und mitmachen.«

Er selbst sei nun auch zeitlich flexibler. »Ich kann jetzt zum Beispiel auch abends unterrichten.« Je nachdem, wie es die Pandemie-Entwicklung zulasse, werde der Unterricht an der Schule wieder vor Ort stattfinden, »aber für die Erwachsenen werde ich die Online-Form auf die eine oder andere Weise wohl auch beibehalten«.

Sie sei ohnehin 24 Stunden am Tag erreichbar, sagt Irina Grinberg, Vorstands­assistentin und Büroleiterin der Baden-Badener Gemeinde. Zu Hause habe sie ihre technischen Möglichkeiten »perfekt organisiert«, aber gleichwohl sei sie auch oft im Büro, soweit es die Pandemieregeln zulassen.

»Wir haben 520 jüdische Mitglieder«, erklärt sie, »aber wir betreuen auch die nichtjüdischen Familienangehörigen, das sind zusammen rund 700 Leute.« Für sie müsse immer jemand da sein, »wenn jemand zum Beispiel an Corona erkrankt ist und nicht so gut Deutsch spricht, helfen wir als Ansprechpartner und Vermittler zwischen Arzt und Patient«.

Urlaub »Wir haben keine Möglichkeit, fix und fertig und müde zu sein«, antwortet Irina Grinberg auf die Frage, ob diese Dauerbereitschaft nicht extrem anstrengend ist. »Wenn wir nicht helfen, wer tut es dann?«, fragt sie. Und urlaubsreif zu sein, bringe in Zeiten, in denen man nicht in Urlaub fahren kann, ja auch nichts.

»Ich arbeite doch eigentlich mein ganzes Leben lang im Homeoffice. Alle Partner der Gemeinde in der Stadt haben meine private Telefonnummer«, sagt die Chemnitzer Gemeindevorsitzende Ruth Röcher.

»Grundsätzlich arbeiten bei uns alle, die es können, von zu Hause aus«, sagt Ruth Röcher, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz. »Jeder muss in seinem Ermessen sehen, wie die Aufgaben geschafft werden.« Aber es arbeiten auch Leute vor Ort im Gemeindezentrum. »Selbstverständlich unter Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Regeln.«

In diesen Zeiten sei die Gemeindezeitung ein wichtiges Kommunikationsmittel. Aber »eine Gemeinde lebt von der Begegnung, vor allem der verschiedenen Altersstufen«. Bis zum Beginn der Pandemie sei das Haus immer voller Leben gewesen, doch schon lange passiere nichts: »Alles ist so still.«

Absagen Ihre Hauptbeschäftigung als Vorsitzende sei »immer alles, was wir geplant haben und worauf wir uns sehr gefreut haben, wieder abzusagen«, sagt Ruth Röcher und klingt traurig. »Im Moment sind es die Veranstaltungen für Mai, und bald auch die für Juni.« An diesem Dienstag ist die Inzidenz in Chemnitz auf einen neuen Rekordwert gestiegen, 274 beträgt sie jetzt. »Wir brauchen 28 Tage lang einen Wert unter 50, damit all die schönen Veranstaltungen, die wir geplant haben, stattfinden können – da müsste schon ein Wunder geschehen.«

Auf die Frage, wie sie mit der Arbeit von zu Hause aus zurechtkommt, lacht Ruth Röcher. »Ach«, sagt sie, »ich arbeite doch eigentlich mein ganzes Leben lang im Homeoffice. Alle Partner der Gemeinde in der Stadt, von der Verwaltung bis zu den Institutionen, haben meine private Telefonnummer und wissen, dass sie jederzeit anrufen können – und das ist auch gut so, denn Sachen müssen erledigt werden.«

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