Würzburg

Kreuzfahrer am Main

Die Abiturientin Nele Fackler wird für einen Aufsatz zur Lokalgeschichte des Antisemitismus ausgezeichnet

von Gerhard Haase-Hindenberg  05.01.2025 17:27 Uhr

Abiturientin Nele Fackler mit Studienrat Norbert Siemer (l.) und dem Beauftragten Robert Christoph Foto: Gerhard Haase-Hindenberg

Die Abiturientin Nele Fackler wird für einen Aufsatz zur Lokalgeschichte des Antisemitismus ausgezeichnet

von Gerhard Haase-Hindenberg  05.01.2025 17:27 Uhr

Es ist schon ein ungewöhnliches Thema, welches sich die Abiturientin Nele Fackler für eine Seminararbeit vorgenommen hat. Zumindest im Rahmen eines wissenschaftspropädeutischen Seminars an der Würzburger St.-Ursula-Schule, das auf die Initiative des engagierten Studienrats Norbert Siemer zurückging.

Dort hatte man sich im vergangenen Jahr mit dem Thema »Religiöse Minderheiten« beschäftigt, und der Teenager interessierte sich für »die Geschichte und Verfolgung Würzburger Juden im Mittelalter«. Für diesen Aufsatz ist Nele Fackler nun im Rahmen einer kleinen Feierstunde im Museum Shalom Europa von Robert Christoph, dem Ministerialbeauftragten für die unterfränkischen Gymnasien, mit einer Urkunde geehrt worden.

Dem 28-seitigen Aufsatz mit dem Titel »Trauernd werfe ich meinen Schmuck fort« ging eine akribische Lektüre­recherche voraus, wie allein zwei Seiten Quellenangaben beweisen. Und so fand Fackler einen zeitgenössischen Text, den der Historiker Roland Flade in seinem Standardwerk über Geschichte und Gegenwart der Würzburger Juden veröffentlicht hat: »Es war am 22. Tag des Monats Adar, als die Übeltäter sich gegen die (jüdische) Gemeinde Würzburg erhoben. Alle anderen Gemeinden waren bereits in die Schlösser und Festungen entronnen. Diese aber glaubten, in Frieden bleiben zu können, jedoch es kam Kummer und Zerrüttung auf Zerrüttung. Die Feinde sannen lügenhafte und hinterlistige Verdächtigungen aus, um über sie herfallen zu können.« Für die Abiturientin Nele Fackler war dies der Einstieg in eine – wie sich herausstellte – fakten- und folgenreiche Epoche.

Vor fünf Jahren gaben sechs von zehn Befragten im Alter zwischen 18 und 24 Jahren im Rahmen einer Umfrage an, ihr Wissen über den Holocaust eher aus der Schule zu haben. Hat man im Unterricht von der Existenz des Judenmords gehört oder war über die gesellschaftlichen Hintergründe der Schoa informiert worden? Diese Frage hatte das international tätige Meinungsforschungsinstitut YouGov bei seiner Umfrage nicht gestellt. Umso wichtiger sind solche Lehrinitiativen wie die des Studienrats Norbert Siemer und umso erfreulicher solch eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte des Antisemitismus am Beispiel des eigenen Heimatortes, wie es Nele Fackler unternommen hat.

Der bemerkenswerte Aufsatz trägt den Titel: »Trauernd werfe ich meinen Schmuck« fort.

In ihrer Arbeit erfährt man, dass die Agitation des Mönchs Rudolph, der seine antijüdische Hetze in allen deutschen Landen verbreitete, bei den Bürgern von Würzburg zunächst auf keinen fruchtbaren Boden fiel. Die Würzburger Juden sahen sich auch deshalb nicht gefährdet, weil ihnen der Bischof Siegfried von Truhendingen durchaus wohlgesonnen war. Die Stimmung änderte sich schlagartig an jenem »22. Tag des Monats Adar«, womit der 24. Februar 1147 gemeint ist.

An diesem Tag nämlich wurde im Main eine Wasserleiche namens Dietrich gefunden. Nun verbreitete sich das Gerücht, dass dieser von den Juden umgebracht worden sei. Autorin Nele Fackler konstatiert: »Dieses Gerücht bildete den Auslöser für die erste belegte Judenverfolgung in Würzburg, bei der sich Kreuzfahrer mit einem Teil der Bevölkerung zusammengeschlossen haben.«

Auf den nächsten Seiten folgt eine detailreiche Schilderung der Verfolgungsgeschichte, aber auch ein Blick auf jene kirchlichen Würdenträger, die jenseits des antisemitischen Mainstreams Juden Schutz und Hilfe zuteilwerden ließen. Dieser faktenreiche Aufsatz ist selbst für historische Laien leicht verständlich geschrieben, was seine Verbreitung unbedingt gebietet. Das Museum Shalom Europa sollte über eine Drucklegung nachdenken.

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