Porträt der Woche

Körper, Kopf, Gemeinschaft

Vom Shenkar College in Ramat Gan an den Bodensee: Paz Lavie (38) aus Lindau Foto: Max Kovalenko

Im Moment trage ich eine Kniegelenkschiene wegen einer Verletzung, die ich mir beim Volleyball zugezogen habe. Kurioserweise passierte das während einer Fortbildung, an der ich als ausgebildete Fitness-Motivationscoachin teilgenommen habe. Bei dieser Schulung ging es um eine neue Sportart, die Mamanet heißt. Mamanet erinnert an Volleyball, ist aber ein bisschen einfacher. Entwickelt wurde diese Variante in Israel. Man hatte dabei junge Mütter im Blick, die ein- bis zweimal in der Woche zusammenkommen, um miteinander Sport zu treiben. Mir wurde angeboten, dafür in Deutschland als Trainerin zu arbeiten.

Daraus ergaben sich für mich einige Fragen. Warum sollten das nur Frauen spielen? Und warum bevorzugt junge Mütter, wodurch ja ältere Frauen ausgeschlossen wären? Zunächst aber führte mich mein Weg vom Spielfeld direkt ins Krankenhaus. Dort hat man festgestellt, dass ich mir nicht nur den Meniskus verletzt hatte, sondern auch das Kreuzband. Inzwischen versuche ich, ohne Krücken zu laufen. Ich kann es kaum erwarten, wieder Sport zu treiben.

Einerseits aus beruflichen Gründen, andererseits, weil ich den Sport für mich selbst brauche, so wie andere Leute das Atmen. Mein nächstes Ziel ist es, meine Tätigkeit als Fitness-Coachin um jene Sportart Mamanet zu erweitern, und das auch für gemischte Gruppen. Außerdem möchte ich damit dem Antisemitismus etwas entgegensetzen. Das klingt sicher eigenartig, aber darüber hatte ich schon meine Masterarbeit geschrieben.

Da ging es thematisch eben darum, wie man mit gemeinschaftlichem Sport dem Antisemitismus begegnen kann. Viele Fälle von Vorurteilen aller Art finden ja am Arbeitsplatz statt. Von der jeweiligen Geschäftsleitung wird das oft unter den Teppich gekehrt. Da aber die Firmenphilosophie sehr entscheidend für die Identität der Mitarbeiter ist, habe ich mir überlegt, dass Sport dabei eine positive Rolle spielen könnte.

Dem Antisemitismus etwas entgegensetzen

Wie etwa gehe ich mit Stress um? Wie entwickle ich mentale Kräfte? Immerhin tragen ja viele Leute Frust mit sich herum oder gar eine handfeste Depression. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir klar, dass ich zur Bewältigung dieser Probleme ein paar wirksame Tools in meinen Händen halte. Wenn man zum Beispiel miteinander Fußball oder Tennis spielt, wenn man also gemeinsam schwitzt, schüttet der Körper viele Glückshormone aus. Wenn es dann zum Gespräch kommt, hat man eine ganz andere Startposition. Diese Chance kann man nutzen, um so manches Eis zu brechen.

Also habe ich begonnen, in verschiedenen Firmen entsprechende Workshops anzubieten. Trotz der unterschiedlichen Fitnessniveaus der Menschen geht es um das Gemeinschaftserlebnis, weshalb wir mit einfachen Basics begonnen haben. Mamanet scheint mir dafür geeignet zu sein, aber eben nicht nur für junge Mütter, wie das in Israel als soziale Begegnung erdacht worden ist. Aber erst einmal muss mein Knie wieder in Ordnung kommen.

Wenn man gemeinsam geschwitzt hat, hat man im Gespräch eine ganz andere Startposition.

Geboren wurde ich im Norden Israels. Meine beiden Großeltern stammten aus Deutschland, wo meine Oma in Oberhausen Hitler noch auf der Straße gesehen hat. Sie sind jedoch schon vor der Schoa nach Eretz Israel gekommen. Dort arbeitet mein Vater als Sicherheitsingenieur und meine Mutter als Erzieherin.

Ich habe nach meinem Armeedienst am Shenkar College in Ramat Gan Produkt-design studiert. In meiner Bachelor-Arbeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie man den Innenraum von öffentlichen Bussen so gestalten kann, dass die Passagiere eine bessere Privatsphäre haben. Ich habe ein 3D-Modell erstellt und es dem Bus-Unternehmen präsentiert. Bisher ist eine praktische Umsetzung an den Kosten gescheitert. Danach bekam ich Angebote von der hiesigen Automobilindustrie, weshalb ich nach Deutschland gekommen bin. Zunächst lebte ich in der Nähe von Köln, wo ich in der Konstruktionsabteilung einer Firma gearbeitet habe, die Verpackungen für verschiedene Autoteile herstellte.

Schließlich bin ich, weil ich mich weiterentwickeln wollte, nach Süddeutschland gezogen, wo man mir hier am Bodensee einen Job angeboten hatte. Diese Firma wollte mich nach einiger Zeit an einen anderen Produktionsstandort schicken. Da ich aber inzwischen in Lindau ein soziales Umfeld gefunden hatte, wechselte ich zu einem anderen Zulieferer der Automobilindustrie, nur ein paar Kilometer von hier auf der österreichischen Seite. Nach anderthalb Jahren habe ich dann einen kompletten Wechsel in der beruflichen Perspektive vorgenommen und eine Ausbildung zur Fitness-Motivationscoachin gemacht.

Corona-Zeit und Online-Kurse

Begonnen hat diese neue berufliche Perspektive mit Zumba, einem lateinamerikanischen Tanz-Fitness-Programm, wofür ich einen Kurs im Fitness-Studio belegt hatte. Eines Tages fragte mich meine Zumba-Trainerin, ob ich sie während ihrer Schwangerschaft vertreten könnte. Nach anfänglichem Zögern habe ich schließlich die entsprechende Ausbildung gemacht und die Kurse auf Kinder und später auch auf ältere Leute erweitert.

Immer wieder habe ich den Erfolg bei meinen Kursteilnehmern als motivierend empfunden. Wenn zum Beispiel vor dem Kurs eine ältere Frau zu mir kommt und sich entschuldigt, dass sie heute nicht so fit sei, sich nach einer Stunde aber bedankt, weil sie plötzlich ganz viel Energie habe. Schließlich habe ich mir überlegt, meine Tätigkeit auf andere Bereiche auszudehnen, und meine Fitnesstrainer-Lizenz gemacht.

Dann kam die Corona-Zeit, und ich habe meine Kurse online angeboten. Heute beschränke ich mich nicht nur auf das rein körperliche Training, sondern beschäftige mich auch mit Fragen zur gesunden Ernährung und dem Mindset, also der Mentalität, mit der man unterschiedlichen Ereignissen des Lebens begegnet. Gerade die Ernährung beeinflusst unsere Gesundheit, unsere Umgebung und unsere Beziehungen, ob wir wollen oder nicht. Und dann stellen wir uns in meinen Kursen der grundlegenden Frage, wie man diese drei Bausteine einer gesunden Lebensführung miteinander kombiniert.

Das geschieht nicht nacheinander – also erst das Training, und danach sprechen wir noch eine halbe Stunde –, sondern gleichzeitig. Außerdem gebe ich mittlerweile auch Kochkurse für gesunde Ernährung.

Ich gebe auch israelische Kochkurse und bin immer wieder überrascht, wie schnell die ausgebucht sind.

Die Menschen, die in meine Kurse kommen oder meine Workshops besuchen, wissen in der Regel erst einmal nicht, dass ich Israelin bin. Aber ich verstecke es auch nicht, wenn man mich wegen meines Namens oder meines Akzents fragt, woher ich komme.

Familie in Israel

Ich gebe auch israelische Kochkurse und bin immer wieder überrascht, wie schnell die ausgebucht sind. Da motiviere ich die Leute dann, mich alles zu fragen, was sie interessiert. Das machen sie nicht unbedingt am Anfang des Kurses, sondern oft erst, wenn wir uns schon ein bisschen besser kennen. In den vergangenen zwei Jahren fragten mich manche, wie es mir oder meiner Familie in Israel geht. Es erscheint mir wichtig, dass die Kursteilnehmer sich nicht nur auf das verlassen, was sie in den deutschen Medien lesen oder hören.

Man mag es naiv nennen, aber vor dem 7. Oktober 2023 war mir nicht bewusst, dass Antisemitismus in der Welt noch so stark vertreten ist. Inzwischen wurden mir die Augen geöffnet. Ich habe zum Beispiel eine Freundin verloren, mit der ich mehr als zehn Jahre befreundet war. Als ich ihr eines Tages auf der Straße begegnet bin, hat sie mich einfach ignoriert. Auch andere ehemalige Freunde haben mir mitgeteilt, dass sie meine Einstellungen nicht teilen und deshalb keinen Wert mehr darauf legen, mit mir Kontakt zu halten.

Manchmal äußere ich mich in den sozialen Medien, wenn da etwas steht, was ich für falsch halte, und natürlich bekomme ich dann auch unschöne Kommentare. Vor dem 7. Oktober habe ich nie bewusst den Kontakt zu Jüdinnen und Juden in Deutschland gesucht. Inzwischen bin ich froh, dass ich in Verbindung mit der jüdischen Gemeinde in Ulm getreten bin und einige israelische Leute kenne, die hier in der Nähe leben. Wir treffen uns zu den Feiertagen und inzwischen auch sonst oft. So begegne ich jüdischen Menschen von hier oder aus Israel, mit denen man sich ohne große Worte versteht. Das tut in dieser Situation gut.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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