Rheinland

Kölle, Sieg Heil!

Anfang Januar, Köln startet mit Korps-Appellen in die heiße Phase des Karnevals. Dabei bestellen die Karnevalsgesellschaften ihre Mitglieder zu einem fröhlichen Abend ein, um sich auf die tollen Tage des organisierten Frohsinns einzustimmen, der bekanntlich erst am Aschermittwoch vorbei ist.

Manches ist aber auch bei den Karnevalisten längst nicht vorbei, und im Vorfeld der Session 2014/15 – wie die fünfte Jahreszeit in der rheinischen Metropole auch genannt wird – war es der Präsident des Festkomitees Kölner Karneval (FK) höchstselbst, der den langen Schatten aus den Zeiten des Karnevals unter dem Hakenkreuz thematisierte.

Für Markus Ritterbach ist dieses Thema nämlich keinesfalls »ein kleiner Fehler der Geschichte, sondern eine große Katastrophe«. Obwohl der FK-Präsident immer wieder gebeten werde, diesen Teil der Vergangenheit »endlich ruhen zu lassen«, macht Ritterbach weiter. Mehr noch: Wer mit ihm spricht, gewinnt eher den Eindruck, dass ihn solcherlei Bitten erst recht anspornen, das Thema »Karneval in Köln und Nationalsozialismus« noch intensiver aufzuarbeiten.

Film Jüngster Beitrag des FK: ein kürzlich entdecktes und nun restauriertes sowie digitalisiertes, etwa 13-minütiges Filmdokument vom Rosenmontagszug im Jahr 1936. Da rollt dann für einige Sequenzen deutlich sichtbar im Schatten der berühmten romanischen Kirche St. Aposteln ein sogenannter Mottowagen mit dem Titel »Däm han se op d’r Schlips getrodde« (Dem haben sie auf den Schlips getreten).

Zu sehen ist die riesige Pappfigur eines Juden, der hilfesuchend die Arme reckt, während ihm ein Fuß von einer als Paragraf stilisierten Figur auf die Krawatte tritt. Kurz, aber dennoch ruhig in der Kameraführung und gut erkennbar fährt die Figur durch das Bild, wobei noch das überdimensionale Hinterteil eingefangen wird, ehe die Kamera das Motto des Wagens abfilmt.

Anlass für diesen Wagen sind die 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze, mit denen die Juden entrechtet und aus der sogenannten Volksgemeinschaft ausgestoßen wurden. Ritterbach nennt diesen Wagen »menschenverachtend und eine Instrumentalisierung des Karnevals, denn schleichend wurde auf diese Weise das nationalsozialistische Gedankengut in die Gesellschaft getragen«. Inwieweit die freudige Reaktion der Menschen am Straßenrand in diesen Kontext eingeordnet werden kann, ist offen. »Die Reaktion ist sicherlich dem allgemeinen Feiern in dieser Situation geschuldet, in der eben jede Gruppe gefeiert wird«, meint der FK-Präsident.

Etwa sieben Minuten lang sind feiernde Zuschauer, Karnevalswagen und kostümierte Fußgruppen zu sehen, ehe der antisemitisch motivierte Wagen mit der Nummer 13 vorbeizieht. Schon 1934 gab es im Rosenmontagszug einen Wagen, der sich auf Kosten der Juden feiern ließ. »Die Letzten ziehen ab« lautete dieser Wagen, auf dem eine als streng orthodoxe Juden verkleidete Gruppe zu sehen war. Bis 1939 fuhren in jedem Rosenmontagszug ähnliche antisemitische Motivwagen mit.

Bemerkenswert an dem Ende 2012 im Landesinstitut für Schule in Bremen entdeckten und vom Verein »Köln im Film« ausgewerteten Filmdokument von 1936 ist auch dessen Verwendung durch den Auftraggeber. Wahrscheinlich war dies der Norddeutsche Lloyd, der den Film zum Zeitvertreib auf der Überfahrt von Bremerhaven nach New York zeigte. Dafür sprechen auch die deutsch-englischen Zwischentitel.

Redeverbot Widerstand gegen die Instrumentalisierung des Kölner Karnevals durch die Nationalsozialisten gab es im Übrigen kaum. Zu nennen ist hier eigentlich nur der Kölner Karnevalist Karl Küpper (1906–1970), der im Rosenmontagszug von 1936 mit einem Kamel teilnahm.

Er machte aus seiner Abneigung gegen die Machthaber und deren Ideologie keinen Hehl, mehr noch: Er verspottete in seinen Auftritten die Nationalsozialisten und bekam schließlich unter anderem wegen der Verballhornung des deutschen Grußes oder des Reichsfeldmarschalls Hermann Göring auf Lebenszeit Redeverbot.

Weil Küpper sich nicht danach richtete, erhielt er mehrfach Besuch von der Gestapo und konnte dem Konzentrationslager nur deshalb entkommen, weil er sich kurz vor seiner Verhaftung freiwillig zur Wehrmacht meldete.

In dem lesenswerten Buch Unangepasst und widerborstig – Der Kölner Karnevalist Karl Küpper hat der Historiker Fritz Bilz den Weg dieses unbequemen Karnevalisten, dessen mutiges Widerstehen durch das Festkomitee und die Stadt Köln erst viele Jahre nach seinem Tod anerkannt wurde, nachgezeichnet. Zugleich vermittelt Bilz in seiner Forschungsarbeit mit feinem Gespür einen Einblick in die unseligen Verflechtungen von Nationalsozialismus und organisiertem kölschen Frohsinn.

Auch im EL-DE-Haus, dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln sowie deutschlandweit die größte regionale Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus, wird das Thema Karneval und NS-Diktatur behandelt.

Emotionalität
Der Festkomitee-Präsident steht in Verhandlungen mit dem Archiv in Bremen, damit der Film in die Ausstellung des Kölner Karnevalsmuseums dauerhaft integriert werden kann. Es sind eben neben historischen Dokumenten und Fotos vor allem bewegte Bilder, die eine zeitliche Nähe und Emotionalität erzeugen – zumal zu einer Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt. »Der Film trägt sicherlich auch dazu bei«, meint Ritterbach, »die richtigen Lehren zu ziehen, dass so etwas sich nicht wiederholen darf.«

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024