Buchvorstellung

Kämpferisch und unerbittlich

Alle wollten vergessen, er forderte Gerechtigkeit: Philipp Auerbach (1906–1952) Foto: Duhnrack / Archiv JA

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Kämpferisch und unerbittlich

Der Journalist Hans-Hermann Klare porträtiert Philipp Auerbach, eine Schlüsselfigur deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte

von Ellen Presser  16.11.2022 10:42 Uhr

Eine Veranstaltung, zu der der Freundeskreis des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur zusammen mit der Literaturhandlung kürzlich in die Ludwig-Maximilians-Universität einlud, sollte sich als etwas ganz Besonderes erweisen. Es ging um die Vorstellung des Buches Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte, verfasst von dem langjährigen leitenden »Stern«-Redakteur Hans-Hermann Klare.

Seiner investigativen Könnerschaft ist nicht nur eine faktengesättigte Studie über einen der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte zu verdanken. Sie liest sich auch als überaus spannende Real-Crime-Geschichte, wobei das wahre Verbrechen nicht beim jüdischen Angeklagten Philipp Auerbach zu finden ist, sondern beim Vorsitzenden Richter und seinen vier Beisitzern, beim Staatsanwalt und bei den Gutachtern, die allesamt auf die eine oder andere Weise aufs Innigste als NSDAP-Mitglieder und willfährige Gehilfen mit dem NS-Staat verstrickt gewesen waren.

leidensgefährten Im Gespräch mit Rachel Salamander zeichnete Klare ein Bild der Nachkriegszeit, in der eine Persönlichkeit wie der Holocaust-Überlebende Auerbach, getrieben von dem Bedürfnis, seinen ehemaligen Leidensgefährten nach besten Kräften zu helfen und möglichst viele alte Nazis, die sich in die Wiederaufbauzeit hineinschmuggeln wollten, auffliegen zu lassen, mit allen Obrigkeiten aneinandergeraten musste. Salamander, im DP-Lager Deggendorf geboren, in Föhrenwald unter jüdischen Displaced Persons bis zu ihrem siebten Lebensjahr aufgewachsen, kennt diese Phase der sich neu erfindenden Bundesrepublik, in der die Holocaust-Überlebenden störten, aus dem Erleben ihrer Elterngeneration, aus eigenen Eindrücken und aus langjähriger Beschäftigung mit dem Thema sehr genau.

So erschloss sie im Gespräch mit dem Autor Klare ein komplexes Thema und einen komplizierten historischen Fall. Der Suizid Philipp Auerbachs in der Nacht des 14. August 1952 nach seiner gnadenlos harten Verurteilung wegen unvollständiger Buchführung und zeitweilig unberechtigten Führens eines Doktortitels liegt 70 Jahre zurück. Warum und seit wann sich Hans-Hermann Klare dafür interessiert habe, wollte Salamander wissen.

Im Roman Landgericht (2012) von Ursula Krechel über einen jüdischen Richter, der aus der Emigration in den 50er-Jahren nach Deutschland zurückkehrte, tauchte der Name Auerbach auf. Neugierig geworden, suchte Klare Informationen; je mehr er fand, desto empörender erschloss sich für ihn der Fall. Eine wichtige Anregung fand er in einer Magisterarbeit und im Gespräch mit deren Verfasser Hannes Ludyga.

Zudem existieren Gerichtsakten im Staatsarchiv München und Selbstzeugnisse Auerbachs. Besonders wertvoll war die Begegnung mit Helen, Auerbachs Tochter aus erster Ehe, die er im Sommer 2019, kurz vor ihrem Tod, noch traf; aber auch die mit Ruth, der Tochter aus zweiter Ehe.

verfahren Klare las das erste der 16 Kapitel. Anschaulich ließ er den letzten bewussten Tag im Leben Auerbachs Revue passieren. Man bekam Einblick in Besonderheiten des Verfahrens, den Umgang mit dem schwerstkranken Angeklagten, die Gründe für seinen Verbleib in Deutschland und wie es sein konnte, dass ein Mann, der die Lager Auschwitz, Groß-Rosen und Buchenwald überstand, sieben Jahre nach der Befreiung im Alter von 45 Jahren den Freitod wählte. »Mein Blut komme auf das Haupt der Meineidigen!«, schrieb er in einem seiner letzten beiden Briefe. Er ging an seine Verteidiger, der andere an seine Familie.

»Mein Blut komme auf das Haupt der Meineidigen!«, schrieb Auerbach in einem Brief.

Warum er keine Kraft mehr hatte, deutet Klare vorsichtig. Von 1940 bis 1945 hatte der Sohn einer orthodox-jüdischen Familie aus Hamburg »fünf Jahre unter erbärmlichsten Bedingungen durchlitten«. Wie krank das Organisationsgenie Auerbach tatsächlich war, der als Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in München auf seinen Reisen oft von einem Arzt begleitet wurde, stellte sich erst in der Pathologie heraus. Wegen seines Todes entfiel die Revision. Zwei Jahre später wurde er durch einen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags rehabilitiert. Klare moniert, dass in München keine Straße an ihn erinnert.

ehrengrab Philipp Auerbach hat auf dem Neuen Israelitischen Friedhof ein Ehrengrab. Eine Zeitzeugin, die sich noch sehr gut an diesen imposanten Mann erinnert, ist Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Damals hieß sie noch Neuland, als sie ihren Vater in die Klinik Josephinum zum Besuch des Schwerkranken begleiten durfte. Fritz Neuland, der in der unter anderem von ihm wiederbegründeten Israelitischen Kultusgemeinde wirkte, und Auerbach kannten sich gut, hatten beruflich miteinander zu tun. Für juristischen Rat kam Auerbach von Fall zu Fall zu Neuland in dessen Kanzlei am Bavariaring. Man traf sich auch privat, im Sommer oft in Auerbachs Sommerfrische in Krün bei Garmisch.

Auerbach konnte sehr herzlich sein, genoss die wenige Freizeit mit seiner zweiten Frau Margit und der kleinen Tochter Ruth und hatte auch für die heranwachsende Charlotte stets ein freundliches Wort, wie sich die IKG-Präsidentin erinnert. Das Entsetzen innerhalb der jüdischen Gesellschaft, wie ungeheuerlich Auerbach am Ende behandelt wurde, ist ihr unvergessen.

Hans-Hermann Klare: »Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte«. Aufbau, Berlin 2022, 471 S., 28 €

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