Keren Hayesod

»Je konkreter, desto besser«

Will Brücken nach Israel bauen: der neue KH-Gesandte für Berlin, Rafi Heumann Foto: Marco Limberg

Herr Heumann, seit August sind Sie Gesandter des Keren Hayesod (KH) für Berlin und Norddeutschland. Wie sind Ihre Eindrücke bisher?
Bisher habe ich gute Erfahrungen gemacht. Der KH stößt auf großes Interesse. Es ist für mich eine große Ehre, hier in Deutschland als Gesandter des KH zu sein. Der Vorsitzende des KH Berlin, Nathan Gelbart, und das Magbit-Komitee haben mich herzlich in Berlin empfangen.

Sie sind in der Schweiz aufgewachsen. Als Sie neun Jahre alt waren, hat Ihre Familie Alija gemacht. Inwiefern kommt Ihnen diese Erfahrung jetzt zugute?
Um auf Menschen zuzugehen und Brücken nach Israel zu bauen, muss man sich in beide Seiten hineindenken können. Ich kenne beides, Israel und die Diaspora.

Als Jurist haben Sie drei Jahre als Politikberater in der Knesset gearbeitet. Wie fließen Ihre Erfahrungen in Ihre jetzige Arbeit ein?
Zum einen kenne ich dank der Arbeit mit den Abgeordneten die Leute vor Ort, deren Projekte wir mit KH unterstützen. Dass ich die Menschen besucht und mit ihnen gesprochen habe, erleichtert mir die Arbeit hier sehr – denn ich weiß, wofür ich werbe.

Welche Projekte liegen Ihnen am Herzen?
Vor allem drei Initiativen sind mir besonders wichtig: die Jugenddörfer, die Arbeit mit älteren Schoa-Überlebenden und »Net@«. Das Projekt richtet sich an Kinder und Jugendliche in Israels Randgebieten wie Dimona, Beer Sheva oder Sderot. Es ermöglicht Kindern drei Jahre lang, zweimal pro Woche nach der Schule Computerunterricht, bei dem sie Hardware, Webdesign und Programmieren lernen. Meist sind es Kinder aus einkommensschwachen Familien, die zu Hause keine Technik haben ...

... in der Start-up-Nation Israel?
Überrascht? Ja, auch das gibt es. Nicht alle Menschen in Israel profitieren von der technischen Entwicklung. Leider. Das wollen wir ändern. Dank KH bekommen diese Kinder eine Basis, auf der sie aufbauen können, denn diese Kurse ermöglichen es ihnen, später in der technischen Einheit in der Armee zu dienen. Ohne dieses Projekt würden sie die Voraussetzungen dafür nicht erfüllen. Daher ist »Net@« für diese Kinder ein Wendepunkt. Danach haben sie so viele Erfahrungen gesammelt, dass sich sogar im Hightech-Bereich bewerben können. Das eröffnet ihnen völlig neue Lebensperspektiven. Das Projekt bieten wir übrigens auch in Beduinendörfern bei Beer Sheva an. Wenn Ihnen dort Mädchen mit Kopftuch sagen, sie möchten später einmal bei Google oder Facebook arbeiten, dann ist das eine starke Aussage – denn ohne »Net@« käme so ein Berufswunsch gar nicht infrage.

»Net@« steht auch arabischen Kids offen?
Ja. In Jerusalem und Ramle haben wir gemeinsame Projekte mit jüdischen und arabischen Kindern. Wenn man sie zusammen sieht und mit ihnen spricht, dann ist das sehr berührend. Durch das Projekt entwickeln sich Freundschaften, nicht nur zwischen den Kindern, sondern auch unter den Eltern! Natürlich nicht gleich sofort, alles braucht seine Zeit. Doch nach zwei Monaten ist das Eis gebrochen – für viele ist es sogar der erste Kontakt überhaupt mit der jeweils anderen Religion.

Und die anderen beiden Projekte?
»Amigour«, so heißt das Seniorenprojekt, ist ein Betreutes-Wohnen-Projekt für Schoa-Überlebende. Viele der Senioren haben Alija gemacht, als sie schon älter waren, 50 oder 60 Jahre alt. Sie fanden keine Arbeit und beziehen jetzt keine oder eine sehr niedrige Rente. Eine normale Mietwohnung können sie sich nicht leisten. Von KH bekommen sie eine kleine Wohnung für einen symbolischen Preis von 50 oder 60 Euro, denn sie wollen auch keine Almosen nehmen. Nachmittags gibt es Aktivitäten – die meisten Leute dort sind nämlich ganz allein, die Familie ist weit weg, sie haben keine Freunde, und oft verstehen sie die Sprache nicht. Das dritte Projekt sind die Jugenddörfer. Dort leben gefährdete Kinder zwischen zwölf und 18 Jahren, deren Eltern im Gefängnis sind oder die sich nicht um ihre Kinder kümmern können, etwa weil sie drogenabhängig sind. Hier werden die Kinder bis zum Abitur ausgebildet, gefördert und psychologisch betreut. Jedes Jugenddorf hat zudem einen speziellen Schwerpunkt – Musik, Sport, Reittherapie.

Wie machen Sie diese Projekte bekannt?
Zum einen treffe ich viele Leute, von denen ich weiß, dass sie Israelfreunde sind. Ihnen stelle ich Keren Hayesod und unsere Projekte vor, sowohl in den jüdischen Gemeinden und bei Israelis als auch bei nichtjüdischen Organisationen. Vor Kurzem war ich etwa bei einer Konferenz mit 40 christlichen Organisationen. Dazu organisieren wir Veranstaltungen, auch dort stelle ich KH vor. Im September etwa hatten wir eine Veranstaltung mit dem Musiker Idan Raichel und Israel-Preisträgerin Miriam Peretz.

Wie gehen Sie auf potenzielle Spender zu?
Ich frage die Leute immer zuerst nach ihren Interessen. Ich will herausfinden, was sie am meisten anspricht. Obwohl es eine große Mizwa ist, ist Spenden nicht selbstverständlich, egal ob für israelische oder andere Organisationen. Deshalb ist es wichtig, dass sie genau wissen, wohin ihr Beitrag geht, seien es 100 oder 100.000 Euro.

Können die Leute direkt an ihre Wunschprojekte spenden?
Klar. Früher ging es eher darum, Israel allgemein zu stärken. Heute ist das anders – je konkreter, desto besser. Die Spender können ihre Lieblingsprojekte direkt unterstützen – sie können wählen. Die Leute können auch selbst Ideen einbringen. Zum Beispiel kam vor Kurzem ein Mann auf mich zu, ein Sportler, der gerne »etwas Sportliches« beisteuern wollte, etwas, das mit ihm selbst zu tun hat. So habe ich herumgefragt, welches der Jugenddörfer eine Sporthalle braucht – und jetzt wird in einem unserer Dörfer eine Halle gebaut. Wenn jemand etwas so Großzügiges macht, dann soll er auch eine Verbindung dazu haben.

Können die Unterstützer die Projekte auch vor Ort besuchen?
Unbedingt! Das bieten wir auf den Veranstaltungen auch direkt an. Es ist ein großer Unterschied, ob ich eine Broschüre herumreiche oder selbst dort war und von den Kindern vor Ort erfahre, wie solch ein Projekt – und damit eine Spende dafür – ihr Leben verändert, welche Wirkung es haben kann. Zum Beispiel organisiere ich gerade den Besuch eines Vaters, der schon seit vielen Jahren für unsere Organisation spendet. In zwei Wochen reist er mit seinen beiden Söhnen nach Israel und plant einen Abstecher in eines der Jugenddörfer – auch um seinen Kindern die Botschaft mitzugeben: Wer kann, soll etwas geben.

Was sind die großen Herausforderungen in Berlin? Was ist einfach, was schwierig? Rennen Sie offene Türen ein, oder müssen Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?
Es kommt darauf an. Es gibt diejenigen, die KH schon kennen, aber bisher noch nicht spenden und erst mehr über die einzelnen Projekte erfahren wollen. Dann gibt es die treuen Spender, denen ich ebenfalls mehr über die Projekte erzähle. Neue Spender zu gewinnen, ist schon schwerer.

Womit argumentieren Sie dann?
Unsere Projekte sprechen für sich – dann schaue ich, was zu wem passt. Manche wollen für Kinder spenden, weil Kinder die Zukunft sind. Andere wollen lieber Schoa-Überlebende unterstützen, weil sie es wichtig finden, dass die älteren Leute ihren Lebensabend in Würde verbringen, oder Alija- und Integrationsprojekte unterstützen. Jeder kann ein Projekt finden – und damit bedürftige Menschen glücklich machen.

Auf welche Spendenmentalität treffen Sie?
Das kann man natürlich nicht mit Amerika vergleichen. Dort gibt es eine andere Spendenkultur. Israel und Deutschland sind diesbezüglich ähnlich. In beiden Ländern entwickelt sich ein neues Selbstverständnis, viele größere und mittlere Firmen wollen ihr Profil dahingehend gestalten, dass sie zeigen: Wir tun anderen etwas Gutes, das ist Teil unserer Identität. Auch das ist für uns ein Weg, neue Spender zu erreichen.

Welche Ideen wollen Sie 2019 umsetzen?
Im Moment konzipiere ich ein Leadership-for-Israel-Projekt für Juden in Deutschland im Alter zwischen 30 und 45 Jahren. Ziel ist es, Brücken nach Israel zu bauen, ob auf dem Gebiet Hightech, Politik oder Wirtschaft. Ich habe gemerkt, dass da Bedarf besteht. Diese Lücke wollen wir füllen.

Mit dem KH-Gesandten für Berlin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

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