Berlin

Interview mit der Kanzlerin

Die Anfrage kam so überraschend wie kurzfristig: Ob er am nächsten Tag nicht die Bundeskanzlerin interviewen wolle, fragte seine Schulleiterin Anfang dieser Woche Samuel Vingron vom Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn. Anlass des Gesprächs mit Angela Merkel sei der 75. Jahrestag der Pogrome am 9. November 1938. Gesendet werde das Gespräch im Videoblog der Bundeskanzlerin, der wöchentlich im Internet veröffentlicht und millionenfach abgerufen wird.

Der 17-jährige Abiturient musste nicht lange überlegen – und sagte kurzerhand zu. Zeit für Aufregung hatte Samuel von diesem Moment an erst einmal nicht. Zum Glück, sagt er. »Ich habe mich sofort in die Arbeit gestürzt und recherchiert.« Besonders wichtig war ihm dabei, prägnante Fragen zu formulieren, sodass die Bundeskanzlerin entsprechend klar antworten konnte. Ein bisschen surreal sei das gewesen, von einem Moment auf den anderen ein Interview mit der Kanzlerin vorzubereiten, sagt Samuel.

Fragen Am Anfang hatte er die Befürchtung, dass ihm nicht genügend einfallen würde. Am Ende musste er sogar einige Fragen streichen, weil für das Interview nur rund zehn Minuten angesetzt waren. »Ein Freund von mir sagte: Du musst die Kanzlerin auch unbedingt nach dem Streit mit unserer Gemeindeführung fragen«, erzählt Samuel. »Das habe ich natürlich nicht gemacht, es ging ja um ein ganz anderes Thema.«

Einen Tag später war es dann so weit. Ob er vor dem Treffen aufgeregt gewesen sei? Nein, sagt Samuel bestimmt. »Erst unmittelbar vor dem Interview ist mir das Herz in die Hose gerutscht.« Um sich zu sammeln, hat er dann aus dem Fenster geschaut und ist im Geiste noch einmal alle Fragen durchgegangen. Auf einmal hörte er hinter sich die Stimme der Kanzlerin. »Sind Sie der junge Mann, der mich interviewt? Das war extrem beeindruckend – auf einmal stand Angela Merkel vor mir.«

Nach und nach hat sich die Aufregung dann aber gelegt. Ab der dritten Frage hatte sich Samuel wieder gefangen. Die Antworten von Merkel haben den Schüler sichtlich beeindruckt. Er findet es bemerkenswert, dass die Kanzlerin so glaubhaft der Schoa-Opfer gedenkt und sich leidenschaftlich für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland einsetzt. »Für Frau Merkel gehören Gedenken und Verantwortung zusammen«, sagt Samuel. »Das sehe ich auch so: Wir müssen dafür sorgen, dass solch ein Unrecht nie wieder passiert.«

Gedenken Das authentische Gedenken an die Verfolgung von Juden während der NS-Zeit ist Samuel sehr wichtig. Der Abiturient kommt aus einer aschkenasischen Familie, die zur Zeit der Pogrome am 9. November 1938 in Polen und Österreich lebte. Die Ereignisse an diesem Tag, als in Deutschland die Synagogen brannten, hätte sie nie für möglich gehalten. Kurz darauf floh die Familie seiner Mutter von Krakau nach Sibirien. Die Familie väterlicherseits ging ins Exil nach Großbritannien.

»Das Thema Schoa geht mir allein schon deshalb sehr nah«, erklärt der Abiturient. Am 9. November wird er wie viele andere Gemeindemitglieder an der Namenslesung in der Fasanenstraße teilnehmen und Kaddisch sagen. Jüdischkeit, das ist für ihn auch Zachor, die Erfüllung des Gebots der Erinnerung und des Gedenkens.

Erfahrungen
Nach dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin war der Schüler erleichtert und zufrieden zugleich. Angela Merkel und der Regisseur der Aufnahme bescheinigten ihm, seine Sache gut gemacht zu haben. Entsprechend stolz waren auch Samuels Familie und seine Freunde. Die haben ihn nach dem Treffen mit der Bundeskanzlerin mit Fragen gelöchert. Nicht auf alle durfte er eine Antwort geben. Wo das Interview stattfand? Irgendwo im Regierungsviertel! Wann genau er die Kanzlerin traf? Irgendwann diese Woche! Samuel steht quasi unter Schweigepflicht, aus Sicherheitsgründen darf er nicht sämtliche Details des Treffens mitteilen.

Journalist will der Schüler trotz dieser beeindruckenden Erfahrung voraussichtlich nicht werden. Ihm gefällt es zwar, mit Menschen zu sprechen und ihnen Fragen zu stellen. Doch nach seinem Abitur im kommenden Jahr zieht es ihn wohl dennoch eher in Richtung Geschichtsstudium, wie er sagt. »In dem Fach geht es auch um Menschen und darum, wie sie die Geschichte verändern«, sagt Samuel – und fügt hinzu: »Im Guten wie im Schlechten.«

Das Interview auf bundeskanzlerin.de:
http://bit.ly/13vnRLl

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Berlin

Wegner besucht verwüstetes israelisch-palästinensisches Lokal

Das Restaurant wurde vergangene Woche verwüstet

 26.07.2024

Düsseldorf

Sägen, fräsen, bohren

Im Südwesten der Stadt betreibt die Gemeinde eine metallverarbeitende Behindertenwerkstatt

von Stefan Laurin  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Berlin

Große Räume für große Träume

Hillel zieht von Neukölln nach Kreuzberg

von Joshua Schultheis  25.07.2024

Olam

Für die Kids

Der Senat unterstützt das Jugendzentrum der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit 450.000 Euro

von Christine Schmitt  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Leipzig

Sachbeschädigung an jüdischer Einrichtung

Der Tatverdächtige wurde nach der Tat verhaftet und ist inzwischen wieder auf freiem Fuß

 24.07.2024