Farbe

Indigos kleine Schwester

Botschaften auf Erfurter Blau: Blick in die Altstadt Foto: Blanka Weber

Farbe

Indigos kleine Schwester

Warum Juden vom Handel mit dem »Erfurter Blau« ausgeschlossen waren

von Blanka Weber  24.01.2019 11:49 Uhr

Rosanna Minelli tunkt eine Stoffbahn in eine grünliche Flüssigkeit. Appetitlich sieht das alles nicht aus, und die schöne blaue Farbe kann man nur erahnen. Erst an der Luft wird sie sichtbar werden. Rosanna Minelli hängt die Stoffstücke vorsichtig auf eine Leine und betrachtet, wie sich die Farbe langsam entwickelt. »Das war auch früher durchaus etwas Besonderes.« Viele Touristen und Einheimische fragen sie heute nach dem Geheimnis der Farbe, den Rezepten und der Anleitung zum Färben der Stoffe.

Das Interesse, dieser Farbe auf den Grund zu kommen, ist groß. Auch bei Rosanna Minelli. Als Restauratorin kam sie in den 90er-Jahren aus Italien nach Erfurt, rekonstruierte Wandmalereien in Kirchen und war fasziniert von Pigmenten und Farben.

Krämerbrücke Seit zehn Jahren dreht sich bei ihr nun alles um den Färberwaid. Sie baut die Pflanze an, experimentiert damit, färbt Stoffe und stellt Tinte für Kalligrafie her. Dieses Sommertag-Himmelblau hat es ihr angetan: Ihr Fahrrad ist blau, die Dekoration in ihrem kleinen Laden auf der Krämerbrücke ist überwiegend blau, und auch ihr T-Shirt ist selbst gefärbt – mit Waid natürlich. »Dieses Blau muss auch damals etwas Magisches gewesen sein«, schwärmt sie. »Vielleicht auch ein Bezug zum Himmel«, dieses »sanfte Blau, die kleine Schwester des Indigos«.

Die gelb blühenden Felder der Pflanze hießen das »goldene Vlies«.

Und genau die bahnt sich derzeit wieder den Weg in das Bewusstsein. Erfurt hat es dieser Pflanze zu verdanken, dass die Stadt im 12. und vor allem im 13. Jahrhundert zu Reichtum und Ansehen kam. Ein Aufschwung, der eine kulturelle Blüte zur Folge hatte. Gelehrte siedelten sich an, eine Universität wurde gegründet – kurz: Erfurt war attraktiv.

Die Stadt galt damals als einer der bedeutenden Orte für Waidanbau und -handel. Die gelb blühenden Felder der Färbepflanze hießen nicht ohne Grund das »goldene Vlies«.

Achava Ob an diesem Markt auch Juden beteiligt waren, damit beschäftigte sich ein Podium im Rahmen des Achava-Festivals. Bis dahin war unklar, ob Erfurter Juden ebenfalls die Pflanze anbauen und damit handeln durften. Der Farbstoff war eine begehrte Ware, und blaue Farbe findet sich auch im jüdischen Kontext.

Der Erfurter Geschichts- und Religionswissenschaftler Jens Korzetz forschte in Archiven und kam zu dem Ergebnis: »Es gab keinerlei Verbindung.« Im Auftrag des Festivals suchte er nach den Gründen dafür, beleuchtete die Arbeits- und Lebensbedingungen und die speziellen Regeln, die Juden durch die Stadträte auferlegt wurden.

Korzetz’ Fazit: »Sie betätigten sich vor allem in der Geldleihe.« Die Erfurter Juden waren an Kreditgeschäften mit dem regionalen Adel und Bürgern der Stadt beteiligt. »Die Grafen von Beichlingen und Hohenschönhausen, die Herren von Schwarzburg und Henneberg, aber auch der Landgraf Albrecht der Entartete waren Kreditnehmer der Erfurter Juden.« Zu den sonstigen damaligen Berufen lässt sich heute nicht mehr viel sagen, weil kaum Nachweise vorhanden sind. Nur so viel: Etwa fünf Jahre nach dem Pogrom von 1349 entstand eine neue Gemeinde.

Gemeinde Aus Dokumenten geht hervor, dass es zwei jüdische Köche, vier Fleischer, eine Hebamme, einen Diener, zwei Sänger, zwei Schreiber und einen Finanzverwalter gab. Von Waid und dem Handel damit ist nichts zu lesen.

Einzig der Gürtel des Kalman von Wiehe, Teil des jüdischen Schatzes aus dem 14. Jahrhundert, der 1998 gefunden wurde, kann als Beleg gedeutet werden. Denn dieser ist mit Waid gefärbt und mit kostbaren Steinen bestickt worden.

1453 wurde den Juden erneut der Schutz des Stadtrates entzogen. Sie verließen die Stadt, siedelten im Umland und durften sich vermutlich von dort aus zwar noch am Geldhandel beteiligen, aber eben in wesentlich kleinerem Maßstab.

Faszination Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass Juden im mittelalterlichen Erfurt zwar vom »Erfurter Blau« fasziniert waren, aber damit nicht gehandelt haben. »Es gibt keinerlei Belege dafür«, sagt die Kunsthistorikerin Maria Stürzebecher.

Die Recherchen des Historikers Korzetz legen den Schluss nahe, dass Juden von diesem Geschäftsfeld konsequent ausgeschlossen waren. Denn immer wieder griff der Stadtrat »regulierend« ins Geschäftliche ein. »Damit sollte vermieden werden, dass Erfurter Bürger mit zu wenig Kapital oder Auswärtige mit zu viel Kapital sich am Waidkauf beteiligten.«

Die Pflanze konnte zum einen nur innerhalb der Stadt und nicht direkt beim Bauern erworben werden, und »in einer Verordnung aus dem Jahr 1500 wurde festgehalten, dass sich nur jemand am Waidhandel der Stadt beteiligen durfte, der innerhalb der Stadt ein steuerpflichtiges Vermögen von 1000 Gulden besaß«. Egal, wie man die Fakten verstehen möchte: Sie sind Beleg für den vorsätzlichen Ausschluss der Juden.

In der jüdischen Symbolik ist die Farbe Blau sehr präsent.

All das änderte nichts an der Faszination für den Waid und die Farbe Blau – aber auch nichts am aufkommenden Erfolg des Indigos, jenes neuen Farbstoffs, der 20- bis 30-mal ergiebiger war. Für Erfurt war damit auch das »goldene Vlies« vorbei.

Symbolik In der jüdischen Symbolik ist die Farbe Blau sehr präsent: Der Davidstern in der Flagge des Landes Israel ist blau, die Streifen von Gebetsschals sind es auch. »Vielleicht ist es dieses Unerreichte, der Himmel, der auch unsere Vorfahren im Mittelalter faszinierte und den man sich mit blau gefärbter Ware ein Stück erreichbar gemacht hat«, überlegt die Künstlerin Rosanna Minelli.

Zumindest scheint es heute wieder attraktiv zu sein, mit dieser Färbepflanze zu arbeiten. Es gibt diverse Interessenten, die bei ihr anklopfen, Künstler und Modemacher. Und es gibt die erfolgreichen Experimente mit dem jüdischem Kalligrafen Frank Lalou. Der Franzose hat im vergangenen Jahr einen Workshop gegeben: jüdische Kalligrafie mit Waid-Tinte. Der Start für ein neues Kunstprojekt, das jetzt erweitert werden soll.

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Berlin

Margot Friedländer Preis wird verliehen

Die mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehe an Personen, die sich für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen

 15.09.2025

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  14.09.2025

Hamburg

»An einem Ort getrennt vereint«

In der Hansestadt soll die Bornplatzsynagoge, die in der Pogromnacht von den Nazis verwüstet wurde, wiederaufgebaut werden. Ein Gespräch mit dem Stiftungsvorsitzenden Daniel Sheffer über Architektur, Bürokratie und Räume für traditionelles und liberales Judentum

von Edgar S. Hasse  13.09.2025

Meinung

»Als Jude bin ich lieber im Krieg in der Ukraine als im Frieden in Berlin«

Andreas Tölke verbringt viel Zeit in Kyjiw und Odessa – wo man den Davidstern offen tragen kann und jüdisches Leben zum Alltag gehört. Hier schreibt er, warum Deutschland ihm fremd geworden ist

von Andreas Tölke  13.09.2025

Porträt der Woche

Das Geheimnis

Susanne Hanshold war Werbetexterin, Flugbegleiterin und denkt über Alija nach

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.09.2025