Porträt der Woche

»Ich wollte auf die Bühne«

Daphna Rosenthal ist Schauspielerin, steht aber nicht gern im Mittelpunkt

von Maria Ugoljew  26.07.2020 07:00 Uhr

Daphna Rosenthal Foto: Maria Ugoljew

Daphna Rosenthal ist Schauspielerin, steht aber nicht gern im Mittelpunkt

von Maria Ugoljew  26.07.2020 07:00 Uhr

Das Leben ist doch ein reines Schauspiel, meinen Sie nicht? Ich habe das zu meinem Beruf gemacht. Bereits als kleines Mädchen wusste ich, dass ich auf die Bühne gehöre. Tanz oder Schauspiel – das war damals allerdings noch nicht ganz klar.

Es gab dieses eine Erlebnis, ich war sieben Jahre alt. Wir wohnten zu dem Zeitpunkt in Haifa bei Verwandten, die ein Hotel besaßen. Meine Mutter und meine Großmutter mütterlicherseits arbeiteten dort. Eines Tages spielte ich den Gästen im Garten vor, ich hätte einen gebrochenen Arm – mit großem Erfolg, mir wurde geglaubt.

Jerusalem Meine ersten Lebensjahre waren von großen Umbrüchen geprägt. Ich wuchs ohne Vater auf. Mit etwa eineinhalb Jahren gab mich meine Mutter schweren Herzens in ein Kinderheim in Jerusalem, sie musste arbeiten, Geld verdienen, es gab niemanden, der auf mich hätte aufpassen können.

Dann kam der Unabhängigkeitskrieg, und sie konnte mich in Jerusalem nicht mehr besuchen, da die Stadt abgeriegelt war. Ei-
ne längere Zeit waren wir getrennt. Als sie mich wieder zu sich holen konnte, erkannte ich sie nicht wieder. Es dauerte eine Weile, bis ich mich erneut an sie gewöhnt hatte – aber dann ließ ich sie nicht mehr los.

Während des Unabhängigkeitskrieges war ich zeitweilig von meiner Mutter getrennt.

1939 waren meine Mutter und ihre kleine Schwester mit einem Kindertransport von Berlin nach Palästina geflohen, ohne Eltern. Meine Mutter war 13 Jahre alt. Anstatt weiter die Schule zu besuchen, musste sie in der Landwirtschaft arbeiten. Ihren Eltern ist die Flucht aus Deutschland nicht gelungen. Ihnen fehlte es an finanziellen Mitteln.

RUINEN Die Tragik meiner Großeltern bestand darin, dass sie im Vorfeld zu großzügig waren: Verwandten, die beizeiten auswandern wollten, liehen sie Geld. Am Ende hatten sie für sich selbst nicht mehr genügend übrig. Die Nazis ließen es sich teuer bezahlen, wenn jüdische Bürger auswandern wollten. Und so sah meine Mutter ihren Vater nicht wieder, er wurde in Auschwitz ermordet. Ihre Mutter überlebte den Holocaust im Berliner Untergrund. Nach dem Krieg kam sie zu uns nach Israel.

Berlin 1956 zog ich mit meiner Mutter nach Berlin, meine Großmutter kam später erneut nach. Für mich war das ein weiteres einschneidendes Erlebnis. Ich war zehn Jahre alt, sprach nur Iwrit. Wir zogen in die Fasanenstraße, unsere Wohnung lag im Zentrum von West-Berlin.

Ich spielte mit anderen Kindern in den Hinterhöfen – viele von ihnen waren noch zerstört vom Krieg. An diesen Anblick der Ruinen erinnere ich mich noch gut. Aus Israel kannte ich das nicht, dort spielte ich in einem nahe gelegenen Wald.

Meine Mutter nahm in Berlin ein Studium auf. Ich besuchte die Schule, lernte Deutsch – und entdeckte das Tanzen für mich. Mit 15 Jahren tanzte ich bei Mary Wigman vor, einer international bekannten Ausdruckstänzerin. »Ja, dich nehme ich«, sagte sie mir.

Doch ich verstand nach einer Weile, dass das nicht hundertprozentig meins war, also brach ich das Studium nach zwei Jahren ab und nahm eine Schauspielausbildung am Hanny-Herter-Studio auf, einer Privatschule. Dort konnte ich mein Talent voll ausleben, bereits nach zwei Jahren durfte ich meine Abschlussprüfung machen, ein Jahr eher als üblich. Das war 1966. Mein erstes Engagement bekam ich daraufhin in Stuttgart. Seitdem war ich als Schauspielerin deutschlandweit unterwegs.

Mich interessiert vor allem das Theater.

Mich interessiert vor allem das Theater. Anders als im Film wird ein Theaterstück meist chronologisch erzählt. Die Herangehensweise an den Text ist sehr genau, man hat mehr Zeit, um seine Rolle zu entfalten. Um während einer Aufführung auch die letzte Reihe zu erreichen, braucht man eine ungeheure Konzentration. Die Intensität des Moments fasziniert mich.

Eine Schauspielkollegin, die mich menschlich und beruflich sehr beeindruckte und von der ich viel gelernt habe, war Ursula Herking. Sie war gute 30 Jahre älter als ich, eine gestandene Frau. Mit zehn Jahren verlor sie ihre Mutter, mit zwölf ihren Vater. Sie spielte in mehr als 100 Filmen mit, stand unzählige Male auf der Bühne. Als ich ihr mit 18 Jahren begegnete, wurde sie mein Vorbild. Ihretwegen brachte ich mir selbst das Schwimmen bei.

OHRFEIGE Sie zog vormittags in der Schwimmhalle immer ihre Bahnen, stets fragte sie am Tag zuvor, wer mitkommt. Ich drückte mich davor, wollte nicht zeigen, dass ich es nicht konnte. Ich wollte sie nicht enttäuschen.

Stattdessen übte ich in einem anderen Schwimmbad. Am Tag vor der Premiere fragte sie dann erneut: »Wer kommt morgen mit mir schwimmen?« Ich meldete mich und zeigte ihr – und mir –, dass ich es konnte. Sie erkannte, welche Mühe ich mir gemacht hatte, und lobte mich. Das war ein tolles Gefühl, noch heute schwimme ich für mein Leben gern.

Wegen meiner Schauspiellehrerin brachte ich mir selbst das Schwimmen bei.

Eine andere Erinnerung, die ich mit ihr verknüpfe, ist meine erste Ohrfeige im Leben. Vor einer Premiere pfiff ich in der Garderobe fröhlich ein Lied. »Das bringt Unglück«, sagte sie mir, »das Publikum pfeift uns aus!« – und verpasste mir eine. Von meiner Mutter wurde ich nie geohrfeigt.

ROLLEN Ich habe viele unterschiedliche Rollen gespielt, zwei davon haben mich sehr beeindruckt und beschäftigt: Da ist einerseits die kleine Esther in Roger Vitracs Victor oder Die Kinder an der Macht und andererseits Frau John in Gerhart Hauptmanns Die Ratten. Ersteres ist ein surrealistisches Theaterstück, uraufgeführt 1928, es geht um Kinder, die nicht in Freiheit und Liebe groß werden.

Ich habe für meine Rolle damals viel Zeit auf Spielplätzen verbracht. Denn Esther ist ein sechsjähriges Mädchen. Wie bewegen sich Kinder in dem Alter? Ich habe das nochmal studiert, verinnerlicht. Es ist mir gelungen. Man habe vergessen, dass da eine erwachsene Frau auf der Bühne steht, schrieb ein Kritiker.

Frau John ist natürlich eine völlig andere Rolle. Es handelt sich um eine erwachsene Frau, die aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches todunglücklich wird. Ein sehr tragisches Stück. Ich bin selbst kinderlos. Eine Entscheidung, die ich aus heutiger Sicht bereue. Wie wäre es, eine eigene Familie zu haben? Ich wüsste es gern.

LESEREIHE Ein Projekt, das mir außerdem sehr am Herzen liegt, ist meine Lesereihe zu Rosa Luxemburg. Sie schrieb zwischen 1913 und 1918 mehr als einhundert Briefe. Beinahe alle davon sind im Gefängnis verfasst; Rosa Luxemburg war im Ersten Weltkrieg fast ununterbrochen inhaftiert. Was für eine sensible Beobachterin sie trotzdem war! Alles interessierte sie – Natur, Tierwelt, Literatur, Malerei, Musik. Das beeindruckt mich zutiefst.

Es ist mir ein großes Anliegen, diese Seite von ihr zu vermitteln. »Vergessen Sie nie, dass das Leben, was auch kommen mag, mit Gemütsruhe und Heiterkeit zu nehmen ist«, schrieb sie zum Beispiel an ihre enge Vertraute Mathilde Jacob. Jacob schmuggelte unter anderem Rosa Luxemburgs Manuskripte aus dem Gefängnis, sorgte für deren Druck und Verbreitung.

Viel unterwegs zu sein, ständig etwas Neues erleben zu wollen – das ist mir nicht mehr wichtig.

Mich in aller Ruhe der Literatur zu widmen, füllt mich aus. Viel unterwegs zu sein, ständig etwas Neues erleben zu wollen – das ist mir nicht mehr wichtig. Ich hätte dafür auch keine Zeit, denn ich kümmere mich aktuell um meine Mutter, »mein Mütterlein«, sage ich gern zu ihr. Hannah Schulze heißt sie und ist in Berlin sicherlich so einigen bekannt. Sie arbeitete über viele Jahre in der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und leitete diese auch zeitweise. Jetzt ist sie 94 Jahre alt – und ich bin an der Reihe, mich um sie zu kümmern. Das ist ein Vollzeitjob.

CORONA Das Thema Corona, die Informationsflut, der wir ausgesetzt sind, versuche ich auszublenden. Ich nutze kein Internet, schaue kaum Fernsehen. Was ich besonders mag, sind Wortbeiträge im Radio.

Das Radiomachen habe ich auch selbst kennengelernt. Ich war über viele Jahre Programmsprecherin. Bei Radio Bremen ist mir mit einer Kollegin mal ein kleiner Fauxpas passiert: Während einer Sendung tauschten wir uns über ein Soßenrezept aus, wir dachten, wir seien nicht auf Sendung. Es gab daraufhin natürlich Ärger – aber auch Zuhörer, die das Rezept nachkochten, wie wir später erfuhren.

Sonst verlief meine berufliche Laufbahn glatt, man könnte auch sagen, sehr erfolgreich – ich bin allerdings zurückhaltend, was das Sich-selbst-Loben betrifft. Sowieso stehe ich nicht gern im Mittelpunkt. Dass nun dieses Porträt über mich erscheint, ist mir tatsächlich etwas unangenehm. Auf der Bühne ist das anders, da spiele ich jemand anderen.

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