Portrait der Woche

»Ich wohne in der Musik«

»Musik ist ein Tor zu einer anderen Kultur und ein großartiges Mittel, um Tradition zu transportieren«: Alex Jacobowitz (57) Foto: Gregor Zielke

Es gibt zwei Dinge, die mich definieren: Seit jeher bin ich Jude und seit meinen Teenagerjahren Musiker. Meine Liebe zur Musik jedoch reicht noch weiter zurück: Sehr früh habe ich Schlagzeug gespielt, wusste dann aber lange nicht, in welche Richtung ich jene Liebe steuern soll.

Erst als ich auf die Musikhochschule in New York kam, entdeckte ich das Marimbaphon, das Instrument, mit dem ich bis heute durch die Welt toure und für das meine Leidenschaft nach all den Jahren nicht abgenommen hat.

Das Marimbaphon gehört zur Familie der Xylophone. Viele, die es zum ersten Mal sehen, glauben, es sei ein riesiges Kinderspielzeug, aber ich kann versichern, das ist es keineswegs. Spätestens, wenn ich es erklingen lasse, wissen die Zuhörer, was für ein fantastisches Instrument vor ihnen steht. Wiederum andere denken, es sei ein merkwürdig aussehendes Schlagzeug, weil es mit hölzernen Schlägern gespielt wird. Ich jedoch begreife das Marimbaphon als eine Art Klavier.

Mozart Ich setze die vier Palisanderschläger – ein sehr teures Holz – nämlich so wie Finger ein. Ich kann auf diese Weise schöne, klassische Werke, etwa von Bach oder Mozart, spielen. Für mich ist das ein Weg, jene Musik ins 21. Jahrhundert zu übertragen.

Geboren wurde ich 1960 in New York. Seit 2002 lebe ich in Berlin. Aber als oft reisender Musiker kann ich viele Städte und Orte als mein Zuhause bezeichnen – New York, Jerusalem oder auch Kapstadt. Wenn ich mich willkommen fühle, eine Verbindung herstellen kann zu den Menschen, wenn die Seele wachsen kann, dann bin ich zu Hause. Am liebsten sage ich allerdings, dass ich im All lebe. Ich habe eine starke Verbindung zu meiner Musik und weiß, dass alle Klänge, die ich erzeuge, auch nach meinem Ableben noch durch den Raum schweben werden. Ich finde, das ist eine schöne Vorstellung. Ich wohne in der Musik.

meisterkurse Von 1982 bis 1983, mit 22 Jahren, habe ich mit dem Jerusalem Symphony Orchestra gespielt, das war eine wichtige Erfahrung in meinem Leben. Denn als ich die Triangel zu Tschaikowski schlagen musste, konnte ich mich endlich dazu durchringen, Marimbaphon-Solist zu werden. Ich glaube, es braucht gewisse Schlüsselerlebnisse. Erst muss man begreifen, was man nicht will, um zu verstehen, was man will.

Ich fing also an, sogenannte Meisterkurse für das Marimbaphon in Frankreich, Israel und den USA zu geben. Ich bekam schnell Anerkennung von meinen Schülern. Das war schön. Ich war angespornt und wollte austesten, wie weit ich allein mit meinem Instrument gehen kann, ohne ein Orchester. Ich habe dann versucht, die kompliziertesten Werke klassischer Komponisten auf das Marimbaphon zu übertragen, Beethovens Sonaten zum Beispiel.

Ich bin lange bei der Klassik geblieben. Erst 1998 habe ich traditionelle jüdische Musik für mich entdeckt. Ich war zu der Zeit bereits regelmäßig in Berlin, auch um Konzerte für die Jüdische Gemeinde zu geben. Vor allem aber bildete ich mich weiter. Ich habe noch einmal studiert, und zwar bei Alan Bern, einem bekannten Komponisten und angesehenen Experten für jüdische Musik, der in Berlin lebt. Ich verstand immer besser, wer ich bin und inwieweit Musik ein Teil meiner Identität ist.

Bach ist fantastisch, kürzlich erst habe ich auf einem Bach-Festival gespielt. Aber die jüdische Musik, Klezmer, hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Ich bin Jude, ich wollte diese Musik nicht nur spielen, ich wollte sie leben. Heute kann ich sagen: Ich bin Klezmer.

jiddisch Paradoxerweise konnte ich meine jüdischen – und jiddischen – Wurzeln erst in Berlin so richtig entdecken. Ich habe Deutsch gelernt und konnte so leichter auf das Jiddische zugreifen, beide Sprachen haben eine enge Verwandtschaftsbeziehung. Ich habe als Kind schon Jiddisch gehört, es ist die erste Sprache meines Vaters.

Meine Eltern sind in den USA geboren, meine Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits stammen aus Osteuropa. Zwischen 1914 und 1923 sind sie in die USA ausgewandert. Selbstverständlich haben sie erst einmal Jiddisch miteinander gesprochen, aber irgendwann war es dann verpönt, wir sollten alle »gute Amerikaner« sein, uns anpassen und Englisch sprechen. Das Jiddische wurde uns, mir und meinen Vorfahren, nicht im sowjetischen Sinne verboten, um eine jüdische Identität zu unterdrücken – es gab einen gewissen sozialen Druck, und wir wollten nicht ausgegrenzt sein. Andere haben natürlich die Sprache gesprochen, tun es bis heute, aber für meine Brüder und mich war das keine Option.

Also habe ich erst als Erwachsener begonnen, mich mit Jiddisch auseinanderzusetzen. Ich wollte dabei immer auch die Gefühle hinter der Sprache verstehen. Ich glaube, dass Musik ein großartiges Mittel ist, um die Sprache, das Jiddische, aber auch Tradition zu transportieren.

demokratie Dass meine Musik ausgerechnet in Deutschland, dem Land, von dem der Holocaust ausging, so viel positive Resonanz bekommt, freut mich sehr. Dass ich hier gelandet bin, das hat sich so entwickelt. So ist es eben. Ehe ich mich versah, war mein Lebensmittelpunkt in Berlin. Eigentlich hatte ich vor, nach Israel auszuwandern. Ich habe vor Jahren einmal auf einem Festival dort gespielt, und jemand meinte zu mir in einem Gespräch: Alex, du musst unbedingt Deutschland besuchen.

Die Menschen dort empfinden eine große Liebe zu klassischer Musik. Ich hatte anfangs Bedenken, ich habe mich manchmal gefragt, ob der alte Herr im Publikum nicht vielleicht im Zweiten Weltkrieg einen Juden getötet hat. Ich musste eine gewisse Angst überwinden, als ich nach Deutschland gekommen bin. Ich stehe zu meinem Judentum, bin wegen meiner Kleidung als Jude erkennbar. Für mich drängen sich Fragen von Ausgeschlossensein und Diskriminierung also allein schon deswegen auf.

Einmal habe ich eine sehr unangenehme Erfahrung gemacht: Als ich das erste Mal auf dem Münchner Marienplatz öffentlich Musik gemacht habe, kamen vier Jungs auf mich zu und haben mich bedroht und auf den Boden gespuckt. Erst als zwei Passanten hinzukamen und sich neben mich stellten, ließen sie von mir ab. Die beiden Männer, die Courage zeigten, waren jedoch Amerikaner, keine Deutschen. Die meisten Menschen gingen einfach weiter.

Aber das ist schon 25 Jahre her, und ich muss sagen, Deutschland hat sich seitdem geändert. Ich habe das Gefühl, heute mischen sich mehr Menschen ein und engagieren sich für ein friedliches Zusammenleben. Damit einher geht auch ein Bewusstsein dafür, dass es Bedrohungen für die Demokratie gibt – von rechts und von links. Demokraten müssen bereit sein, sich zu verteidigen und sich einzumischen.

Auch die Einstellung der Deutschen zu Herkunft und Identität hat sich positiv gewandelt. Als ich vor langer Zeit einmal auf der Straße gespielt habe – wieder in München –, wurde ich von einer älteren Dame ständig unterbrochen. Woher ich denn komme, hat sie mich gefragt. Sie konnte einfach nicht fassen, dass ich Amerikaner bin, hat immer weiter nachgefragt, auch nach meinen Eltern. Dass Menschen hier und da offenbar immer noch Wert auf Abstammung legen, war mir damals lästig und unbegreiflich. Heute bist du Deutscher, wenn du einen deutschen Pass hast, egal, woher deine Eltern kommen, und das ist gut so. Wir müssen nur darauf aufpassen, dass die Offenheit der Deutschen in vielen Fragen nicht missbraucht wird.

mesusa Es ist richtig, dass all diese Menschen aus Syrien und anderen Ländern in Deutschland Schutz bekommen haben. Einige von ihnen haben jedoch antisemitische Vorurteile. Auch Juden müssen sich in Deutschland weiter sicher fühlen können. Es braucht also eine starke, gute Integrationsarbeit. Als Jude möchte ich nicht darüber nachdenken müssen, ob mein Nachbar nicht vielleicht antisemitische Vorurteile hegt.

Ich habe seit 13 Jahren eine Mesusa an meinem Türpfosten hängen, es ist also zu erkennen, dass es sich in meinem Fall um einen jüdischen Haushalt handelt. Und ich hatte nie ein Problem. Das ist natürlich gut, aber wir müssen wachsam sein, auch gegenüber fremdenfeindlichen Bewegungen wie Pegida, mir bereitet das Sorge.

Vor dem Hintergrund all dessen kann Musik uns eine große Hilfe sein. Traditionelle Musikstile können ein Tor zu einer neuen Kultur öffnen und uns Toleranz lehren. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit Musik in Deutschland Herausforderungen zwischen Kulturen bewältigen können. Dazu möchte ich beitragen.

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