Porträt der Woche

»Ich löse gern Probleme«

Esther Knochenhauer wollte Lehrerin werden und arbeitet heute als Eventmanagerin

von Christine Schmitt  05.06.2019 11:53 Uhr

»Ich will dazu beitragen, dass Antisemitismus bei Kindern gar nicht erst entstehen kann«: Esther Knochenhauer (34) lebt in Berlin. Foto: Rolf Walter

Esther Knochenhauer wollte Lehrerin werden und arbeitet heute als Eventmanagerin

von Christine Schmitt  05.06.2019 11:53 Uhr

Jeder Tag in meinem Leben ist anders – und das muss auch so sein, sonst wird mir langweilig. Manchmal arbeite ich fast die ganze Nacht durch, schlafe kurz und stehe dann wieder um sechs Uhr auf, um meine Tochter zu wecken und auf die Schule vorzubereiten und anschließend mit dem Hund hinauszugehen. Es gibt aber auch Tage, an denen ich wenig oder gar nichts zu tun habe, und an denen stehe ich auch um sechs Uhr auf, um meine Tochter zu wecken.

Beruflich habe ich vieles ausprobiert und immer nach neuen Herausforderungen gesucht. Momentan arbeite ich überwiegend für YouTuber – und diese Arbeit erfüllt mich. Jetzt wird sowieso alles anders, weil ich wieder schwanger bin – demnächst wird mein zweites Kind zur Welt kommen. Ganz in Weiß habe ich vergangenes Jahr geheiratet und mit meinem Mann unter der Chuppa gestanden. Mit unseren Verwandten und Freunden haben wir eine große Party gefeiert.

Krimis oder generell Trash stehen bei mir im Bücherregal.

DDR-Zeit Ich kam in Halle an der Saale zur Welt. Meine Eltern fuhren nur für meine Geburt dorthin, weil es dort zu DDR-Zeiten die beste Geburtsklinik gab. Das ist mittlerweile 34 Jahre her. Wir lebten zu dritt in Potsdam, bis es meinen Vater und mich nach Berlin verschlug, da war ich zwölf oder 13 Jahre alt. Erst zogen wir nach Charlottenburg, ein bisschen später nach Friedrichshain. Das war natürlich eine coole Sache, denn in dem Alter sind Bars und Klubs der absolute Zeitvertreib.

Erst besuchte ich die John-F.-Kennedy-Schule in Zehlendorf, dann das Jüdische Gymnasium in der Großen Hamburger Straße. Ich habe so gute Erfahrungen mit privaten Schulen gemacht, dass meine Tochter auch eine besucht.

Meine Eltern lernten sich in Russland in einem Museum kennen.

Als ich in der Großen Hamburger Straße zur Schule ging, verkaufte ich Zeitungen in den Lokalen rund um die Oranienburger Straße, um mein Taschengeld aufzubessern. Gelernt habe ich dabei: Wenn einer kauft, weckt es die Neugier der anderen in den Cafés oder Kneipen. Aber lange währte diese Episode nicht, denn es gab noch so viel zu entdecken. Ich übernahm auch Jobs als Hostess bei Messen oder als Kellnerin. Dabei gab es für mich viel zu beobachten, denn ich bin sehr neugierig.

Nach dem Abitur studierte ich Geschichte auf Lehramt. Ich dachte, dass ich Grundschullehrerin werden wollte. Nach drei bis vier Semestern habe ich gemerkt, dass das keine gute Idee war. Ich sollte nämlich in einer Reinickendorfer Grundschule ein Praktikum absolvieren. Die Erfahrungen im Alltag an einer staatlichen Schule haben mir gezeigt, dass dieser Beruf nicht meinen Wünschen entspricht.

HERTHA Also schrieb ich mich wieder an der Uni ein, diesmal für Japanologie und Wirtschaft. Im zweiten Semester wurde ich schwanger, konnte mich nicht mehr auf mein Studium konzentrieren und verließ die Uni wieder. In den zwei Semestern stellte ich fest, dass Wirtschaftswissenschaften mir sehr viel Spaß bereiten, und begeisterte mich für dieses Fach.

Nach der Geburt meiner Tochter begann ich eine Ausbildung im Buchhandel. Ich lese viel und gerne und hatte eine sehr romantische Sicht auf diesen Zweig des Einzelhandels. Nach einem Jahr kam mir die Erkenntnis: Das reicht nicht, ich möchte mehr lernen und vor allem mehr tun. Deshalb entschloss ich mich, International Business Management zu studieren. Dabei habe ich in den drei Jahren viel gelernt, was ich heute noch täglich nutze, auch wenn ich keinen Bachelor mehr gemacht habe.

Mein erster fester Job war bei einem Vermarkter von Hertha BSC im Ticketverkauf. Nach einem Jahr entschloss ich mich, etwas Neues auszuprobieren und einen Job zu suchen, in dem die Zeiteinteilung flexibler und die Herausforderungen größer waren.

Bei einem großen YouTuber-Netzwerk betreute ich drei Jahre lang ein großes europäisches Event und habe so ziemlich alles gemacht, was bei einer Großveranstaltung anfällt. Es war nicht immer einfach oder auch erfolgreich, was im Rahmen dessen stattfand, aber mit dem damaligen Team war es eine wunderbare Zeit. Ich arbeite bis heute in der YouTuber-Szene, versuche aber auch, andere Projekte zu betreuen.

Meistens arbeite ich von zu Hause aus, dies ist wesentlich angenehmer für mich als in einem Büro. Ich würde sagen, dass meine Arbeit nicht kreativ ist, sondern eher zum Sortieren und Organisieren gehört. Ich löse gerne Probleme und fühle mich deshalb in der Event-Branche zu Hause. Hier gibt es eigentlich immer irgendein Problem.

DIALOG Seit drei Jahren engagiere ich mich bei »Rent a Jew«. Bei diesem Projekt können sich Schulen, Bildungsinstitutionen und Vereine melden und junge jüdische Menschen einladen, um mit Schülern ins Gespräch zu kommen. Das Ziel ist, jüdischen Menschen ein Gesicht zu geben, das oft abstrakte Bild von »Juden« aufzubrechen und Antisemitismus vorzubeugen. In letzter Zeit werden die Aussagen im öffentlichen Raum gefühlt immer schärfer. Sätze über Juden, die sich vor ein paar Jahren noch niemand getraut hätte zu sagen, werden nun salonfähig. Dies ist erschreckend und bestärkt mich, weiterhin bei dieser Aktion mitzumachen, damit Antisemitismus bei Kindern gar nicht erst entstehen kann.

Bei einem großen YouTuber-Netzwerk betreute ich drei Jahre lang ein großes europäisches Event

Vor und nach den Sommerferien ist immer Hauptsaison. Manchmal wundere ich mich, dass beispielsweise Schüler der neunten Klasse noch nichts vom Holocaust gehört haben, obwohl die nun wirklich schon alt genug sind. Ich bin immer wieder erstaunt über die Fragen der Schüler. Sie sind teilweise klar antisemitisch, teilweise aber auch einfach neugierig: Zahlen Juden auch die Mehrwertsteuer? Gibt es eine Regelung zum dritten Geschlecht im Judentum? Ich hoffe, dass ich mit meinem Einsatz etwas Gutes tue und die Kids denken, dass die ja ganz nett war, und die Begegnung mit mir sie für das Leben prägt.

Respekt Vor Kurzem hat mich eine überregionale Zeitung bei einem Gespräch begleitet und über meinen Einsatz auf der Titelseite berichtet. Ich habe so viele positive Rückmeldungen auf allen Kanälen bekommen: »Toll, dass du es machst«, »Respekt« – es waren eigentlich nur positive Kommentare. Das motiviert natürlich sehr.

Meine Eltern haben sich in Russland in einem Museum kennengelernt. Mein Vater, ein Physiker, war dort mit einem Austauschprogramm unterwegs, meine Mutter hatte einen Ferienjob als Aufsichtsperson angenommen und bewachte einen Raum. Sie heirateten und gingen zusammen nach Deutschland. Ich habe keine Geschwister. Meine Mutter zog es später wieder zurück nach Russland, weil ihre Mutter krank wurde und sie sich um sie kümmern wollte. Mein Vater und ich entschieden uns, in Berlin zu bleiben.

Mein Vater ist nicht jüdisch, hat sich aber im Laufe der Zeit ein enormes Wissen über das Judentum angeeignet. Ich staune immer, wenn er mit meiner Tochter über das Judentum diskutiert, da kann ich eindeutig nicht mithalten.

Mindestens einmal im Monat möchte ich die Synagoge Pestalozzistraße am Freitagabend besuchen.

SYNAGOGE Ich bin abends gerne unterwegs und gehe ins Kino, in Restaurants, Bars und natürlich in Konzerte oder ins Theater. Bei Theateraufführungen bin ich allerdings recht konservativ und freue mich über Kostüme, Bühnenbilder und wenn mal keiner auf der Bühne kotzt.

Krimis oder generell Trash stehen bei mir im Bücherregal. Wenn mein Gehirn abends noch funktioniert und aufnahmefähig ist, dann lese ich auch gerne Bücher über die russische oder deutsche Geschichte.

Mindestens einmal im Monat möchte ich die Synagoge Pestalozzistraße am Freitagabend besuchen, in der meine Tochter demnächst Batmizwa wird. Durch meinen Mann bin ich im weitesten Sinne traditionell, wir halten die Feiertage ein und versuchen, im Alltag die Religion nicht komplett zu vernachlässigen.

Ich möchte unseren Kindern natürlich unsere Kultur und Religion mitgeben. Derzeit fragen mich alle, wann das Baby kommt. Anscheinend habe ich so zugelegt. Im August ist es so weit, und ich hoffe, dass der neue Mensch auch so ein ruhiger wird wie meine Tochter. Wenn nicht – ich mag Herausforderungen und Veränderungen.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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