Halle

»Ich hätte lieber in der Synagoge gefeiert«

Gemeindevorsitzender Max Privorozki betont: »Die Polizei kennt sozusagen live unsere Pläne und Aktivitäten.« Foto: picture alliance/dpa

Halle

»Ich hätte lieber in der Synagoge gefeiert«

Max Privorozki über Rosch Haschana in Corona-Zeiten und Jom Kippur ein Jahr nach dem Anschlag auf die Synagoge

von Heide Sobotka  17.09.2020 09:08 Uhr

Herr Privorozki, Sie feiern erstmals Rosch Haschana und Jom Kippur nicht in der Synagoge. Wie kam es dazu?
Aufgrund von Corona könnten wir nur 19 bis maximal 23 Plätze anbieten, wir haben aber jetzt schon für Erew Rosch Haschana 44 Anmeldungen sowie am Sonntag zum Schofarblasen und für Jom Kippur zur Mittagszeit noch sehr viel mehr. Um gerade in dem Jahr nach dem Anschlag auf unsere Synagoge gemeinsam die Hohen Feiertage unter Corona-Bedingungen feiern zu können, haben wir einen städtischen Raum für die beiden Festtage mit einer Gesamtkapazität von 350 Plätzen angemietet. Wir können also unter den Corona-Auflagen etwa 60 bis 70 Personen zu den Gottesdiensten begrüßen.

Das wird einige Logistik und auch finanzielle Belastungen mit sich bringen.
Die Stadt ist uns mit dem Mietpreis auf eine so lange Zeit und für zwei Anlässe doch sehr entgegengekommen. Aber ganz umsonst ist es nicht, das stimmt. Ja, die Logistik ist schwierig: Die Torarolle muss von A nach B gebracht werden, und vor allem benötigen wir neben den Hygieneregeln und -Rücksichtnahmen auch noch ein Sicherheitskonzept.

Stichwort Schutz: Fühlen Sie sich in dem fremden Raum sicherer als in der Synagoge mit der neuen Tür?
Ich hätte hundertmal lieber in der Synagoge gefeiert, die ist sicherer. In dem anderen Raum gibt es verschiedene Eingänge und am Samstagfrüh sogar Publikumsverkehr im gleichen Haus. Das muss man alles berücksichtigen. Ich habe gerade eine lange Sitzung deswegen im Polizeipräsidium gehabt. Aber grundsätzlich ist die Synagoge jetzt besser gesichert als vor dem Anschlag an Jom Kippur im vergangenen Jahr.

Hat sich denn die allgemeine Sicherheitslage verbessert?
Ja, sehr. Früher hieß es, Halle ist nicht München, Frankfurt oder Berlin. Jetzt haben sie aber verstanden, dass nicht nur in München und Frankfurt, sondern auch in kleineren Städten die Sicherheit wichtig ist. Die Zusammenarbeit mit der Polizei war früher sehr statisch. Jetzt kennt die Polizei sozusagen live unsere Pläne und Aktivitäten. Sie ist über alles informiert, was bei uns passiert, sie weiß jetzt in Minutenschnelle über unsere Veranstaltungen Bescheid. Sollte sich beispielsweise – nicht jetzt zu Corona-Zeiten, aber generell – ein Deutschkurs für Senioren zeitlich verschieben, weil die Lehrerin zu spät kommt, weiß das die Polizei sofort. Meldet sich ein Journalist zwecks Interview in der Gemeinde an, weiß auch dies die Polizei umgehend.

Dennoch: Hält das Trauma des vergangenen Jahres an? Gibt es einen Rückgang bei der Anzahl der Beter?
Nicht unbedingt aus Gründen der Sicherheit, wegen Corona schon. Aber auch da haben wir vorgesorgt. Es wird beispielsweise wegen der Infektionsgefahr kein festliches Essen zu Rosch Haschana geben wie in den vergangenen Jahren. Deshalb haben wir große Pakete gepackt, die alles beinhalten, was für das Neujahrsfest wichtig ist: Äpfel, Granatäpfel, Saft für die Kinder, Wein für die Erwachsenen, runde Challot, die wir selbst gebacken haben. An zwei Tagen werden Mitarbeiter und Freiwillige mit fünf Autos – ich bin auch dabei – die Pakete zu den Haushalten fahren. Es werden insgesamt etwa 260 sein. Aber das ist machbar und ein kleiner Ausgleich zu all den Besonderheiten, die dieses Corona-Jahr mit sich bringt. Ich bin zuversichtlich und dankbar, denn es haben viele geholfen, damit wir das machen können.

Mit dem Vorsitzenden des Landesverbands Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt und der Jüdischen Gemeinde Halle sprach Heide Sobotka.

Auszeichnung

Strack-Zimmermann erhält Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit

Die FDP-Politikerin wird für ihre klaren Worte und ihr entschlossenes Handeln angesichts globaler Krisen geehrt

 29.06.2025

Erfurt

Ende eines Krimis

Seine Entdeckung gilt als archäologisches Wunder: Mehr als 25 Jahre nach dem Fund des Erfurter Schatzes sind vier weitere Stücke aufgetaucht

von Esther Goldberg  29.06.2025

Porträt der Woche

Heilsame Klänge

Nelly Golzmann hilft als Musiktherapeutin an Demenz erkrankten Menschen

von Alicia Rust  29.06.2025

Interview

»Wir erleben einen doppelten Ausschluss«

Sie gelten nach dem Religionsgesetz nicht als jüdisch und erfahren dennoch Antisemitismus. Wie gehen Vaterjuden in Deutschland damit um? Ein Gespräch über Zugehörigkeit, Konversion und »jüdische Gene«

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  29.06.2025

Solidarität

»Sie haben uns ihr Heim und ihre Herzen geöffnet«

Noch immer gibt es keinen regulären Flugbetrieb nach Israel. Wir haben mit Israelis gesprochen, die in Deutschland gestrandet sind. Wie helfen ihnen die jüdischen Gemeinden vor Ort?

von Helmut Kuhn  26.06.2025

Meinung

Mannheim: Es werden bessere Tage kommen

Wegen Sicherheitsbedenken musste die jüdische Gemeinde ihre Teilnahme an der »Meile der Religionen« absagen. Die Juden der Stadt müssen die Hoffnung aber nicht aufgeben

von Amnon Seelig  25.06.2025

Frankfurt

Lust auf jüdisches Wissen

Die traditionsreiche Jeschurun-Religionsschule ist bereit für die Zukunft

von Eugen El  23.06.2025

Interview

»Jeder hilft jedem«

Eliya Kraus über schnelle Hilfe von »Zusammen Frankfurt« und mentale Unterstützung

von Katrin Richter  23.06.2025

Leipzig

Tausende Gäste bei Jüdischer Woche

Veranstalter waren die Stadt Leipzig in Kooperation mit dem Ariowitsch-Haus

 23.06.2025