Porträt der Woche

»Ich habe Feuer gefangen«

Hat vergangenen Herbst erstmals seine Fotos ausgestellt: Felix Jankelewitch vor einigen Bildern in seiner Wohnung Foto: Jörn Neumann

Porträt der Woche

»Ich habe Feuer gefangen«

Felix Jankelewitch lernt jeden Tag Tora und entdeckt die Liebe zur Digitalfotografie

von Matilda Jordanova-Duda  10.05.2010 10:16 Uhr

Mein Tag beginnt mit dem Gebet. Meist zu Hause, obwohl es morgens um 7 Uhr in der Synagoge einen Minjan gibt. Aber ich wohne zu weit weg. Mit 61 bin ich nicht mehr so jung und auch nicht ganz gesund, um jeden Tag den weiten Weg ins Kölner Stadtzentrum zu fahren. Samstags jedoch schaue ich zu, dass ich auf jeden Fall in die Synagoge komme. In meiner Woche gibt es zwei Schlüsseltage: den Dienstag und den Schabbat. Am Dienstagnachmittag lernen wir Tora unter Anleitung von Rabbiner Mendel Stroks.

Wir nehmen den aktuellen Wochenabschnitt durch: Was steht da geschrieben, und wie kann man es interpretieren? Ich gehe schon seit acht Jahren jede Woche zu diesen Schiurim, und sie bereiten mir große Freude. Wir können unserem Rabbiner jede beliebige Frage stellen, egal, ob sie zum aktuellen Thema passt oder nicht. Ein Beispiel: Was meint das Judentum zum Klonen? Manchmal hält er dann auf Anhieb eine ganze Vorlesung darüber. Oder er verspricht, sich zu erkundigen und beantwortet die Frage beim nächsten Mal.

Rabbiner Stroks spricht Deutsch. Er ist der einzige Mensch, dessen Deutsch ich hundertprozentig verstehe. Denn ich habe die Sprache gelernt, indem ich ihm zuhörte. Die Kommunikation unsereines mit Muttersprachlern ist ja sehr begrenzt: Arzt, Behörden, Einkaufen. Den Rabbiner habe ich kennengelernt, da war ich noch keine Woche in Deutschland.

Ende 2001 sind wir ausgewandert. Da fragte ich bei der Kölner Gemeinde sogleich, ob ich hier meine Torastudien fortsetzen könnte. In Dnjepropetrowsk, wo ich herkomme, gibt es nämlich eine große Chabad-Gemeinde. Nach der Wende sandte der siebte Lubawitscher Rebbe einen seiner Schüler hin. Diesem jungen Mann ist es gelungen, die Gemeinde mit neuem Leben zu füllen. Die Leute drängten sich hin, um ihn zu hören. Ich bin 1990 in seinem Umkreis gelandet, und seitdem gehe ich diesen Weg.

karriere Vorher, das muss ich zugeben, hatte ich für Religion wenig übrig. Auch von meinen Eltern habe ich wenig darüber erfahren. Zwar war ich nicht in der Kommunistischen Partei, aber ich hatte nur meine Arbeit als Bauingenieur im Kopf. Auch war es ja damals nicht gerade karrierefördernd, in die Synagoge zu gehen. Das taten nur ein paar alte Leute.

Heute habe ich viele jüdische Bücher auf Russisch. Das hebräische Alphabet habe ich mir zwar selbst beigebracht, aber das Gelesene auch richtig zu verstehen, ist eine andere Sache. Ich bemühe mich, jeden Tag in den Büchern zu lesen. Das ist ein Ozean an Wissen, und es entstehen dabei viele Fragen, die ich mit dem Rabbiner erörtern möchte.

Mit dem Beruf hat es hier in Deutschland nicht geklappt, und mir ist klar geworden, dass es auch nichts mehr wird. Daran sind mein bereits fortgeschrittenes Alter und meine schlechten Deutschkenntnisse schuld.

Aber vor drei Jahren hat man mir zum Geburtstag eine digitale Fotokamera geschenkt. Und ich habe Feuer gefangen. Anfangs knipste ich nur, dann wollte ich mehr und fing an, mit den Bildbearbeitungsprogrammen zu experimentieren. Ich spiele mit Licht und Farben. Meine Bilder haben meist eine zweite Ebene, und jeder Betrachter sieht darin etwas anderes. Selbst wenn kein Mensch sie sehen will, ich würde weitermachen. Ich hatte mich nie darum gekümmert, ob etwas gefällt oder nicht. Hauptsache, ich bin damit zufrieden. Bekannte von mir meinten jedoch, es wäre schön, wenn auch andere Leute meine Bilder sehen könnten. So habe ich vergangenen Herbst meine erste Ausstellung gemacht, im Gemeindezentrum Köln-Chorweiler. Ich glaube, sie war ein Erfolg. Rund 100 Leute kamen zur Eröffnung.

Ich fotografiere nicht nur jüdische Themen. Aber ich habe bei der Ausstellung gemerkt, dass sich die meisten Besucher vor der »jüdischen« Wand drängten und dazu viele Fragen stellten. Aber natürlich waren die meisten Juden. Außerdem gibt es kaum Kunstwerke, die sich mit dem Judentum beschäftigen. In den Museen in Köln und den Nachbarstädten kann man sie jedenfalls an den Fingern einer Hand abzählen. Nun ja, jedenfalls ermunterten sie mich, mehr in dieser Richtung zu arbeiten. So nach dem Motto: Das kannst du gut, wir wollen mehr davon.

Bildmotive Das ist eigentlich eine recht schwierige Aufgabe, weil alle Ereignisse ja gewissermaßen bekannt sind: Schabbat, Gebet, die jüdischen Feste. Eine große, aber doch überschaubare Zahl an Motiven. Ich nehme in der Synagoge alle Veranstaltungen auf: Beschneidungen, Hochzeiten, Feste. Oder in Antwerpen, wo das traditionelle jüdische Leben bewahrt wird, wie es einst in den Schtetln Polens, Litauens und der Ukraine war – wenn ich die Gelegenheit habe hinzufahren, finde ich dort viele Motive.

Vor Kurzem wurde mir angeboten, meine Ausstellung in Hanau zu zeigen. Ich habe den Initiatoren probeweise drei, vier Fotos gemailt. Es ist mir ein bisschen bange, denn die Bilder an der Wand unterscheiden sich von dem, was man auf dem Bildschirm sieht. Dort sind die Farben satter, beim Druck verlieren sie etwas.

Oft fotografiere ich einfache Dinge wie Schnürsenkel in allen Farben: grün, rot, blau. Nach der Bearbeitung kann sie keiner mehr als Schnürsenkel erkennen. Die Ideen kommen mir in den erstaunlichsten Momenten, zum Beispiel, wenn ich mit jemandem rede oder Bahn fahre. Ich verbringe ziemlich viel Zeit an meinem Computer. Außerdem habe ich Familie, und zu Hause gibt es immer etwas zu tun. Meine Frau pflegt zudem ihre alte Mutter. Ich unterstütze sie dabei, so gut es geht.

Inzwischen habe ich bestimmt schon mehr als 20.000 Bilddateien, obwohl ein Computervirus vor einiger Zeit einen großen Teil meiner Sammlung vernichtet hat. Viele Bilder sind Variationen ein und derselben Aufnahme. Einige gefallen mir nicht, aber ich bewahre sie auf, für den Fall, dass ich eines Tages darauf zurückkommen will.

museen Ich mag Ausstellungen moderner Kunst in Galerien und Museen. Vor allem, wenn kein Eintritt zu zahlen ist, wie beim Museumstag, will ich keine Gelegenheit verpassen, denn unser Einkommen ist knapp. Früher war ich auch ab und zu in Museen. Aber es hat mich damals überhaupt nicht interessiert, wie etwas gemacht worden ist. Jetzt finde ich es spannend.

In unserer Wohnung hängen Unmengen von Bildern. Meine Frau beklagt sich schon darüber, dass es keinen freien Fleck mehr gibt. Manche Fotos verschenke ich, und wenn jemand kaufen will – bitte, ich habe nichts dagegen. Aber ich mache die Bilder hauptsächlich für mich. Ich schaue sie gern an. Und wenn meine Frau und meine Tochter am Schabbat die Kerzen anzünden, dann werfen die Bilder an den Wänden das Licht zurück und werden für mich lebendig.

Aufgezeichnet von Matilda Jordanova-Duda

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