Nachruf

»Ich habe den Unterricht geliebt«

Jeder in der Berliner Jüdischen Gemeinde kannte sie: dramatische Hüte, auffälliger Schmuck, kräftige Stimme. Shoshana Lapidoth hat ganze Generationen geprägt – mit ihren Sprachkenntnissen, ihrer Gelehrsamkeit, vor allem aber mit ihrem leidenschaftlichen interkulturellen Engagement.

Shoshana Lapidoth wurde am 17. März 1929 als Kind deutscher Juden in Palästina geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Pädagogin – zu ihren Lehrern gehörten Koryphäen wie der Bibelexeget Naftali Herz Tur-Sinai und der Philosoph Jeschajahu Leibowitz – unterrichtete sie erst in jüdischen Schulen Hebräisch und Arabisch und dann im arabischen Gymnasium in Kafr Yassif Hebräisch.

integrationsfigur Sie galt als wichtige Integrationsfigur in den ersten Jahren des jüdischen Staates. Unter anderem war auch der bedeutendste palästinensische Dichter der Gegenwart, Mahmud Darwish, ihr Schüler. 1959 kam sie nach Deutschland und blieb.

Hendrik George van Dam, damals Generalsekretär des Zentralrats der Juden, hatte sich von Düsseldorf aus telefonisch beim damaligen Berliner Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski für sie stark gemacht und ihm die junge Frau als Lehrerin ans Herz gelegt. Im Dezember 1959 begann Shoshana Lapidoth, in der Berliner Gemeinde zu arbeiten.

Im Januar 1960 gab sie an der Jüdischen Volkshochschule den ersten Hebräischkurs nach dem Krieg in Berlin, bald darauf kam noch ein Bibelkurs auf Hebräisch hinzu. Zudem unterstützte sie Ora Gutmann, die bereits zuvor damit begonnen hatte, dem jüdischen Nachwuchs Religionsunterricht zu erteilen. Die Frauen mussten improvisieren und viel »basteln«, denn außer ein paar alten Fibeln mit dem Alef Bet gab es kein Lehrmaterial.

»Aber«, sagte Shoshana Lapidoth einmal, »ich habe den Unterricht geliebt.« Und sie erinnerte sich: »In meine Abendkurse, die kosteten am Anfang zwei D-Mark, kamen manchmal 80 bis 90 Leute, und wir mussten die Klassen teilen. In den Kursen waren alle möglichen Arten von Menschen, Israel wurde ja damals gerade populär. Viele wollten als Touristen hinfahren – für die war ich zu gründlich. Andere kamen, weil sie die Bibel im Original lesen wollten, unter ihnen sehr ernsthafte Schüler. Es gab auch Weltverbesserer und Verrückte, die meinten, Gott hätte mich nach Berlin geschickt, um sie die Sprache zu lehren, und Sprachsammler, die Sprachen lernten, um anschließend mit ihrem Wissen zu protzen. Es gab auch komische Menschen; zum Beispiel hatte ich einmal eine Frau Doktor, die wollte ihre vier Hunde mit in den Unterricht bringen und beschimpfte mich schriftlich, weil wir ihr Hausverbot erteilt hatten. Aber das hat mich alles nie gestört. Ich hatte wunderbare Schüler. Einige sind meine Freunde geworden. Auch mein Mann, der Vater meiner vier Kinder, war mein Schüler.«

salon Shoshana Dietzmann-Lapidoth war 43 Jahre lang Lehrerin – zehn in Israel und 33 in Berlin. Und sie war eine strenge Lehrerin: Generationen ihrer Schüler können ein Lied davon singen. Niemand weiß mehr genau, wie oft sie in der Gemeinde angerufen hat, weil ihr in irgendeiner hauseigenen Publikation ein falscher Buchstabe oder ein schlecht übersetzter Begriff aufgefallen war. »Man muss eine Sprache von Anfang an richtig lernen. Es gibt Leute, die schreiben ihr Leben lang das ›mem sufit‹ falsch herum. Das geht doch nicht!«

Die streitbare Lehrerin war auch nach ihrer Pensionierung weiter aktiv, so im christlich-jüdischen und im deutsch-israelischen Dialog. In ihrer großen Altbauwohnung am Südwestkorso veranstaltete sie bis vor wenigen Jahren trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit einen Salon, lud Freunde und Verehrer zu Lesungen und Diskussionsabenden ein. Bis vor wenigen Wochen sah man sie noch in ihrem Rollstuhl im Gottesdienst der Sukkat-Schalom-Synagoge sitzen.

synagoge »Sie verfolgte den Gottesdienst und kommentierte gerne die Predigten aus ihrem schier unermesslichen Wissen«, sagt Rabbiner Andreas Nachama über sie. Sie spendete eine Pultdecke, die auf den frühen tragischen Tod ihrer Tochter Saray hinwies – zur Jahrzeit sagte sie immer für ihr Kind in der ihr eigenen wunderbar authentischen hebräischen Aussprache Kaddisch. »Sie gehörte ganz unbedingt zur Synagoge Sukkat Schalom – die Wände der Synagoge werden weinen, weil sie von uns gegagen ist«, so Nachama.

Am 16. Februar ist Shoshana Dietzmann-Lapidoth im Alter von 87 Jahren in Berlin gestorben. Die Beerdigung war am Mittwoch, den 22. Februar, auf dem Friedhof an der Heerstraße angesetzt.

Frankfurt

Jüdische Kulturwochen: »Sheyn laut, sheyn lecker, sheyn lustig«

Der orthodoxe Komiker Modi Rosenfeld ist Stargast des diesjährigen Programms

von Imanuel Marcus  02.10.2023

Berlin

Bundesverdienstkreuz für Hermann Simon

Regierender Bürgermeister Kai Wegner ehrt den Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge

 29.09.2023

Porträt der Woche

»Sieh hin und lerne!«

Sofia Sominsky ist Galeristin in München und »glückliche jiddische Mamme«

von Katrin Diehl  29.09.2023

Berlin

Verleihung der »ELNET Awards«

Engagement für die deutsch-israelischen Beziehungen und das jüdische Leben in Deutschland ausgezeichnet

 02.10.2023 Aktualisiert

Leer

Späte Würdigung

Der Schoa-Überlebende Albrecht Weinberg ist nun Ehrenbürger der Stadt

von Christine Schmitt  28.09.2023

Stuttgart

»Wir sind die Mehrheit«

Einsatz für die Demokratie – Anat Feinberg und Anton Maegerle erhalten die Oppenheimer-Medaille

von Brigitte Jähnigen  28.09.2023

Ukraine

Hilfe durch Teilhabe

Als Partner von IsraAID Germany spielen die jüdischen Gemeinden eine zentrale Rolle. Ein Interview

von Imanuel Marcus  28.09.2023

Sukkot

Hör mal, wer da hämmert

Überall werden Laubhütten errichtet – und hinter jeder verbirgt sich eine eigene Geschichte

von Christine Schmitt, Elke Wittich  28.09.2023

Interview

»Ich kenne nichts Vergleichbares«

Ansgar Brinkmann über die Maccabiah, seine neue Aufgabe als Makkabi-Nationaltrainer und alte Legenden

von Helmut Kuhn  27.09.2023