Porträt der Woche

»Ich bin Autodidakt«

»Während des Lockdowns habe ich in der Gemeinde per Video meine Lieblingsgerichte vorgestellt«: Gideon Ziper (58) in seiner Küche Foto: Rafael Herlich

Porträt der Woche

»Ich bin Autodidakt«

Gideon Ziper ist Koch und betreibt ein Catering-Unternehmen in Frankfurt

von Eugen El  09.06.2020 09:33 Uhr

Ich wurde 1962 in Ramat Gan in der Nähe von Tel Aviv geboren. Mein Vater kam aus Braunschweig. Er war deutscher Jude, ein Jecke. In den 30er-Jahren ist er, ohne die Eltern, mit der Jugend-Alija ins damalige Palästina gegangen. Da war er etwa 14 Jahre alt.

Dort, in Ramat Gan, lebte er mit seinem älteren Bruder. Mein Vater hat in Israel meine Mutter, die dort geboren wurde, kennengelernt. In einem Kibbuz hat er die Berufsschule absolviert. Er hat als Schreiner bei Ha’argaz, einer großen israelischen Kooperative, gearbeitet. Die Firma gibt es noch heute. Dort hat er die Schreinerei geleitet und war auch an der Kooperative beteiligt.

MENTALITÄT Die Mentalität der deutschen Juden in Israel ist geradlinig gewesen. Er hat gearbeitet, die anderen haben Kaffee getrunken. Irgendwann wollte er nicht mehr in Israel leben. Er hat sich einfach nicht mehr wohlgefühlt.

Wir sind dann nach Amerika gezogen, weil wir dort Verwandte hatten. In Amerika blieben wir etwa ein Dreivierteljahr. Mein Vater hat versucht, Papiere zu bekommen, aber es hat nicht geklappt. Auch da war es ihm nicht gegeben, im richtigen Moment ein bisschen zu schummeln. Er war ein korrekter deutscher Jude, wie die Jeckes eben sind.

Mein Vater kam aus Braunschweig – er war sehr korrekt, ein richtiger Jecke.

1967 sind wir nach Deutschland gekommen. Mein Vater beschloss, vor der Rückkehr nach Israel einen Stopp in Frankfurt einzulegen. Hier hat er Fuß gefasst. Und er hat sich trotz allem wohlgefühlt. Mein Vater hat im »Bieberhaus«, einem Kaufhaus auf der Einkaufsstraße Zeil, gearbeitet. Weil er Erfahrung als Schreiner hatte, konzipierte er dort Küchen. Das ist fast 50 Jahre her.

Danach hatte er eine Offset-Druckerei. Das hat er gemacht, bis er mit meiner Mutter nach Israel zurückgegangen ist. Dort haben sie dann die letzten 15 Jahre ihres Lebens verbracht.

GASTRONOMIE Ich bin in Frankfurt, im Westend, zur Schule gegangen und habe auch immer in der Nähe gewohnt. Mit 20 ging ich für zwei Jahre nach Amerika. Nach meiner Rückkehr habe ich erst einmal in der Pelzbranche gearbeitet. Dann habe ich etwa 13 Jahre lang ein eigenes italienisches Restaurant im Westend gehabt. Ich hatte meine Mitarbeiter, kochen konnte ich aber nicht. Um 2004 habe ich den Betrieb eingestellt. Gastronomie ist sehr aufwendig und erfordert viel Zeit. Die Familie leidet darunter. Es ist ein wirklich schwerer Job.

Ich habe mich neu orientiert und versucht, hier und dort Fuß zu fassen. In dieser Zeit habe ich immer für meine Frau gekocht. Sie ist Ärztin und hat damals eine Praxisvertretung gemacht. Sie wollte abends warmes Essen haben. Meine Frau kommt gebürtig aus Argentinien und hat abends nicht gern die deutsche Brotzeit. Da kam bei mir das Interesse für das Kochen auf. Ich bin ja kein Koch, sondern ein Kaufmann. Mit der Zeit habe ich mir ein Repertoire an Gerichten aufgebaut: vor allem viel israelisches, nahöstliches Essen.

Ich produziere alle Speisen selbst, auch mein Hummus.

Die israelische Küche hat Einflüsse aus vielen Ländern, so wie Israel im Ganzen auch. Juden aus aller Welt sind nach Israel gekommen. Jeder bringt seine Tradition mit, Rezepte, die die Oma und die Mutter gekocht haben.

Meine Mutter hat traditio­nell jüdisch gekocht. Sie hat tollen Gefilte Fisch und wunderbare Suppen gemacht. Weil sie in Israel geboren wurde, hat sie auch israelische Gerichte, wie gefüllte Zucchini und Paprika, zubereitet. Die damalige israelische Küche ist aber nicht die heutige. Die Gastronomielandschaft in Israel ist sehr vielseitig, innovativ – und traditionell.

ZWEIFEL Ich habe auch mal israelischen Auberginensalat gemacht, Hummus, etwas mit Spinat und Kichererbsen oder habe auch mal italienisch gekocht, weil ich ein italienisches Lokal geführt habe. Dann kam irgendwann ein Geburtstag. Es kommen immer viele Leute zu uns. Auf einmal hatten wir 50 bis 60 Gäste auf der Liste für diese Party.

Da habe ich gesagt: Okay, dann machen wir einfach, was ich kann, also Kleinigkeiten – eingelegte Paprika, etwas Zaziki, vielleicht eine Lasagne oder auch etwas Warmes. Ich habe ein Buffet mit einem Dutzend verschiedener Speisen aufgebaut.

Die Gäste waren begeistert. Meine Freunde sagten mir: »Gidi, es ist eine Riesenidee, mach doch einfach Catering!« Ich entgegnete, dass ich nicht kochen könne. Ich habe immer Zweifel gehabt. Ich bin ja Autodidakt.

Dann kamen zwei Aufträge aus meinem Freundeskreis – für eine Anwaltskanzlei und eine Modefirma. Durch die Modefirma folgten weitere Kunden. Es hat sich dann herumgesprochen. Ich hatte einen großen Auftrag von einem internationalen Kindergarten im Vordertaunus.

Seit der Corona-Krise biete ich zweimal in der Woche Gerichte an, die man über WhatsApp bestellen und dann vor Ort abholen kann.

Dort waren viele Eltern im Vorstand von großen Banken und Anwaltskanzleien in Frankfurt. Sie sagten: »Herr Ziper, wir haben normalerweise einen anderen Caterer, aber es hat mir so gut geschmeckt, machen Sie es einfach wie in dem Kindergarten.« So konnte ich Banken, Anwaltskanzleien und Ärzte als Kunden gewinnen.

CORONA-PANDEMIE Mein Essen ist frisch, sauber, kreativ, es ist gesund. Der Schwerpunkt meiner Küche ist um das Mittelmeer herum, aber auch viel Orientalisches, Israelisches. Es kann auch marokkanisch sein. Ich produziere alle Speisen selbst, auch mein Hummus. Normalerweise beliefere ich zu fast 99 Prozent Firmen. Durch die Corona-Pandemie ist das Geschäft mit Firmen und Büros weniger geworden, weil viele Homeoffice machen.

Die Jüdische Gemeinde Frankfurt hat mich während des Lockdowns für eine Video-Reihe gebucht. In vier Episoden habe ich meine Lieblingsrezepte vorgestellt und gezeigt, wie man diese Gerichte zu Hause nachkochen kann. Ein Filmteam hat mich zu Hause beim Kochen gefilmt.

Die Resonanz war sehr gut. Viele Leute haben geschrieben, dass sie die Rezepte nachgekocht haben. Ich habe Chraimeh, ein Fischgericht, das freitags zum Schabbat in Israel gegessen wird, gekocht. Ich habe auch marokkanisches Hähnchen mit Trockenobst zubereitet, dazu noch vegane Salate und in der vierten Episode einen Orangenkuchen.

Zweimal in der Woche biete ich außerdem Gerichte an, die man über WhatsApp bestellen und bei mir zu Hause abholen kann. Ich kündige sie auf Instagram an. Das ist super angekommen in der Corona-Krise. Ich möchte das in meiner neuen Location fortsetzen.

In der Nähe der alten Universität im Frankfurter Stadtteil Bockenheim baue ich mir eine neue Küche. Dort soll es jeden Freitag Homefood, Soulfood, warmes, traditionelles Essen geben – wie bei Mutter und Großmutter. Die Leute können ihr Essen abholen, irgendwann können sie dort auch sitzen. Das Essen kann aschkenasisch oder auch sefardisch sein. Ich mag die sefardische Küche. Da sind viele orientalische Gewürze drin.

Meine Kinder haben von Anfang an die jüdische Schule besucht. Meine Tochter geht momentan fast jeden Schabbat in die Synagoge.

Die meisten Gewürze kaufe ich in Israel. Ich bin oft dort, im Durchschnitt drei- bis viermal jährlich. In Raanana, nordöstlich von Tel Aviv, lebt die Schwester meiner Frau. In Israel fühle ich mich überall wohl. Letzten Winter habe ich eine kulinarische Tour durch Jerusalem gemacht.

Mit einem Freund, der auch Koch ist und sich sehr gut in Israel auskennt, haben wir Streetfood-Läden und Märkte besucht, so auch den berühmten Mahane Yehuda. Ich habe den ganzen Tag gegessen und probiert: zum Beispiel Hummus bei orientalischen Juden, aschkenasischen Juden, Arabern, Drusen. Jerusalem mit all seinen kulinarischen Möglichkeiten ist faszinierend.

GEMEINDE Ich fühle mich sehr jüdisch. Es gibt viele verschiedene Strömungen im Judentum. Ich finde, jeder kann es so ausüben, wie er das möchte. Meine Einstellung ist sehr liberal und offen. Aber ich weiß, wo meine Wurzeln sind, und das ist wichtig.

Aufgewachsen bin ich traditionell, aber nicht religiös. Wir haben keinen Schabbat gefeiert. Ich bin seit jeher Gemeindemitglied und habe dort sehr viele Freunde. Zu den Feiertagen gehe ich auch in die Synagoge. Meine Kinder haben von Anfang an die jüdische Schule besucht. Und meine Tochter geht momentan fast jeden Schabbat in die Synagoge.

Ich möchte so bleiben, wie ich bin. Ich fühle mich wohl. Ich finde das Produkt, das ich mache, super. Mit der neuen Location wird es noch einmal einen neuen Schub bekommen. Es ist im Hinterhof, schön, nach meinem Geschmack eingerichtet.

Eigentlich mache ich diesen Laden nur für mich, weil ich dort arbeiten will. Ich mag eine schöne Umgebung. Ich kann nicht in einer normalen Küche arbeiten, da werde ich verrückt.

Aufgezeichnet von Eugen El

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