Technikmuseum Berlin

Geschichte in Schubladen

Der gefälschte Ausweis von Hella Foto: Rolf Walter

Technikmuseum Berlin

Geschichte in Schubladen

Wie ein Angestellter der Reichsbahn die Mutter und die Schwester der Autorin Esther Dischereit rettete

von Christine Schmitt  15.02.2023 09:18 Uhr

Immer wieder versuchte Esther Dischereit, jemanden in Heringen telefonisch zu erreichen. Endlich nahm ein junger Mann den Hörer ab. Es war Peter Kittel, der verwundert fragte, warum ihn diese Frau am anderen Ende der Leitung schon seit 14 Tagen anrief. »Setzen Sie sich mal hin, ich muss Ihnen etwas erzählen«, erwiderte die Autorin und stellte rasch fest, dass Peter nichts von den mutigen Taten seines Großvaters wusste.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

»Ich bin so schnell wie möglich hingefahren, denn ich wollte, dass Fritz Kittel dafür geehrt wird, dass er meine Mutter Hella und meine Halbschwester Hannelore versteckte und für sie Papiere fälschte.« Diese Geschichte erzählt Esther Dischereit am Dienstag vor Eröffnung der Ausstellung Wer war Fritz Kittel – ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – zwei Familien 1933 bis 2022, die nun im Technikmuseum präsentiert wird und in Kooperation mit der Deutschen Bahn entstanden ist.

Akten Vor den Schauwänden und den Tischen mit den Schubladen, in denen die Dokumente eingesehen werden können, steht Dischereit und berichtet aus dem Leben des Reichsbahnmitarbeiters und aus dem ihrer Mutter. Im Gegensatz zu Kittels Kindern hatte sie von seiner mutigen Tat schon als Mädchen gehört. Als sie ihn in den Akten ihrer Mutter wiederfand, wusste sie, dass sie ihn suchen müsse, um ihm zu erzählen, dass Hella und Hannelore die Schoa überlebt haben.

Er hatte die beiden versteckt, und als er als Angestellter der Reichsbahn versetzt wurde, überredete er sie, mit nach Heringen zu kommen, in die osthessische Kleinstadt. Dort gab er sie als seine Ehefrau und seine Tochter aus, er fälschte die Papiere, sodass sie bei Bombenangriffen einen Bunker aufsuchen konnten.

Nach dem entscheidenden Telefonat vor ein paar Jahren beschlossen Esther Dischereit und ihre Angehörigen sowie die Nachkommen von Fritz Kittel, sich mit diesem Teil der Familiengeschichte auseinanderzusetzen, und besuchten gemeinsam die einschlägigen Orte. Der Filmemacher Gerhard Schick hielt die Interviews mit Hannelore fest, ebenso hat er die Familien auf ihren Reisen mit der Kamera begleitet. Diese Aufnahmen bereichern nun die Ausstellung.

Zettel Sehr persönlich sind auch die Inhalte der Schubladen mit einem Fotoalbum der Schwester sowie Briefen, Objekten und Zetteln. Vervollständigt werden die Dokumente durch literarische Texte von Dischereit, in denen sie die Geschichte aufarbeitet. Aus jeder Schublade kann man eine Seite mitnehmen, auf der diese Texte abgedruckt sind, und in einem Hefter ablegen. Am Ende soll so ein vollständiges Bild entstehen.

»Für uns als Deutsche Bahn ist unsere historische Verantwortung ein zentrales Anliegen, das Gedenken an die Opfer des Holocaust wachzuhalten und uns kritisch mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen«, sagt DB-Vorstandsvorsitzender Richard Lutz bei der offiziellen Eröffnung am Dienstagabend laut Redemanuskript. Die Ausstellung lade dazu ein, sich kritisch mit den Verbrechen der Nazis auseinanderzusetzen. »Ohne die Reichsbahn wäre die Deportation der europäischen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma in die Vernichtungslager nicht möglich gewesen«, sagt er.

Kuratorin Susanne Kill betonte, dass keiner von den Tätern der Reichsbahn verurteilt worden sei. Nur einer sei angeklagt worden: Albert Ganzenmüller. Gegen ihn wurde aufgrund seiner Mitwirkung an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik ein Strafprozess wegen Beihilfe zum Mord eröffnet. Ein Urteil kam nicht zustande. Die Ausstellung wird demnächst in Chemnitz gezeigt. Christine Schmitt

Die Schau ist bis zum 30. April im Technikmuseum zu sehen.

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  03.05.2025 Aktualisiert

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025

Berlin

Tage im Mai

Am Wochenende beginnt mit »Youth4Peace« ein Treffen von 80 jungen Erwachsenen aus 26 Ländern. Sie wollen über Frieden und Demokratie sprechen. Auch Gali und Yuval aus Israel sind dabei

von Katrin Richter  01.05.2025

Frankfurt

Zwischen den Generationen

2020 führten Jugendliche gemeinsam mit Überlebenden der Schoa ein »Zeitzeugentheater« auf. Nathaniel Knops Dokumentarfilm »Jetzt?« zeigt dessen Entstehung und feierte nun Premiere

von Eugen El  01.05.2025

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025