Thüringen

Geschichte, Gedenken, Gegenwart

Die Israelin Hadar Maoz spielt Lieder quer durch 2500 Jahre jüdische Musikgeschichte. Foto: Sebastian Autenrieth

Adar ist die denkbar beste Zeit, die 33. Jüdisch-Israelischen Kulturtage Thüringen zu gestalten, dachten sich Festivalleiter Johannes Gräßer, die Jüdische Landesgemeinde Thüringen und der Förderverein für jüdisch-israelische Kultur. Deshalb wurde dieses älteste jüdische Festival Thüringens nun endgültig aus dem tristen Herbst ins freundlichere Frühjahr verlegt.

»Diese Tage werden vielfältig, lebendig und überraschend«, verspricht Dorothea Marx, die Vorsitzende des Fördervereins für jüdisch-israelische Kultur. Und Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde, versichert: »Das Festival ist ein guter Beitrag gegen Antisemitismus. Es wäre nicht richtig, nur über zwölf Jahre Faschismus zu sprechen. Wir müssen stattdessen über 900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen reden.«

Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 sind jüdisch konnotierte kulturelle Veranstaltungen immer auch politisch – erst recht, wenn sie einen Bezug zu Israel haben. Sie waren das auch all die Jahre vorher schon, doch die Situation für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist eine andere geworden. Genau das spiegelt auch das Programm wider. Vom 19. März bis zum 10. April wird in 16 Orten des Landes zu 80 Veranstaltungen eingeladen. Bekannt gegeben hatten die Verantwortlichen das Programm im Erfurter Stadtmuseum, und zwar zwischen der bedrückend-beklemmenden Fotoausstellung von Halina Hildebrand aus Israel. Sei a Mensch hat die Künstlerin die Schau mit den Bildern genannt, die nach dem Terroranschlag der Hamas entstanden sind.

»Wir brauchen mehr Wissen über Israel«

Die Macher haben für die Kulturtage die Regel »Geschichte – Gedenken – Gegenwart« aufgestellt. »Wir brauchen mehr Wissen über Israel«, so Johannes Gräßer, der Festivalleiter. Das dürfte unter anderem mit der Debatte rund um »Israel, Judentum und die deutsche Wahrnehmung« gelingen. Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen«, liest aus seinem Buch Deutsche Lebenslügen, und die Aktivistin Sarah Maria Sander spricht über ihre Arbeit in Israel.

Ferner ist ebenfalls die ehemalige Nahostkorrespondentin Monique Junker zu der Veranstaltung in das Kultur- und Bildungszentrum der Jüdischen Landesgemeinde eingeladen. Dieses wird anlässlich der Kulturtage zur L’Chaim-Lounge umgestaltet. Im »Erinnerungsort Topf & Söhne« spricht Stefanie Schüler-Springorum von der Technischen Universität Berlin zum Thema »Die AfD und der Antisemitismus«.

Tief in die Vergangenheit tauchen die Erfurter UNESCO-Welterbe-Beauftragten Maria Stürzebecher und Karin Sczech. Sie zeigen die mittelalterliche Mikwe, das Steinerne Haus und die Alte Synagoge. Die drei Welterbestätten sind nicht nur ein Beispiel für jüdisches Leben in Thüringen, sondern auch die Mahnung, dass bereits damals jüdisches Leben in der Region vernichtet wurde. Natürlich gehören zu den jüdisch-israelischen Kulturtagen auch Künstlerinnen und Künstler aus Israel. Erstmals wird die Veranstaltungsreihe in Gera eröffnet, und zwar mit Hadar Maoz und ihrer Band. Ihr Repertoire umfasst 2500 Jahre jüdische Musikgeschichte, ihre kulturellen Wurzeln verortet sie in Persien.

Viele Künstler stammen diesmal aus der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen

Mit Spannung dürfte auch das gemeinsame Konzert des Luftwaffenmusikkorps Erfurt mit dem international bekannten Klezmer-Klarinettisten Christian Dawid erwartet werden. So ungewöhnlich ein solcher Auftritt auf den ersten Blick scheint, es gibt einen historischen Zusammenhang. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts spielten viele Klezmermusiker in Militärorchestern. Auf diese Weise hielt die Klarinette Einzug in das Instrumentenrepertoire der Klezmorim.

Mehr als bisher stammen diesmal viele Künstler aus der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen – wie die junge Erfurter Malerin und Zeichnerin Daniela Bromberg. Ihre Kunst verbindet Elemente von Chassidismus, Menschlichkeit und Glauben. Der Thüringer Kantor Milan Andics lädt in die Neue Synagoge ein, um sie gleichzeitig vorzustellen. Es ist der einzige Synagogenneubau der ehemaligen DDR.

Jugendtheater Andics beantwortet auch Fragen rund um jüdisches Leben und zur Religion. Das Jugendtheater »Schotte« erzählt die Geschichte der Familie Feiner. Milan Andics, Leonie Ducke & Lutz Balzer geben ein Konzert mit Liedern und Geschichten zu Purim und Pessach. Stadtführungen, Lesungen und Gespräche in Schulen vervollständigen die eigenen Angebote.

Die Künstler sind eng mit der Jüdischen Landesgemeinde verbunden.

Der Kalligraf Gabriel Wolff ist in Israel aufgewachsen. Seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 habe er gewissermaßen seine Sprache, die hebräische Kalligrafie, verloren. »In den vergangenen anderthalb Jahren habe ich mich damit beschäftigt, das Trümmerfeld der einst soliden Sprache aufzuräumen«, sagt er. Wie er versucht, diese Sprache wiederzufinden, zeigt Wolff in seiner Ausstellung im Erfurter Waidspeicher.

20 Jahre nach dem ersten Album der Band »The Painted Bird« treffen sich Daniel Kahn, Michael Tuttle, Christian Dawid und Festivalleiter Johannes Gräßer erneut zu einem Konzert, obwohl sie inzwischen alle verschiedene Wege gegangen sind. Sie interpretieren das erste Album, The Broken Tongue, völlig neu. Zur Erinnerung: Die Gruppe schuf 2005 das Genre »Verfremdungsklezmer« und mischte traditionelle jiddische Musik mit radikalen Songs zwischen Cabaret und Folk-Punk.

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