Berlin

Gerechte unter den Völkern

Vier Frauen, vier Geschichten – die Berlinerinnen Hedwig Porschütz, Hedwig Völker, Marie Burde und Martha Grassmann riskierten während der NS-Diktatur ihr Leben, um verfolgten Juden zu helfen und sie zu retten. Dafür verlieh ihnen am Freitag die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem posthum den Ehrentitel »Gerechte unter den Völkern«.

Von keiner der vier Berlinerinnen konnten Angehörige gefunden werden. Nicht einmal Fotos gebe es von allen, sagte Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Stille Helden, die den Antrag für die Titelverleihung in Yad Vashem gestellt hatte.

zivilcourage Es sei das erste Mal, dass eine Ehrung ohne die Retter selbst oder ihre Verwandten stattfinde. Die meisten Dokumente, die die Zivilcourage der Frauen bezeugen, stammen aus Berichten von Überlebenden, die ihnen ihr Leben verdankten.

»Doch sollen wir ihre Geschichten vergessen, nur weil es niemanden mehr gibt?«, fragte der Politikwissenschaftler. Es erfülle ihn noch heute mit »kalter Wut auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft«, wenn er daran denke, wie die deutschen Behörden in der Nachkriegszeit mit den Frauen umgegangen seien.

Hedwig Porschütz etwa beherbergte über einen langen Zeitraum vier Juden in ihrer winzigen Mansardenwohnung am Alexanderplatz und versorgte sie auch später mit Lebensmitteln, als ihre Schützlinge das Quartier wechseln mussten. Dafür wurde sie 1944 zu Zuchthaus und Straflager verurteilt.

nachkriegszeit Auf dieses Nazi-Urteil berief sich später, 1958, das Berliner Entschädigungsamt, als ein Antrag der Helferin mit der Begründung abgelehnt wurde, verfolgten Juden zu helfen, gelte nicht als Widerstand und ohnehin lasse die Antragstellerin »sittliches und moralisches Niveau« vermissen. Denn Hedwig Porschütz war Prostituierte.

»Wir verdanken diesen Frauen, dass wir heute hier sind«, sagte Avraham Nir-Feldklein, Gesandter der israelischen Botschaft. Der Diplomat verwies dabei auf den Talmud, wo es heißt: »Wer ein Menschenleben rettet, der rettet die ganze Welt.« Dieser Satz aus dem Mischna-Traktat Sanhedrin stehe auf jeder Medaille und Ehrenurkunde von Yad Vashem.

zuflucht Auch Marie Burde, genannt »Mieze«, wurde als schrullig beschrieben – eine Zeitungsverkäuferin und Lumpensammlerin aus Berlin-Wedding. Sie hat drei Menschen das Leben gerettet: den Brüdern Rolf und Alfred Joseph sowie deren Freund Artur Fordansky: Erst gewährte sie ihnen Zuflucht in ihrer Kellerwohnung im Wedding, später in ihrer Gartenlaube in Schönow bei Berlin.

»›Der Mann ist in Not, also helfe ich‹, hat sie gesagt, als sie vom Schicksal meines Mannes erfuhr«, erzählt Sikora Joseph, Rolf Josephs Witwe. Für sie ist die Feierstunde ein besonders bewegender Moment. Die Brüder Joseph hatten nach 1945 immer wieder versucht, ihre Retterin »Mieze« zu unterstützen. Doch eine Ehrung lehnte sie stets ab.

würdigung Umso eindringlicher würdigte Arik Rav-On, Yad Vashem-Direktor für die Schweiz und die deutschsprachigen Länder, das Engagement der Gedenkstätte Stille Helden und der Israelischen Botschaft. Gerechte unter den Völkern sei heute die »wichtigste Abteilung« in Israels nationaler Holocaust-Gedenkstätte. Die Namen der vier Berliner Frauen stünden dort eingraviert.

»Diese Ehrung gibt uns die Möglichkeit, Dankeschön zu sagen - und sei es auch ohne Medaille, ohne Urkunde oder an die vierte Generation«, so der Yad-Vashem-Vertreter.

Der Ehrentitel »Gerechter unter den Völkern« wurde nach Israels Staatsgründung 1948 eingeführt, um Nichtjuden für ihre Zivilcourage auszuzeichnen, die während der Nazi-Herrschaft unter Einsatz ihres Lebens Juden vor der Ermordung retteten. Die Auswahlkriterien sind hoch: So muss der Ausgezeichnete nachweislich ein persönliches Risiko eingegangen sein und darf keine Gegenleistung für die gewährte Hilfeleistung verlangt haben.

Oldenburg

Neue Ermittlungsansätze nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

In »Aktenzeichen XY... Ungelöst« war das Überwachungsvideo mit dem Wurf eines Brandsatzes sowie Bilder des Tatverdächtigen aus einem Regionalzug von Oldenburg nach Delmenhorst gezeigt worden

 23.01.2025

Holocaust-Gedenktag

Saiten der Erinnerung

Die Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin geben ein Konzert auf Instrumenten, die einst verfolgten Juden gehörten. Jüngst konnten sie diese zum ersten Mal spielen. Ein Ortsbesuch.

von Christine Schmitt  23.01.2025

Universität

»Eine tolle Chance«

Philipp Lenhard über seine Tätigkeit am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU München, Forschungsschwerpunkte und die Zusammenarbeit mit der Gemeinde

von Luis Gruhler  22.01.2025

Schulen

Zwölf Punkte für die Bildung

In der Kölner Synagoge diskutierten Vertreter von Zentralrat und Kultusministerkonferenz über die Darstellung des Judentums in Schulbüchern. Entstanden ist eine Leitlinie für Pädagogen

von Stefan Laurin  22.01.2025

Lohheide

Vor 80 Jahren starb Anne Frank im KZ Bergen-Belsen

Blumen, Fähnchen, Stofftiere: Nirgendwo in der Gedenkstätte Bergen-Belsen werden so viele Gegenstände abgelegt wie am Gedenkstein für Anne Frank

von Michael Althaus  22.01.2025

Berlin

Sicher in der Kunst

Im Herbst 2024 wurde die Jüdische Kunstschule gegründet. Sie soll ein »Safe Space« für Kreative sein. Ein Besuch in zwei Workshops

von Katrin Richter  21.01.2025

München

Zeugnisse jüdischen Lebens

Das Landesamt für Denkmalpflege kartografiert die Friedhöfe in Thalkirchen und Freimann

von Ellen Presser  21.01.2025

Fundraising

In Rons Namen

Die Eltern eines ermordeten israelischen Soldaten widmen ihrem Sohn ein Tierheim und sammeln Spenden für das Projekt. In Berlin sind zwei Benefizkonzerte geplant

von Christine Schmitt  21.01.2025

Berlin

Margot Friedländer: »Die Demokratie schwankt«

Die 103-Jährige wurde von den Nazis ins KZ Theresienstadt verschleppt. Vor dem nationalen Holocaust-Gedenktag warnt sie: »Seid vorsichtig«

von Verena Schmitt-Roschmann  21.01.2025