Es ist eine Kombination aus beiden Sprachen – »Pêk« ist kurdisch und bedeutet »zusammen, vereint«, »Koach« ist hebräisch für »Kraft, Widerstandskraft« – und es ist ein Symbol der solidarischen Zusammenarbeit: Pêk Koach, der kurdisch-jüdische Frauenverein, der für Resilienz steht und denen eine Stimme geben will, die von Antisemitismus, antikurdischem Rassismus und Islamismus betroffen sind.
Die Idee dazu entstand nach dem 7. Oktober 2023. »Uns wurde klar, wie wichtig Allianzen sind«, erzählt Fatma Keser, eine der beiden Initiatorinnen von »Pêk Koach«. Statt Solidarität mit den Opfern des antisemitischen Massakers zu zeigen, wurde auf Berlins Straßen die Gewalt der Hamas gefeiert. Darauf habe man reagieren wollen. »Wir haben als loser Zusammenhang angefangen, Leute zusammenzubringen, die zu Islamismus arbeiten.«
Israelsolidarische Kundgebung gegen Islamismus
Gemeinsam haben sie eine israelsolidarische Kundgebung gegen Islamismus organisiert. »Es waren sehr wenige Leute da. Das war ein bisschen demotivierend«, erinnert sich Keser. »Was aber motiviert hat, war, wie viele auf unterschiedlichste Art von Islamismus Betroffene zusammengekommen sind und gesprochen haben.«
Um das, was auf der Kundgebung gesagt wurde, einem größeren Kreis zugänglich zu machen, erschien im Mai dieses Jahres »Speak Now: Stimmen gegen Islamismus«. Die Broschüre analysiert den Islamismus als menschenfeindliche Ideologie entlang seiner zentralen Säulen: Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und Hass auf Minderheiten.
Für den Verein ist die Betroffenenperspektive wichtig.
Bald war es nicht mehr nur ein loser Zusammenschluss Einzelner: Pêk Koach gründete sich und hatte von Anfang an eine Motivation, nämlich die Betroffenenperspektive abzubilden, erzählt Keser.
Außerdem gebe es zwischen Jüdinnen und Kurdinnen eine besondere Verbundenheit. »Wann immer etwas in Kurdistan passiert, melden sich vor allem jüdische Freundinnen bei mir«, so Keser. »Und ich glaube, für viele jüdische Frauen, die bei uns mitmachen, ist es ähnlich.« Ohne es gleichsetzen zu wollen, spricht sie von vergleichbaren Erfahrungen, die Kurdinnen und Jüdinnen gemacht hätten.
Der 7. Oktober etwa habe viele Kurdinnen an die Gewalt des sogenannten Islamischen Staats erinnert. »Es gibt eine Art Verständnis für die Gewalt, die man erlebt und die von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert wird.«
Erster kurdisch-jüdischer Kongress am 7. September in Berlin
Mit ihrer Vereinskollegin Maria Kireenko wird Keser beim ersten kurdisch-jüdischen Kongress am 7. September in Berlin zu dieser Verbundenheit sprechen. Der Kongress, der gemeinsam von der WerteInitiative und der Kurdischen Gemeinde organisiert wird, soll Raum schaffen für den Austausch über geteilte Werte, Erfahrungen und Strategien. »Juden und Kurden verbindet eine lange Geschichte geteilter Erfahrungen von Verfolgung, Widerstand und dem Ringen um Freiheit und Autonomie«, erklärt Ronja Schonscheck, Sprecherin der WerteInitiative, dazu. Das bestätigt auch Cahit Basar von der Kurdischen Gemeinde und betont die historisch gewachsene Freundschaft. »Für uns ist diese Freundschaft ein Fundament, auf dem wir weiter aufbauen wollen.«
Die Arbeit von Pêk Koach setzt da an, wo Stimmen überhört oder marginalisiert werden. Das lässt sich beispielhaft an Kreuzberg demonstrieren, ein weithin als türkisch bekannter Berliner Ortsteil. Laut Keser ist das aber nur die halbe Wahrheit: »Hier haben einfach sehr viele Kurdinnen und Jüdinnen gewirkt.« Weil das zu wenig bekannt ist, hat der Verein den Spaziergang »Diaspora und Dasein – Wege jüdischer und kurdischer Frauen« erarbeitet.
Eine Station ist die Synagoge am Fraenkelufer, ein Ort jüdischer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Kreuzberg. Dort hat die weltweit erste Frau, die zur Rabbinerin ordiniert wurde, gewirkt: Regina Jonas. Ihre Ordination erfolgte 1935 durch den liberalen Rabbiner Max Dienemann, nachdem sich viele andere geweigert hatten. Das hat nicht nur das Judentum, sondern die Rolle von Frauen in religiösen Institutionen nachhaltig herausgefordert. Im Jahr 1942 wurde Jonas nach Theresienstadt deportiert, wo sie zwei Jahre lang weiterhin als Rabbinerin tätig war – ein Akt des Widerstands. Nach ihr soll künftig eine Straße benannt werden.
Im Oktober soll es mit »Avaz Kolot« einen Video-Podcast geben.
Kreuzberg hat aber auch eine traurige Geschichte der Gewalt: Taten, die politisch und ideologisch eng miteinander verbunden – und vergessen – sind.
In der Wohnanlage in der Köthener Straße 37 etwa verzieren Malereien nahezu die komplette Fassade. Reste der Berliner Mauer erinnern an die einstige Teilung der Stadt. Nichts aber erinnert an Semanur S., die dort vor 13 Jahren von ihrem damaligen Mann unter »Allahu Akbar«-Rufen regelrecht abgeschlachtet und enthauptet wurde. Ihren Kopf warf er damals in den Innenhof.
Betroffene patriarchaler und religiös motivierter Gewalt
»Der Fall hat mich erschrocken, weil er so gar nicht besprochen wird«, berichtet Keser, die eher zufällig bei einer Recherche darauf gestoßen ist. S. ist nicht die einzige Betroffene patriarchaler und religiös motivierter Gewalt, die vergessen scheint. Pêk Koach hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie wieder zurück ins kollektive Gedächtnis zu bringen. »Es gibt nichts, was an sie erinnert, gar nichts in der Stadt.« Das sollte sich ändern.
Nebenbei gibt es noch viele weitere Projekte – einen Video-Podcast zum Beispiel. Und auch der ist wieder eine sprachliche Kombination: »Avaz Kolot«. »Avaz« ist kurdisch und bedeutet »Melodie«, »Kolot« ist hebräisch für »Stimme«.
Der Podcast soll im Oktober starten und auf den starken Anstieg von Antisemitismus in den sozialen Medien seit dem 7. Oktober reagieren. »Wir entwickeln in sechs Folgen eine Gegenkampagne, die antisemitischer und islamistischer Propaganda etwas entgegensetzt und jüdisches Leben sichtbar macht«, so Keser.