Neuerscheinung

Gehen oder bleiben?

Sabine (M.) und Leopold Schwager (2.v.r.) beim Familienspaziergang an der Isar, 1930er-Jahre Foto: Stadtarchiv München, Nachlass Schwager

Im August 2019 wurde für das Ehepaar Leopold und Sabine Schwager am Gärtnerplatz ein Erinnerungszeichen gesetzt. An der Zeremonie nahmen durch Vermittlung von Dianne Schwager, Enkelin der Ermordeten, viele Angehörige und Freunde teil.

Darunter war auch Katharina Bergmann, die damals noch an ihrer Dissertation Jüdische Emigration aus München. Entscheidungsfindung und Auswanderungswege (1933–1941) arbeitete. Als Fallbeispiele hatte sie vier Familien ausgewählt, zu denen die Aktenlage sehr gut war und bei denen innige persönliche Kontakte zu Nachfahren möglich waren.

ausstellung Das Stadtarchiv München hatte gemeinsam mit der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität 2001 über die Familie Blechner und ihr Schicksal während des Holocaust eine Ausstellung und ein Buch unter dem Titel Ich lebe! Das ist ein Wunder konzipiert.

Anthony Blechner, dessen Großvater Mordechai/Markus 1910 nach München gekommen war, wurde für Bergmann ein wichtiger Gesprächspartner, ebenso wie Dianne Schwager, deren Vater Erwin in die USA emigrieren konnte. Die Verbundenheit drückte sich auch dadurch aus, dass die Familie Schwager ein paar Tage vor dem Gedenkakt zur Hochzeit von Katharina und Ori Bergmann am Chiemsee eingeladen war.

Die vier ausgewählten Familienbeispiele decken das gesamte Spektrum von geglückter Flucht und Verpassen der letzten Chancen ab.

Die Dissertation, zu welcher der Historiker Alan E. Steinweis den Anstoß gab und die von Michael Brenner als Erstkorrektor betreut wurde, war 2021 fertiggestellt. Im Sommer 2022 konnte Katharina Bergmann ihre Studie in der Rotunde des Stadtarchivs München vorstellen. Die Frage »Gehen oder bleiben?« stellte sich spätestens ab 1933 jedem Münchner Juden. Zwischen 270.000 und 300.000 Menschen wählten den Weg der Auswanderung.

Bergmann wiederum stellte sich die Frage, »weshalb die Verfolgten zu Emigranten oder zu Zurückgebliebenen wurden«. Und daraus folgend, welche Faktoren »die Entscheidung zur Emigration und deren erfolgreiche Durchführung beeinflussten«.

»verfolgungswellen« Anstöße zur Flucht gaben äußere Umstände wie »Verfolgungswellen«, die man zwischen Frühjahr 1933 bis Herbst 1937 erlitt, und »persönliche Netzwerke«. Dieselben Faktoren konnten aber auch zu umgekehrten Entscheidungsprozessen führen. Denn es gab noch viele andere faktische und psychologische Momente, die eine Rolle spielten, wie Alter, Familienstand, finanzielle Situation, Sprachkenntnisse, Leidensdruck und strategisches Denken.

Die vier ausgewählten Familienbeispiele decken das gesamte Spektrum von geglückter Flucht und Verpassen der letzten Chancen ab. Während das Ehepaar Blechner, er 1939 in Buchenwald, sie 1941 in Kaunas, ermordet wurde, konnten drei ihrer Söhne emigrieren, einer überlebte vier KZs. Von den sechs Kindern des Ehepaars Cahnmann emigrierten vier in die USA und zwei nach Palästina, zum Großteil auf lebensgefährlichen Wegen.

Den Eltern gelang es wegen des Auswanderungsverbots aus dem Deutschen Reich 1941 nicht mehr zu fliehen. Dasselbe widerfuhr dem Ehepaar Leopold und Sabine Schwager, deren beide Söhne emigriert waren. Sie kamen für den 20. November 1941 auf die Deportationsliste nach Kaunas. Ebenso wie das Ehepaar Bernhard und Magdalena Goldschmidt, deren beide Töchter, katholisch getauft, in Auschwitz umkamen.

Katharina Bergmann: »Jüdische Emigration aus München. Entscheidungsfindung und Auswanderungswege (1933–1941)«. Band 13 der Studien zur jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, hrsg. von Michael Brenner und Andreas Heusler. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2022, 375 S., 89,95 €

Berlin

Anne Frank Zentrum feiert 30. Jubiläum

Anlässlich seines 30-jährigen Bestehens lädt das Anne Frank Zentrum in Berlin am Wochenende in die Ausstellung »Alles über Anne« ein. Der Eintritt ist frei

von Stefan Meetschen  02.12.2024

Berlin

Koscher übernachten

lan Oraizer renovierte eine Villa und baute sie zu einem Hotel um, das religiösen Standards genügt. Sein Haus ist auf Wochen ausgebucht. Ein Ortsbesuch

von Christine Schmitt  01.12.2024

Köln

Für die Zukunft der Kinder

Bei der WIZO-Gala konnten 529 neue Patenschaften gewonnen werden

von Ulrike Gräfin Hoensbroech  01.12.2024

Porträt der Woche

Angst lässt sich lindern

Lisa Strelkowa studiert Psychologie und macht ein Praktikum in einer Tagesklinik

von Brigitte Jähnigen  01.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind aus dem Kulturbetrieb

von Louis Lewitan  01.12.2024

Berlin

75 Jahre Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit

Am Sonntag wird gefeiert und auch ein neues Buch präsentiert

 30.11.2024

Potsdam

In der Tradition des liberalen deutschen Judentums

Die Nathan Peter Levinson Stiftung erinnerte an ihren Namensgeber

 28.11.2024

Berlin

Gemeindebarometer: 7. Oktober beeinflusst Stimmungsbild

Jüdische Bürger fühlen sich wegen des Hamas-Terrors weniger sicher

 28.11.2024

Ratsversammlung

Füreinander da sein

2024 war ein herausforderndes Jahr für die jüdische Gemeinschaft. Solidarität und Zusammenhalt waren zentrale Themen

von Katrin Richter  28.11.2024