Hamburg

Ganz lokal

In der Rothenbaumchaussee hat ein koscherer Supermarkt eröffnet

von Heike Linde-Lembke  06.05.2023 22:41 Uhr

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky im »Kosher Market« Foto: Heike Linde-Lembke

In der Rothenbaumchaussee hat ein koscherer Supermarkt eröffnet

von Heike Linde-Lembke  06.05.2023 22:41 Uhr

Milch und Honig, Marmelade und Mehl, Fleisch, Konserven – alles koscher in Hamburg. Der neue »Kosher Market« im Chabad-Haus will eine Marktlücke schließen. Und das war, wenn man den Kundinnen und Kunden zuhört, auch dringend nötig.

Bereits zu Pessach konnten Hamburger endlich vor Ort ihre Einkäufe erledigen und waren nicht auf den oft teureren und durch den Paketdienst umständlichen Online-Handel angewiesen. Zwar gibt es auch in einem Supermarkt in der Nähe des jüdischen Gemeindezentrums in der ehemaligen Talmud-Tora-Schule am Grindel koschere Lebensmittel, aber eben nicht ausschließlich.

Die Ladentür zum »Kosher Market« steht auch lange nach Pessach nicht still. Der Andrang ist groß, und Geschäftsführer Manfred Lücke hofft, dass die erwarteten fünf bis sechs Paletten Ware bald eintreffen. »Mit so viel Interesse und Begeisterung seitens der Kundinnen und Kunden haben wir nicht gerechnet«, sagt Lücke und greift ins Weinregal, um einen koscheren Wein, einen 2021er Iphöfer Silvaner aus Unterfranken zu empfehlen. Als Halsbanderole trägt die Bocksbeutel-Flasche das Koscher-Siegel von Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky.

WEIN Er war es auch, der das Lebensmittelgeschäft mit koscheren Waren im klassizistischen Chabad-Haus initiierte. Bistritzky, zudem Leiter des Hamburger Chabad-Zentrums, wollte Hamburgs Jüdinnen und Juden, darunter den mehr als 3000 Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, endlich die Möglichkeit bieten, koschere Lebensmittel direkt in ihrer Stadt einzukaufen. »Ich freue mich sehr, dass Hamburgs Jüdinnen und Juden den ›Kosher Market‹ so gut angenommen haben«, sagt Bistritzky, der den Laden feierlich mit dem Anbringen der Mesusot eröffnete.

Für die Zukunft ist auch ein koscheres Restaurant geplant.

Die mehr als 1000 Produkte werden überwiegend aus Belgien, Frankreich und Israel geliefert. Das Fleisch kommt aus Polen, wird dort von Bistritzkys Bruder Mordechai Bistritzky kontrolliert und mit dem Koscher-Stempel versehen. Dafür fliegt der Rabbiner zweimal im Monat mit seinem Kaschrut-Team von Tel Aviv nach Warschau.

Viele Warenbezeichnungen sind hebräisch. Das Sortiment ist übersichtlich in eigens für den Raum angepassten Regalen arrangiert. Im verglasten Kühlschrank lagern Milch und Joghurt, Hähnchenkeulen und Rindfleisch, Pizza und Pasta. »Milch und Fleisch müssen erst bei der Zubereitung in der Küche strikt getrennt werden«, sagt Rabbiner Bistritzky, der über ein weltweit verortetes jüdisches Netzwerk verfügt.

GIN Ergänzt werden soll der Markt noch um ein kleines Café. Auf einem alten Weinfass soll demnächst eine Kaffeemaschine brummen oder eine Magnum-Flasche Gin Sul, die Bistritzky ebenfalls mit seinem Koscher-Stempel klassifiziert hat, als Dekoration stehen. »Wir wollen mit diesem Markt auch ermöglichen, sich zu treffen und miteinander ins Gespräch zu kommen«, sagt Lücke. Auch draußen vor der Tür stehen schon Tische und Stühle für einen Einkaufsplausch bereit.

»Wir hoffen, dass dieser Markt ein weiteres Argument ist, Hamburg und unsere Gemeinde für junge jüdische Familien attraktiv zu machen«, sagt Bistritzky. Gerade für junge Ehepaare mit kleinen Kindern ist eine jüdische Infrastruktur mit Kindergarten, Schule und koscheren Angeboten wichtig. »Wichtig ist auch, dass wir die Waren preiswert anbieten können«, betont er.

Es gab in Hamburg schon viele Versuche, ein Lebensmittelgeschäft mit koscheren Waren zu führen. Doch sie mussten stets auch Gewinn abwerfen. Der »Kosher Market« im Chabad-Haus, unter dessen Dach das Geschäft eingerichtet wurde, habe zumindest keine Mietkosten, erzählt Bistritzky. Ziel des Chabad-Bildungshauses sei es, eine koschere Ernährung zu ermöglichen. »Wir haben viel Mühe und Geld investiert, um diesen Ort so angenehm wie möglich zu gestalten«, sagt Bistritzky. Der Weg war lang.

geschichte Die Gründerzeit-Villa hat eine traditionsreiche jüdische Geschichte. Der jüdische Arzt Alwin Cäsar Gerson erbaute das Haus 1877. Im Jahr 1890 erwarb der Kaufmann Moses Max Brauer das Anwesen. Nach dessen Tod 1925 erbten es Verwandte, die es aber 1935 unter Wert für 40.000 Reichsmark an den Nationalsozialistischen Lehrerbund verkaufen mussten. Die Vorbesitzer Hedwig Hellgarten, ihre Tochter und deren Ehemann flohen 1937 vor dem NS-Terror in die Schweiz, dann in die USA.

Im Laden sollen sich Menschen treffen und ins Gespräch kommen.

2012 kaufte das Jüdische Bildungszentrum die Villa und sanierte sie fachgerecht mithilfe des Hamburger Denkmalschutzes. Der »Kosher Market« ist in den ehemaligen Remisen eingerichtet.

LITERATUR Stammkundin ist bereits Miriam Cohen mit ihrer Familie. Sie ist Lehrerin am Joseph-Carlebach-Bildungshaus im Gemeindezentrum Talmud-Tora-Schule und freut sich, dass es auch jüdische Gebet- und Lehrbücher und Kinder-Literatur im »Kosher Market« gibt, beispielsweise die Reihe Die Wochenabschnitte der Tora von Rabbi Nachman Zakon.

Zielgruppe des »Kosher Market« sind aber nicht nur die jüdischen Gemeinden Hamburgs und Schleswig-Holsteins, sondern die gesamte Hamburger Stadtgesellschaft und die vielen Touristinnen und Touristen der Hansestadt. Denn koschere Lebensmittel werden auch von Menschen mit einer Laktoseintoleranz oder Gluten-Unverträglichkeit gern gekauft. »Die Zahl der Nahrungsmittelhersteller, die ihre Produkte als koscher zertifizieren lassen, steigt«, sagt Landesrabbiner Bistritzky, der auch schon die nächste Idee für das Chabad-Haus hat: ein koscheres Restaurant.

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