Porträt der Woche

»Galaxien ähneln Menschen«

»Die Religion fragt nach dem ›Warum‹. Die Wissenschaft nach dem ›Wie‹«: Noam Libeskind (35) Foto: Gregor Zielke

Galaxien sind wie kosmische Bausteine. Alle zusammen formen sie das riesige Universum. Dabei verteilen sich die Galaxien aber nicht gleichmäßig im Raum. Wenn man in der Nacht von der Erde aufschaut, dann gibt es je nach Richtung, in die man blickt, eine unterschiedliche Anzahl an Himmelskörpern. Manche Bereiche des Universums sind übervoll an Sternen, andere wiederum sind fast leer.

Wie all diese Galaxien miteinander verbunden sind, ergibt die Struktur des Universums. Dazu forsche ich am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam. Mein Bereich heißt »Kosmologie und großräumige Strukturen«. Ich versuche herauszufinden, wie die Galaxien entstanden sind und wie sie sich verändern.

Milchstrasse Auf gewisse Art sind sich Galaxien und Menschen ähnlich: Manche sind groß, andere klein. Manche sind uralt, und andere sind jung. Es gibt sie in verschiedenen Farben, manche sind sehr rot und andere eher gelb. Manche sind inaktiv, andere aktiv – das sind diejenigen Galaxien, in denen neue Sterne entstehen.

Ich bin Experte für die kleinen Galaxien, für die sogenannten »Satelliten- und Zwerggalaxien«. Das sind winzige Systeme, die sich um unsere Milchstraße drehen. »Klein« kann in der Kosmologie bedeuten, dass es sich etwa nur um eine Ansammlung von einer Million Sterne handelt. Im Vergleich zu anderen Galaxien mit über einer Milliarde Sternen ist das tatsächlich winzig. Man kann diese Zwerge nur durch enorm große Teleskope sehen und auch nur in der Nähe der Milchstraße, weil sie nur sehr wenig Licht abgeben.

Viele Menschen interessieren sich für Dunkle Materie. Ob sie existiert oder nicht, das ist auch im Zusammenhang mit den Zwerggalaxien eine wichtige Frage. Schon im 16. Jahrhundert hat Johannes Kepler die Bahn astronomischer Objekte in unserem Sonnensystem untersucht und festgestellt, dass sich die Planeten je nach Abstand zur Sonne unterschiedlich schnell bewegen. Merkur, der innerste Planet unseres Systems, umrundet die Sonne sehr viel schneller als Neptun ganz außen.

existenziell Mit den Gesetzen von Forschern wie Isaac Newton und Albert Einstein lässt sich auch erklären, warum das so ist. Ein Teil der Antwort lautet: Je weiter entfernt sich die Planeten von der Sonne befinden, umso weniger Schwerkraft wirkt auf sie ein. Je weniger Gravitationskraft auf sie einwirkt, umso langsamer bewegen sich die Planeten durch den Raum.

Bei anderen Galaxien lässt sich diese Gesetzmäßigkeit aber nicht unbedingt feststellen. Bei den Zwerggalaxien, die ich untersuche, ist es zum Beispiel anders. Unabhängig davon, wie weit sich die Sterne vom jeweiligen Zentrum der Galaxie befinden, bewegen sie sich alle stets in der gleichen Geschwindigkeit um diese Mitte.

Das heißt, sie bewegen sich schneller, als das nach unseren Gesetzen der Schwerkraft eigentlich der Fall sein sollte. Damit die Theorie der Schwerkraft also funktionieren kann, damit Newton und Einstein recht haben, muss es im Universum noch eine andere Materie geben. Es muss eine Masse existieren, die die Geschwindigkeit der Sterne in ihrer Umlaufbahn erhöht. Die Masse, die diesen Effekt hervorruft, können wir aber nicht sehen, und das ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Dunkle Materie.

spirituell All diese Dinge sind sehr schwer zu begreifen. Man muss dazu die Gegebenheiten und die Realität auf der Erde ein Stück weit vergessen. Das ist etwas, was mir an der Astrophysik gefällt: Alles, was man untersucht, ist so weit weg, und damit wird es auch ein bisschen fantastisch. Meine Arbeit hat viel mit Fantasie und Vorstellungskraft zu tun. Die Astronomie ist sehr akademisch, sie hat keinen unmittelbaren Nutzen. Andererseits sind all ihre fundamentalen Fragen sehr spirituell: Woher kommen wir Menschen, wohin gehen wir und das Universum?

Natürlich sind die Antworten der Wissenschaft nicht so befriedigend und abschließend wie die in den heiligen Büchern. Wenn man in der Wissenschaft eine neue Theorie aufstellt, dann präsentiert man ihre Schwierigkeiten und Probleme gleich mit. Der Selbstzweifel ist ein Teil der Wissenschaft, und das ist etwas Schönes. Während die Religion nach dem »Warum« fragt, sucht die Naturwissenschaft immer die Antwort auf das »Wie«. Man kann nicht sagen, warum die Sonne hell ist. Es lässt sich aber beschreiben, wie diese Helligkeit entsteht. Nicht alles in der Welt ist mit den Naturwissenschaften erklärbar.

Auf die Frage, ob ich an Gott glaube, kann ich nicht einfach mit Ja oder Nein antworten. Die Schönheit der Natur kann einen so ehrfürchtig machen wie eine Gottheit. Ich bin in das Judentum hineingeboren worden und ich fühle mich in seiner Tradition heimisch. Religion und die Tora sind viel mehr als das enge Verständnis davon, wie die Welt entstanden ist und dass sie gerade einmal 6000 Jahre alt sein soll. Es geht auch um Ethik und Moral – um Werte, die nicht allein jüdisch, sondern universal und fundamental menschlich sind.

optimistisch Die Geschichte von Pessach etwa kann jeder verstehen, es geht um den Gegensatz von Freiheit und Sklaverei – worin auch immer sie bestehen mögen. Und auch das Nachdenken an Rosch Haschana über das vergangene Jahr ist etwas sehr Menschliches. Dieser Gedankenprozess hilft uns dabei, optimistisch in die Zukunft zu schauen, sodass der Spruch »Nächstes Jahr in Jerusalem« auch Wirklichkeit wird.

Während ich meine Doktorarbeit in England schrieb, habe ich eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt, Rabbiner zu werden. Zu einem Pessachseder traf ich einmal den britischen Oberrabbiner. Ich sagte ihm, dass ich gerne Rabbiner werden würde, dass es mir aber nicht leichtfalle, an Gott zu glauben. Er antwortete mir: Als Rabbiner muss man nur zu 51 Prozent an Gott glauben. Letztlich bin ich dann zwar nicht Rabbiner geworden, aber dieses Leben würde mir sicherlich auch gefallen. Es ist eigentlich der Astrophysik recht ähnlich: Man liest den ganzen Tag, denkt nach und schreibt. Das würde mir auf jeden Fall auch Spaß machen.

Geboren wurde ich 1980 in den USA, in Detroit. Mein Vater ist der Architekt Daniel Libeskind. Deswegen bin ich schon sehr jung sehr viel in der Welt herumgekommen. Wir lebten unter anderem in Boston, Toronto und Helsinki, bevor ich mit fünf Jahren in Mailand eingeschult wurde.

liebe Kurz vor dem Fall der Mauer, mit neun Jahren, kam ich das erste Mal mit meinen Eltern nach Berlin. Mein Vater hatte den Architekturwettbewerb um den Bau des Jüdischen Museums gewonnen. Hier habe ich dann gelebt, bis ich für mein Studium erst in die USA und später nach Großbritannien gegangen bin. In England habe ich auch meine Frau Cilia kennengelernt. Zusammen haben wir zwei Söhne.

Dass wir heute wieder in Berlin leben, ist Zufall (wenn es ihn gibt). Mit meiner Frau wohnte ich davor für zwei Jahre in Tel Aviv und forschte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Als wir uns dann beide nach neuen Jobs umschauten, fanden wir – zufällig – eine Stelle in Berlin. Damit bin ich dann wieder in die Stadt meiner Kindheit zurückgekehrt.

Übrigens haben Cilia und ich hier 2007 auch geheiratet: im Innenhof des Jüdischen Museums. Unsere Heirat war die erste Veranstaltung dort. Als wir die Einladungen an die Hochzeitsgäste verschickten, war dort noch alles – sehr passend für eine Heirat – im Anfang begriffen.

Aufgezeichnet von Jan Schapira

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