Sport

Fußball für immer

Yan Gurevych kann es einfach nicht lassen. »Mit einem eindeutigen Jein beantworte ich immer die Frage, ob ich noch bei Spielen auf dem Platz stehe.« Eigentlich hat der 45-Jährige seine Fußball-Karriere beendet, da er es zeitlich nicht mehr schafft, regelmäßig mehrmals die Woche zum Training zu kommen und sich die Wochenenden frei zu halten für die Spiele. Denn seine Arbeit in der Gastronomie sei sehr anstrengend.

Aber wenn er Zeit hat, dann springt er doch bei den Partien für Makkabi Frankfurt ein. »Ich konnte lange Zeit nicht aufhören. Fußball ist meine große Leidenschaft«, sagt Yan Gurevych. Deshalb werde er gespannt die EM verfolgen, die am Freitag beginnt. »Glücklicherweise gibt es in unserer Gastronomie einen Fernseher – und wenn ich nicht arbeite, werde ich wahrscheinlich beim Public Viewing im Sportpark von Makkabi dabei sein.« Er drückt Deutschland und der Ukraine die Daumen.

Vor etwa 24 Jahren kamen seine Familie und er aus der Ukraine nach Frankfurt. »In Lwiw habe ich viel Basketball gespielt und nur wenig Fußball«, erzählt er. Aber in Frankfurt hörte er bald von Makkabi und besuchte ein Training. »Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, kam ich dort an.« Der Fußball sei für ihn die beste Möglichkeit gewesen, sich in das neue Land zu integrieren, sagt er. »Die Sprachkurse haben mir nicht so viel gebracht, erst die Praxis half.« Denn auf dem Platz musste er mit den anderen Spielern kommunizieren, und auch nach dem Spiel wird viel besprochen, sie tauschen sich über alles Mögliche aus. »Makkabi ist für mich Familie.« Ohne den Sport wäre Yan Gurevychs Leben anders verlaufen.

Keine einzige rote Karte

Als einen »verrückten« Sportler würde er sich beschreiben. »Wenn ich auf den Platz gehe, dann gebe ich ab dem Anstoß alles.« In den mehr als 20 Jahren erhielt er keine einzige rote Karte, denn er sei immer fair auf dem Platz gewesen und ließ sich nie von den Gegnern provozieren. Darauf sei er stolz, sagt Gurevych. Gespielt hat er für Makkabi Frankfurt in der Kreis- und Kreisoberliga, bei etlichen Hallen-Meisterschaften und mit Makkabi Deutschland bei drei europäischen Makkabiot. »Das war jedes Mal ein großes Fest, schon bei der Eröffnungszeremonie hatte ich Gänsehaut.« Viele neue Freunde habe er bei diesen Events gefunden.

»Schon bei der Eröffnungszeremonie hatte ich Gänsehaut.«

Yan Gurevych

Seine Nummer ist die 15. Ein dunkles Trikot aus der Anfangszeit hat er als Souvenir aufbewahrt, ebenso ein paar weitere aus späteren Jahren. »Aber Sport ist auch Mord«, zitiert er den englischen Premierminister Winston Churchill. Sieben Knie-Operationen hat Yan hinter sich. Es gebe keine Stelle an seinem Körper, an der er nicht schon einmal Blessuren davongetragen hätte, sagt er schmunzelnd. Dennoch: Den Fußball aufzugeben, komme für ihn nicht infrage. Mental sei der Sport eine wichtige Unterstützung.

Als er einen Todesfall in der Familie hatte, hielt er es zu Hause nicht aus, er trauerte und brauchte dringend Ablenkung. »Das Sitzen half mir nicht, ich musste mich bewegen.« Seine Familie hatte Verständnis dafür, dass er Fußball spielen musste. Auf dem Platz empfingen ihn seine Mannschaftskameraden mit einer so großen Wärme und Anteilnahme, die ihm guttat.

Fünf verschiedene Paare Fußballschuhe

Fünf verschiedene Paare Fußballschuhe stehen bei Chiara Hager im Schrank. Sie sind neongelb, lila, hellblau, orange und rot-schwarz. »Die Farbe spielt aber für mich keine Rolle, sondern ihre Eigenschaften: Manche haben lange oder kürzere Stollen, und ein Paar ist nur für die Halle.«

Chiara Hager kennt dieses Brennen für Fußball nur zu gut. »Schon immer war Fußball meine Leidenschaft«, sagt die 25-jährige Studentin aus München. Sie mag es, zuzuschauen, wie andere spielen, aber steht auch gern selbst auf dem Platz. Angefangen hat sie als Kind mit Fußball, dann lockte Tennis. Jedoch spürte sie bald, dass sie lieber in einem Team spielen möchte. »Ich wollte immer zu Maccabi – aber da gab es damals keinen Frauenfußball.«

Also trainierte und spielte sie erst einmal bei anderen Vereinen. Das war 2007. Mehrmals die Woche war sie beim Training und an den Wochenenden bei Partien in der Kreisliga. »Da habe ich jedes Mal auf unser Spiel hingefiebert.« Doch als viele Frauen ins Ausland gingen und das Team nicht mehr antreten konnte, entschloss sie sich, eine Frauenmannschaft zu gründen, und sprach den Maccabi-Vorstand an. »Der fand die Idee toll.« Daraufhin machte sie Werbung und lud Interessierte zum Training ein. »Beim ersten Treffen waren wir zu siebt.«

Nächstes Jahr in der Liga

Ziel ist es, eine volle Mannschaft auf die Beine zu stellen und nächstes Jahr in der Liga mitzuspielen. Ihre Lieblingsposition ist im offensiven Mittelfeld, die Nummer 10, die beispielsweise Jamal Musiala in der deutschen Nationalmannschaft bei der EM trägt. »Ich bin nicht die Schnellste, habe aber eine gute Kondition.«

Montag und Mittwoch sind ihre Trainingstage. Bevor sie selbst über den Platz läuft und versucht, Bälle im Tor zu versenken, ist sie noch als Co-Trainerin bei einer Maccabi-Kindermannschaft der U8 im Einsatz. Demnächst wird der Haupttrainer München verlassen. Ihr ist die Kindermannschaft jedoch so wichtig, dass sie sich entschieden hat, in der Stadt zu bleiben. »Es wäre zu heftig, wenn wir beide gleichzeitig gehen würden.«

Aber auch die Frauenmannschaft ist ein Grund, die Stadt nicht zu verlassen. Denn Maccabi sei ihr zweites Zuhause. Derzeit absolviert sie ein Praktikum im Erinnerungsort BA­DEHAUS in Waldram. Ihre Forschungsaufgabe: »Fußball in Föhrenwald und Waldram«. Davor hat sie ihren Bachelor in Geschichte gemacht, wahrscheinlich wird sie bald ihr Masterstudium beginnen.

Ihr Vater ist ebenfalls fußballbegeistert. Ihre Mutter und die jüngere Schwester hingegen widmen sich lieber dem Ballett. Nicht alle EM-Partien wird sie sich anschauen können, bei dem ersten Deutschlandspiel wird sie beim Schabbaton des Verbandes Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) sein, dann zwei Wochen in Japan. Wenn möglich, wird sie mit der »Maccabi-Familie« das Spiel verfolgen. »Ich werde die Partien genießen und die Spielzüge genau beobachten.« Ihr Favorit sei Deutschland, sagt sie.

»Wir wollten zeigen, dass wir Juden wieder da sind«

Wie schwer es ist, eine neue Fußballmannschaft aufzubauen – das weiß Marian Wajselfisz nur zu gut. Er kann sich noch bestens daran erinnern, wie es 1970 war, als bei Makkabi Berlin das runde Leder wieder rollen sollte. Er kam damals aus Argentinien nach Deutschland zurück, war ein Diskothekenbesitzer und wurde gefragt, ob er sich vorstellen könnte, die Fußballabteilung zu leiten. Er zögerte keine Sekunde. »Wir wollten zeigen, dass wir Juden wieder da sind.« Aber nur »relativ wenige interessierten sich überhaupt für Fußball – und jüdische Interessenten gab es in der Nachkriegszeit kaum«. Erst 1965 wurde Makkabi Deutschland als Dachverband für alle jüdischen Sportvereine wiedergegründet. Schließlich kam eine Mannschaft zustande, die offiziell angemeldet werden konnte.

Beim ersten Spiel gelang Makkabi der erste Treffer, aber in der Halbzeitpause stand es bereits 1:6. »Daraufhin wollte unser Torwart nach Hause gehen, wir konnten ihn aber überreden zu bleiben.« Mit 1:15 verlor Makkabi. »Damals dachte ich, dass ich mitspielen könnte, so schlecht waren wir«, sagt er lachend.

Zwölf Jahre später schaffte der Klub den Aufstieg in die Oberliga Berlin, damals die 3. Liga. Zuletzt scheiterte die Mannschaft im Finale des Landespokals. Wajselfisz erklärt seine Intention der Vereinsgründung so: »Was mir am Herzen liegt, ist die Gemeinschaft der Nationen. Ich bin Pazifist durch und durch.« 18 verschiedene Nationalitäten tummeln sich im Oberliga­kader in der 1. Mannschaft: Brasilianer, Japaner und Senegalesen spielen mit Serben, Türken, Deutsch-Israelis und Deutsch-Iranern zusammen – ein Sammelsurium verschiedenster Glaubensrichtungen, Ethnien und Identitäten. Demnächst sollen noch zwei Israelis dazukommen.

Der Vereinsälteste hat in der Fußballmannschaft von Rolf Eden mitgekickt.

Die antisemitischen »Sprüche«, wie Wajselfisz sie heute nennt, habe es bei den Spielen sehr häufig gegeben. Viele Aussagen schockieren ihn immer wieder, aber er nehme sie hin, stelle eher selten jemanden zur Rede, denn er will kein Opfer solcher Äußerungen und Klischees mehr sein.

Der Vereinsälteste versucht, immer dabei zu sein, wenn Makkabi aufläuft. Auch besucht er die Spieler in der Kabine. Er selbst hat nie für Makkabi gekickt, nur in der Fußballmannschaft von Rolf Eden.

In Warschau kam Marian Wajselfisz vor 86 Jahren auf die Welt. Als Vierjähriger wurde er in das Ghetto Otwock gesperrt. Als seine Familie sich für einen Transport aufstellen sollte, konnte sie entkommen. Mit seinen Eltern floh Wajselfisz zu seinem Großvater, der eine Brauerei hatte. Der bestach mit Goldmünzen ein Ehepaar, das ihn, seine Eltern und weitere Verwandte in ihrem Keller versteckte und dort versorgte. Die Tür hatte man mit Kohlen zugeschüttet, und als einmal deutsche Soldaten kamen, klopften sie vehement gegen die Tür, fanden sie aber nicht. Eine Glühbirne gab ihnen etwas Licht. »Die Wanzen, die immer hochkrochen, zerdrückte ich mit Papier.«

1944 von der Roten Armee befreit

Zwei Jahre harrten sie in dem Keller aus, bis sie 1944 von der Roten Armee befreit wurden. Marian Wajselfisz war damals sechs Jahre alt. Später floh die Familie nach Deutschland. »Meine Mutter lebte streng koscher und hatte zwei Eimer Gänseschmalz dabei«, erinnert er sich. Das sei sehr beschwerlich gewesen, aber sie ließ sich nicht davon abbringen, sie mitzunehmen. In Stuttgart kamen sie in einem Lager unter, später zog die Familie nach Berlin.

Doch er wollte weiter nach Argentinien, wo Verwandte lebten. Dort wurde er Handelsreisender. Erst als seine jüngere Schwester heiratete, landete er auf dem Flughafen Tempelhof. Eine vom Vater vermittelte Ausbildung im Sanitärhaus brach er rasch ab, wurde Gastronom und schließlich Besitzer einer Diskothek. Acht Weltmeisterschaften hat Wajselfisz erlebt. Die EM-Spiele werde er – wenn seine Gesundheit es zulässt – bei Makkabi schauen. »Ich bin für Spanien.«

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