Berlin

Für alle offen - Das bundesweit einzige jüdische Kindermuseum

Ane Kleine-Engel, Leiterin des Kindermuseums ANOHA des Jüdischen Museums Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Vor knapp zwei Jahren wurde die Kinderwelt ANOHA des Jüdischen Museums Berlin eröffnet. Es ist bundesweit das einzige Kindermuseum, das explizit die Bezeichnung »jüdisch« im Namen trägt. Die Nachfrage ist so groß, dass vor allem an den Wochenenden alles schnell ausgebucht ist. Ein Interview mit der Leiterin Ane Kleine-Engel (54) über das besondere Konzept der Einrichtung, die Kinder mit und ohne Glauben aus aller Welt besuchen - und warum es eigentlich kein religiöses Museum ist, obwohl das zentrale Thema die »Arche Noah« ist.

Frau Kleine-Engel, wer zu Ihnen ins Museum kommt, muss nicht lesen können…

Das stimmt. Wir sind ein Museum ohne Text. Die Kinder sollen selbst aktiv werden. Deshalb bieten wir ganz bewusst auch keine Führungen an, in denen den Kindern alles vorgekaut wird. Sie dürfen das Museum erkunden, indem sie Fragen stellen. Es gilt ja als »typisch jüdisch«, dass die Frage im Zentrum steht - und nicht die Antwort. Dafür haben wir zahlreiche Vermittlerinnen und Vermittler, die in der Ausstellung zu finden sind und sich zum Gespräch anbieten, wenn eine Frage aufkommt oder die selbst auch mal nachfragen.

Wer die Ausstellung betritt, sieht sich erst einmal mit Wassermassen konfrontiert: Er hört es gurgeln, er sieht ringsum auf den Wänden Videos, die große Flutwellen zeigen. Warum?

Der Trick von ANOHA ist: Man besucht kein Museum, sondern eine Geschichte. Man liest nicht über etwas, sondern ist mittendrin. Deshalb haben wir diesen Einstieg gewählt. Man kann sich das Geschehen mit allen Sinnen vorstellen: Jetzt kommt die Flut.

Was können Kinder hier erleben?

ANOHA ist ein Museum zum Anfassen: Kinder können zum Beispiel - wie Noah - ein Boot bauen und es schwimmen lassen. Viele rennen auch erst einmal los und erkunden die Arche. Wir haben 170 Tiere, die von Künstlerinnen und Künstlern als Upcycling-Skulpturen geschaffen wurden. Das heißt, sie bestehen etwa aus Besen, Schuhen oder alten Musikinstrumenten. Und sie sind bis ins kleinste Detail echten Tieren nachempfunden: Das Kamel, zum Beispiel, lässt die Unterlippe runterhängen wie ein echtes Kamel.

Was anders ist als in der Thora: Die Tiere treten nicht unbedingt nur paarweise auf. Stattdessen haben wir sie aufgrund möglichst unterschiedlicher Eigenschaften ausgewählt. Ausgestorbene und bedrohte Tiere wie etwa das Mammut und der Eisbär machen die Kinder auf Umweltprobleme und ihre Folgen aufmerksam.

Das Judentum kennt die Erzählung von der Arche Noah genauso wie das Christentum und der Islam. Was für eine Rolle spielt Religion in Ihrem Museum - und deren Vermittlung?

Wir sind kein explizit religiöses Museum. Zu uns kommen Klassen mit christlichem Religionsunterricht, jüdische Kitas oder Klassen mit mehrheitlich muslimischem Anteil, aber auch Kitas oder Familien ganz ohne Religionsbezug - schließlich ist Berlin eher nicht religiös geprägt. Es nur auf die Religion zu beschränken, würde dem ANOHA auch nicht gerecht werden.

Sondern?

Jeder und jede erlebt unser Museum anders. Es kann also sein, dass einer nachher sagt: ›Ich habe dort gelernt, rückwärts zu rutschen‹ - und das ist dann auch in Ordnung. Das Besondere am ANOHA ist vielleicht aber, dass hier die Vermittlung nicht aufhört, wenn alles im Rahmen der christlichen Mehrheitskultur beantwortet wird, sondern dass eben auch jüdische Perspektiven gleichberechtigt vorkommen. In diesem Sinne ist etwa die große Flut weniger eine Strafe als eher ein »Großreinemachen« auf der Welt, mit dem alle Schlechtigkeit weggespült wird.

Wie gehen Sie mit Antisemitismus um?

Wenn Kinder hier so etwas sagen wie »Die Juden sind blöd wegen Israel« versuchen wir, mit ihnen diese Aussage zu besprechen, etwa in der Art: ›Das ist eine Geschichte, die du gehört hast, aber höre Dir auch die andere Seite und deren Geschichte an‹ und scheuen uns dann auch nicht, andere Narrative anzubieten. Prävention von Rassismus und Judenfeindlichkeit ist uns wichtig - dass Menschen verschieden sind und unterschiedliche Ansichten haben, sollte man möglichst früh vermitteln. Zu diesem Perspektivwechsel laden wir auch mittels der Tiere ein - man kann sich eine Art Kopfhörer mit Barthaaren aufsetzen und ausprobieren, wie es ist, als Hamster die Welt mit Tasthaaren zu erfühlen.

Dabei versuchen wir grundsätzlich, mit den Kindern Fragen gemeinsam zu verhandeln und Regeln zu erarbeiten. So sollen sie in der Lage sein, eigenverantwortlich zu handeln. Das kann auch mal heißen, Regeln oder Befehle zu verweigern, wenn sie nicht sinnvoll oder gerecht sind.

Schabbat, koscheres Essen - inwieweit sind religiöse jüdische Bräuche in der Ausstellung ein Thema?

Es kommt auch hier darauf an, welche Fragen die Kinder stellen. Wenn sie wissen wollen, wo die Tiere an Bord schlafen, kann das zu Gesprächen über Ruhetage führen. Da kann dann etwa auch der Schabbat vorkommen und was man da alles macht und was nicht. Es geht aber nicht primär darum, Basiswissen zur jüdischen Kultur zu vermitteln.

Was sind grundsätzliche Ziele des Museums?

Erst einmal ein positives emotionales Besuchserlebnis: Es gibt Kinder, die zu uns kommen, die vorher noch nie in einem Museum waren. Wir wollen zeigen, dass Museumsbesuche nicht nur etwas für die Elite sind. Als zweites: Ein positives Erlebnis an einem Ort, der das Wort ›jüdisch‹ im Namen hat - und an dem das Judentum nicht, wie in Deutschland oft üblich, auf den Holocaust reduziert wird. Hier ist das Jüdische eben einfach da.

Kommt der Holocaust im »ANOHA« zur Sprache?

Nein. Für Kinder im Kita- und Grundschulalter ist das noch kein Thema, das sich zur Vermittlung eignet - auch wenn der Holocaust natürlich ein sehr, sehr wichtiges Thema ist. Wenn man will, kann man bei uns auch einfach nur rutschen, klettern und mit den Tieren spielen. Frei nach dem Motto: ›Ich war heute im Jüdischen Museum - und es hat Spaß gemacht.‹

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Zahlen und Fakten zur Kinderwelt »ANOHA« des Jüdischen Museums:

Die in Berlin-Kreuzberg gelegene Kinderwelt ANOHA gehört zum Jüdischen Museum Berlin. Die Ausstellung erinnert an einen Indoor-Spielplatz, in dem die Geschichte der »Arche Noah« im Zentrum steht: Im ANOHA bewegen sich die Kinder auf 2.800 Quadratmetern zwischen einer riesigen Holzarche und rund 170 Tieren in der Erzählung aus der Thora. Der Überlieferung nach war die Arche ein großes Boot, mit dem Noah seine Familie und alle Tierarten vor der Sintflut rettete.

Woher stammt der Name?

Der Name »ANOHA« greift die Bezeichnung »Arche Noah« spielerisch auf und orientiert sich in seiner leichten Vokalabfolge an den Bedürfnissen von ganz Kleinen, Nicht-Muttersprachlern oder Leseanfängern.

Wo gibt es ähnliche Museen?

Das ANOHA ist das einzige und erste seiner Art in Deutschland, aber nicht weltweit. Andere jüdische Kindermuseen gibt es etwa im Jüdischen Historischen Museum von Amsterdam. Auch in Brooklyn existiert ein Jewish Children’s Museum.

Für wen ist es geeignet?

Ein Museum für Kinder zwischen drei und zehn bis zwölf Jahren. Erwachsene haben auch Zutritt - aber nur in Begleitung von Kindern.

Was kann man machen? D

Die sieben Meter hohe, aus 300 Fichtenholzteilen gebaute Arche bildet das Zentrum der Ausstellung. 170 Tiere in Originalgröße sind hier zu Hause, mit denen man spielen kann, sie können - mit Filzbällen - gefüttert werden und es gibt auch eine Tiertoilette. Man kann klettern, rutschen und - wenn man will - sich die Geschichte der Arche Noah anhören. Für Kinder ab etwa acht Jahren gibt es über Kopfhörer das Audio-Suchspiel »Lauscher auf!«

Was kostet die Buchung?

Um jedem Kind den Besuch zu ermöglichen, ist der Eintritt frei. Da der räumliche Platz begrenzt ist, sollte man bei der Buchung schnell sein: Sechs Wochen vor dem gewünschten Termin werden die Plätze freigeschaltet.

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