Ratgeber

Fit for Tora

Kraft gefragt: Wer die Tora nicht heben kann, bekommt eine kleinere oder sollte vielleicht ganz auf den Tanz mit ihr verzichten. Foto: imago

Ratgeber

Fit for Tora

Wie sich Mitglieder und Rabbiner auf das Freudenfest vorbereiten

von Elke Wittich  28.09.2010 09:27 Uhr

Die Frau, die in Harry Kemelmanns Kriminalroman Am Samstag aß der Rabbi nichts den Rabbiner anrief, war sehr aufgeregt. Ihr Mann sei zu Jom Kippur zur Hagbah eingeteilt, aber nun mache sie sich Sorgen, denn er sei herzkrank und könne unmöglich die schwere Tora hochhalten, gibt sie zu bedenken. Wie die Geschichte weitergeht, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Dafür stellt sich nun, kurz vor Simchat Tora, eine ähnliche Frage wie die der besorgten Gattin: Kann es nicht sein, dass es für manche Gemeindemitglieder viel zu anstrengend ist, mit der bis zu 20 Kilogramm schweren Tora zu tanzen?

Nein, der Tanz mit der Tora sei eigentlich keine körperliche Herausforderung, sagt Rabbiner Henry G. Brandt. »Zum einen, weil es ja meist mehrere, unterschiedlich schwere Exemplare gibt.« Für die leichteren, die man an diesem Feiertag meist nimmt, wurde dünneres Pergamentpapier und leichteres Holz benutzt. »Zum anderen tanzen wir ja mit der eingerollten Tora, die dazu auch nicht hoch über dem Kopf, sondern im Arm gehalten wird.«

Man passe immer auf, dass der Schriftrolle kein Schaden zugefügt werde, betont Brandt, entsprechend suche man beispielsweise bei den Gottesdiensten »schon die Leute aus, die ein bisschen mehr Kraft und entsprechend kein Problem damit haben, die Torarolle hochzuheben.«

Was aber, wenn ein gebrechliches Gemeindemitglied sich nichts sehnlicher wünscht, als an Simchat Tora mit der Tora zu tanzen? »Dann muss man milde abraten«, sagt Brandt, »und darauf dringen, dass sie sie nur berühren, aber eben nicht tragen. Im Englischen gibt es den schönen Begriff des Common sense.«

Erinnerung An sein erstes Tora-Freudenfest kann sich Brandt noch gut erinnern, obwohl es schon mehr als 70 Jahre zurückliegt. »Es war 1937, ich war zehn Jahre alt. Dort am Herzog-Max-Platz, wo heute ein großer Gedenkstein steht, befand sich damals die liberale Synagoge, die die Familie Brandt besuchte. Allerdings nicht immer. »Solche Spannungen wie heute hatten wir damals nicht, und deswegen war es für meine Eltern ganz normal, dass wir zu Simchat Tora in die orthodoxe Synagoge gingen. In der liberalen ging es ein bisschen nüchterner zu, dort gab es zudem nur Papierfähnchen, während man in der orthodoxen richtig große Stofffahnen hatte. Und außerdem«, setzt Brandt lachend hinzu, »waren dort die Bonbontüten für die Kinder größer.«

Zwei Jahre später erlebte der kleine Henry G. Brandt sein erstes Simchat Tora im Exil. »In Tel Aviv. Es war sehr lustig, ich habe mitgetanzt«, erinnert sich der Rabbiner. Gleichzeitig erklärt Brandt allerdings: »Man muss die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Spaß finden; Freude mit der Tora ja, aber eben keine Gaudi«, betont er.

Vorbereitung Ganz wichtig sei dabei auch, die Kinder und Jugendlichen auf das Fest vorzubereiten. »Ich habe sie meist vorher in der Synagoge um mich versammelt und ihnen eine leichte Geschichte über die Tora erzählt, und anschließend wurde dann gefeiert.«

In Augsburg ist an Simchat Tora ausnahmsweise sogar Musik erlaubt: »Normalerweise feiern wir unsere Gottesdienste ohne Musik, aber zum Tanzen werden wir dann doch musikalisch begleitet, schließlich ist es gut, einen vorgegebenen Takt zu haben.«

Er habe die Tora nie gewogen, sagt Rabbiner Avichai Apel von der Dortmunder Gemeinde. »Und natürlich kann es manchmal anstrengend sein, sie hochzuhalten. Aber wenn man sich freut und gesund ist, dann ist es kein Problem. Wir nehmen natürlich für die älteren Gemeindemitglieder und die Kinder auch die kleinere und leichtere aus dem Schrank.« Man müsse eben »vorsichtig und achtsam sein«. Wenn das nicht gewährleistet sei, müsse man so viel Einsicht zeigen, und auf das Tragen der Torarolle verzichten.

Zurückhaltung Selbst Jugendliche, die sonst nicht so fürs Tanzen zu haben seien, machten mit, versichert Apel. »Wenn sie mit den Freunden aus dem Jugendzentrum zusammen sind, dann läuft das schon. Daran sieht man auch, wie wichtig diese sozialen Verbindungen sind.«

»Ein starker Mann kann jede Torarolle tragen«, sagt der Landesrabbiner in Mecklenburg-Vorpommern, William Wolff und meint, man könne auch ohne Tora mittanzen. Bevor die Familie Wolff 1933 emigrierte, hatte der kleine William schon in Berlin Simchat-Tora-Feiern erlebt. Dort wie auch später in Amsterdam, wo man bis 1939 lebte, wurde allerdings nicht getanzt, »wir Kinder bekamen Papierfahnen«, erinnert er sich. In all den Jahren, so betont er, habe er allerdings »niemals erlebt, dass die Tora fallen gelassen wurde«. Das würde, so fügt er hinzu, »für die Gemeinde auch Konsequenzen haben, denn sie müsste dann 24 Stunden lang fasten.«

Das Gemeindeleben sei in Schwerin, Rostock und Wismar noch im Aufbau, erzählt Wolff. Wenn die Feiertage auf Wochentage fielen, könne man nicht allzu viele Leute erwarten. »Die Tradition ist einfach noch nicht so ausgeprägt wie in den großen jüdischen Gemeinden in Westdeutschland. Aber, und darauf bin ich stolz: Wir hatten noch nie ein Problem mit dem Minjan, mussten uns nie den Kopf darüber zerbrechen, ob genügend Beter kommen werden.«

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  04.05.2025 Aktualisiert

Nachruf

»Hej då, lieber Walter Frankenstein«

Der Berliner Zeitzeuge und Hertha-Fan starb im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Stockholm

von Chris Meyer  04.05.2025

Essay

Das höchste Ziel

Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Was, einer zu bleiben? Überlegungen zu einem Begriff, der das jüdische Denken in besonderer Weise prägt

von Barbara Bišický-Ehrlich  04.05.2025

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025

Berlin

Tage im Mai

Am Wochenende beginnt mit »Youth4Peace« ein Treffen von 80 jungen Erwachsenen aus 26 Ländern. Sie wollen über Frieden und Demokratie sprechen. Auch Gali und Yuval aus Israel sind dabei

von Katrin Richter  01.05.2025

Frankfurt

Zwischen den Generationen

2020 führten Jugendliche gemeinsam mit Überlebenden der Schoa ein »Zeitzeugentheater« auf. Nathaniel Knops Dokumentarfilm »Jetzt?« zeigt dessen Entstehung und feierte nun Premiere

von Eugen El  01.05.2025