ELES

Geht der Staat hart genug gegen Judenhass vor?

Expertengespräch per Zoom Foto: screenshot

Im November 2019 wurde Samuel in einem Freiburger Fitnessstudio antisemitisch angegriffen. Ein Mann beleidigte den Studenten als »dreckiger Jude«, versuchte, Samuels Kopfbedeckung zu zerreißen; als das nicht gelang, bespuckte er die Kippa und warf sie in einen Mülleimer. Daraufhin schrie er »Free Palestine«.

Dass niemand eingeschritten sei, habe ihn am meisten irritiert, sagt Samuel. Als er die Sache bei der Polizei anzeigte, wartete eine weitere negative Überraschung auf Samuel: Die Polizistin habe ihn angeschrien und suggeriert, ihm sei doch eigentlich gar nichts passiert, da ihm kein körperlicher Schaden zugefügt worden sei. Man könne das kaum als Straftat verfolgen.

erfahrungen Samuel ist Stipendiat des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES). Am Dienstag erzählte er zum Auftakt einer im Internet gestreamten ELES-Podiumsdiskussion von seinen Erfahrungen mit den Behörden. Was ihm widerfahren sei, passiere in Deutschland vielen Juden im Alltag.

Welche Rolle spielt der Rechtsstaat beim Kampf gegen Judenhass? Gibt es genug Instrumente, um Juden zu beschützen? Müssen Justiz und Ermittlungsbehörden mehr für Antisemitismus sensibilisiert werden?

Mit diesen Fragen befasste sich ein Panel mit der ehemaligen Bundesjustizministerin und heutigen NRW-Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dem Journalisten und Juristen Ronen Steinke und der Opferanwältin Vladislava Zdesenko.

KRITIK Zdesenko kritisiert die Rechtsprechung vieler deutscher Verwaltungsgerichte im Hinblick auf öffentliche Versammlungen von Antisemiten. Sie wirft auch die Frage nach der persönlichen Einstellung einiger Richter auf. Für Ronen Steinke ist bereits die mangelnde Bereitschaft der Betroffenen, antisemitische Taten zur Anzeige zu bringen, ein großes Problem.

Nur rund ein Fünftel der antisemitischen Taten würde angezeigt, was »beschämend« sei. »Die allermeisten treffen für sich die Entscheidung: Das tue ich mir nicht an«, so Steinke. Das sei ein Versäumnis des Staates, den Opfern könne man so etwas nicht zum Vorwurf machen.

Es habe Jahre gedauert, bis die Thematik Einzug in die Juristenausbildung gefunden habe.

Wenn er mit Staatsanwälten rede, höre er oft, dass der Leidensdruck bei den Betroffenen wohl nicht sehr groß sein könne, wenn die Betroffenen die vorhandenen Möglichkeiten des Rechtsstaats gar nicht nutzten, ärgert sich der Jurist.

Und selbst, wenn am Ende eines Verfahrens eine Verurteilung stehe, würde die Art und Weise, wie juristische Entscheider mit dem Problem umgehen, viel kaputt machen. Es sei nämlich keine »Privatangelegenheit« der Opfer, sondern originäre Aufgabe eines Rechtsstaates, von sich aus tätig zu werden bei Angriffen auf Juden.

WISSENSVERMITTLUNG Auch Leutheusser-Schnarrenberger beklagt, dass es in Teilen der deutschen Justiz an Sensibilität mangele beim Thema Antisemitismus. »Da fehlt es schon im Studium an der Wissensvermittlung«, so die FDP-Politikerin. Es habe Jahre gedauert, bis die Thematik Einzug in die Juristenausbildung gefunden habe.

Auch viele Bescheide der Justiz seien für die Betroffenen oft unverständlich, formelhaft und bestünden aus Textbausteinen. Das fördere den Vertrauensverlust in die Justiz. »Man muss einen Sensor haben, wenn gewisse Begriffe auftauchen wie der ›Finanzvampirismus‹ oder von den Rothschilds die Rede ist, dann müssen sofort alle Alarmanlagen angehen, dass da ein antisemitischer Hintergrund vorliegen könnte«, forderte Leutheusser-Schnarrenberger.

Es sei zudem hilfreich, Antisemitismusbeauftragte bei den Staatsanwaltschaften einzurichten. »Wir brauchen jetzt nicht groß die Gesetze zu ändern und hier oder da noch eine Formulierung ins Strafgesetzbuch einfügen«, meint sie. Die vorhandenen Spielräume seien ausreichend – sie würden nur häufig nicht genutzt.

Chemnitz

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