Unterfranken

Falsches Erinnern

Das umstrittene Kriegerdenkmal in Geroldshausen Foto: Stefan Römmelt

Unterfranken

Falsches Erinnern

Ein Kriegerdenkmal in Geroldshausen ehrt den Auschwitz-Arzt Eduard Wirths – jetzt hat der Gemeinderat auf Kritik reagiert

von Stefan W. Römmelt  18.03.2021 13:31 Uhr

Wer Josef Mengele war, weiß wohl fast jeder. Den Namen seines Chefs, des Standortarztes des Konzentrationslagers Auschwitz, kennt hingegen wohl kaum jemand: Eduard Wirths. Zumindest bis vor Kurzem war höchstens unter Experten bekannt, welcher Mediziner die Verantwortung für die unsäglichen Verbrechen trug, die in Auschwitz begangen wurden.

Das hat sich seit einigen Wochen geändert. Den Anstoß hat ein Film des MDR gegeben. Das Thema: In seinem nur ein paar Kilometer von Würzburg entfernten Heimatdorf Geroldshausen, einem wohlhabenden, jetzt rund 1000 Einwohner zählenden Ort mit großen Gehöften, taucht der Name des Kriegsverbrechers Wirths auf dem örtlichen Kriegerdenkmal unter den Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs auf.

Dort wurde der Name »Dr. Eduard Wirths« im Jahr 1952 in den aus der Region stammenden Muschelkalk eingehauen. Zuvor hatte der örtliche Gemeinderat den Betrieb von Wirths’ Vater damit beauftragt, die Namen der Gefallenen und Vermissten des Zweiten Weltkriegs in das Monument einmeißeln zu lassen. Dass Wirths sich Mitte September 1945 im Internierungslager Staumühle zu erhängen versuchte und am 20. September 1945 an den Folgen seiner dabei erlittenen Verletzungen verstorben ist – und damit definitiv nicht zu den Gefallenen des Weltkriegs gehörte –, interessierte damals wohl keinen im Dorf. Zumal seine Familie, die den bereits erwähnten Steinmetzbetrieb besaß, im Dorf angesehen war.

NSDAP Dass Eduard Wirths aus Geroldshausen stammt, war kein Geheimnis. Die historische Forschung hat sich bereits seit Längerem mit dem 1909 geborenen Arzt beschäftigt, der von 1930 bis 1935 an der Universität Würzburg Medizin studierte. Seine Karriere verdankte er auch seiner frühen Mitgliedschaft in der NSDAP – im Mai 1933 trat er der zukünftigen Staatspartei bei. Nach dem »Röhm-Putsch« und der damit verbundenen Entmachtung der SA wechselte Wirths zur SS. Offensichtlich war der junge Arzt bereits zu dieser Zeit ein Opportunist, der sich flexibel den politischen Umschwüngen anzupassen wusste.

Diese »Flexibilität« prägte auch sein Verhalten im KZ Auschwitz. Dort diente er ab dem 1. September 1942 als »Standortarzt« – und war so direkt und indirekt für den Tod hunderttausender Menschen verantwortlich. Als Vorgesetzter der KZ-Ärzte Josef Mengele, Horst Fischer und Horst Schumann trägt Wirths auch die Verantwortung für die von seinen Mitar- beitern durchgeführten Selektionen »an der Rampe« und die Menschenversuche. Wirths selbst führte gynäkologische Versuchsoperationen an jüdischen Frauen durch, um Verfahren zur Krebsfrüherkennung entwickeln zu können.

Wirths war der Chef des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele.

Wirths hatte allerdings auch eine andere Seite. Der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein sprach davon, dass Wirths »widerwillig im Vernichtungsapparat« des Konzentrationslagers mitgewirkt habe. Deswegen habe er auch Misshandlungen von Häftlingen unterbunden, soweit ihm dies möglich gewesen sei. Der Mediziner veranlasste auch, dass die Hygienesituation im KZ verbessert wurde. Seine Motivation bleibt unklar – möglicherweise rechnete er bereits mit der deutschen Niederlage im Weltkrieg und wollte sich auf diese Weise eine bessere Position gegenüber den Siegern verschaffen.

BESCHLUSS Klar ist: Zu den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs gehört Eduard Wirths jedenfalls nicht. Das ist auch dem Geroldshäuser Bürgermeister Gunther Ehrhardt und dem Gemeinderat klar. Bei einer Sitzung am Dienstag vergangener Woche folgten die Ratsmitglieder dem Vorschlag von Ehrhardt und fassten folgenden Beschluss: »1. Der Gemeinderat verurteilt die von Dr. Eduard Wirths während des Dritten Reiches als Standortarzt in verschiedenen Konzentrationslagern verübten Kriegsverbrechen auf das Schärfste. 2. Die Aufnahme seines Namens auf das örtliche Kriegerdenkmal war und ist falsch. Diese Tatsache muss zügig und umfassend aufgearbeitet werden. 3. Die Aufarbeitung übersteigt in ihrer Bedeutung die Möglichkeiten der Gemeinde. Die Gemeinde sucht deshalb hierzu die Unterstützung geeigneter Personen oder Institutionen. 4. Nach der entsprechenden Aufarbeitung entscheidet der Gemeinderat, in welcher Form die damalige Entscheidung revidiert wird.«

HANDELN Eindeutig in dieser Angelegenheit ist die Position von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. In einer Stellungnahme forderte er die Verantwortlichen des Ortes zum Handeln auf: »Dass der Name von Eduard Wirths, der in Auschwitz als KZ-Arzt tätig war und unendlich viele Menschenleben auf dem Gewissen hat, in den 1950er-Jahren auf dem Kriegerdenkmal Platz fand, zeigt die damals übliche Verdrängung und Vertuschung.«

Kritisch bemerkte Schuster: »Ein wenig scheint von diesem Geist bei älteren Geroldshausenern heute noch übrig zu sein.« Er forderte: »Es wird höchste Zeit, dass der Name von dem Denkmal entfernt wird. Dass er dort steht, ist Geschichtsklitterung der übelsten Art.«

Von einer im Vorfeld der Entscheidung des Gemeinderats vorgeschlagenen Handlungsoption rät der Zentralratsvorsitzende ab: »Die als Alternative diskutierte Hinweistafel könnte jedoch, wenn sie mit der notwendigen Deutlichkeit formuliert wäre, die ganze Familie Wirths an den Pranger stellen. Das wäre nicht sinnvoll.« Sein Appell: »Die Gemeinde sollte insgesamt überlegen, wie sie künftig an die Opfer der NS-Zeit erinnern will.«

KONSEQUENZ Zumindest dieser Mahnung des Zentralratspräsidenten ist der Gemeinderat mit seinem jüngsten, nach wenig kontroverser Diskussion gefällten Beschluss vom Dienstagabend vergangener Woche gefolgt. Eine erste Konsequenz: Am Freitagmorgen brachte Bürgermeister Ehrhardt vor dem Kriegerdenkmal eine Tafel an, die den Namen von Eduard Wirths bis auf »Dr. Ed.« weitestgehend verdeckt. Der Text der Tafel fasst den Beschluss der Geroldshäuser Räte zusammen. Er formuliert unmissverständlich: »Der Name ›Dr. Eduard Wirths‹ hat auf dem Denkmal nicht zu suchen.«

Laut einem Bericht der »Main-Post« vom 15. März will Bürgermeister Ehrhardt den Namen Wirths’ über den jüngsten Gemeinderatsbeschluss hinaus jetzt doch »zeitnah« komplett entfernen lassen. Dazu sagt Zentralratspräsident Schuster: »Viel zu lange hat der Name des Kriegsverbrechers Eduard Wirths auf dem Gefallenendenkmal in Geroldshausen gestanden. Es ist sehr zu begrüßen, dass jetzt endlich Bewegung in die Sache kommt. Eine Entscheidung des Gemeinderats, den Namen vom Denkmal zu entfernen, wäre jetzt der einzig richtige Schritt.« Dieses Vorhaben des Bürgermeisters habe seine volle Unterstützung., so Schuster. »Darüber hinaus wäre es gut, wenn sich der Gemeinderat darüber Gedanken macht, wie die Gedenkkultur in Geroldshausen weiterentwickelt werden kann.«

Interessant bleibt also weiterhin, wie die Geroldshäuser das national und international zunehmend beachtete Problem ihrer Erinnerungskultur lösen werden. Ein weiterer Schritt ist bereits getan: Bürgermeister Ehrhardt hat mit dem Internationalen Auschwitz Komitee Kontakt aufgenommen.

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025