Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Haben eine Schwäche für überraschende Ausreißer: Philipp Lenhard und Dana von Suffrin Foto: Christoffer Leber

Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Der Historiker Philipp Lenhard und die Schriftstellerin Dana von Suffrin über den von ihnen gegründeten Jüdischen Buchklub, vergessene Klassiker und neue Impulse

von Luis Gruhler  09.09.2025 17:34 Uhr

Frau von Suffrin, Herr Lenhard, vor wenigen Wochen waren Sie erstmals mit der neuen Reihe »Der Jüdische Buchklub« im Literaturhaus München. Wie kam es zu dieser Konstellation?
Philipp Lenhard: Ich hatte schon länger diese Idee, außerhalb der Universität und im öffentlichen Raum über Bücher zur jüdischen Geschichte und Kultur zu sprechen. Es gibt verschiedene Vorbilder dafür. Natürlich das »Literarische Quartett«, dazu zum Beispiel auch die Fernsehsendung »Was liest du?«. Vor allem aber bin ich irgendwann zufällig auf den »Jüdischen Bücherschrank« gestoßen – eine Veranstaltungsreihe in der Anfangszeit des 1997 gegründeten Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur, die Michael Brenner gemeinsam mit Rachel Salamander in der alten Literaturhandlung in der Fürstenstraße ausgerichtet hatte. Da wäre ich gern dabei gewesen, dachte ich mir. Insofern schließt unser Jüdischer Buchklub gewissermaßen den Kreis, wenn auch unter völlig anderen Bedingungen und natürlich in einer anderen Generation. Als ich im Sommer 2024 aus Berkeley nach München zurückkam, um die Lehrstuhlvertretung zu übernehmen, erzählte ich Dana von der Idee. Und sie sagte zu meiner großen Freude direkt »Ja«.
Dana von Suffrin: Ich war von Anfang an von der Idee begeistert. Dieses Format ist zugleich einschränkend, weit gefasst und offen. Wir können alle möglichen Genres behandeln, und das ist für uns selbst schön, weil wir die Bücher entweder neu kennenlernen oder sie anders und ernsthafter lesen müssen, um darüber sprechen zu können.

Frau von Suffrin, Sie haben erst im vergangenen Jahr eine Anthologie mit 16 jüdischen Erzählungen herausgegeben. Aber was macht denn nun eine Erzählung zur jüdischen Erzählung? Und was macht einen Buchklub zum jüdischen Buchklub?
von Suffrin: Die Frage, was jüdische Literatur ist, wurde schon oft behandelt und bleibt schwer zu beantworten. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es so etwas wie jüdische Literatur in diesem allgemeinen Sinn gibt. Wir haben uns aber entschieden, diesen Begriff trotzdem zu verwenden. Wir sprechen über Autoren, die sich als jüdisch identifizieren und bei denen das auch innerhalb der Texte eine gewisse Rolle spielt.
Lenhard: Es bedeutet, dass wir über Bücher sprechen, in denen es – zumindest auch und im weitesten Sinne – um Jüdinnen und Juden geht. Wir achten natürlich auch bei unseren Gästen auf den jüdischen Bezug, was aber nicht unbedingt heißt, dass diese selbst Juden sein müssen.

Nach welchem Kriterium werden die Bücher ausgewählt?
von Suffrin: Es geht nicht einfach darum, die neuesten Veröffentlichungen der Verlage vorzustellen. Wir versuchen vielmehr, einen anderen und eigenen Kanon zu erarbeiten. Dazu gehören neben vergessenen Klassikern auch Titel aus der Backlist, die kommerziell nicht erfolgreich waren und randständig geblieben sind. Also Bücher, die nicht die Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie verdienen. Wir sind beide Historiker und daran interessiert, solche Bücher in den größeren gesellschaftlichen und historischen Kontext einzuordnen. Es soll aber auch Spaß machen und unterhalten. Es wird viel gelacht in unserem Buchklub.
Lenhard: Im Buchklub besprechen wir eine Mischung aus Belletristik und Sachbuch, außerdem haben wir immer eine Graphic Novel dabei. Und unser jeweiliger Gast schlägt auch selbst ein Buch vor. Es geht aber definitiv nicht darum, unsere persönlichen Lieblingsbücher vorzustellen. Dana und ich neigen beide dazu, eher erst einmal skeptisch zu sein und uns Sprache, Stil, Form und Inhalte sehr genau anzuschauen. Ich halte das für den größten Ausdruck der Wertschätzung.

Welche Bücher wurden bereits vorgestellt?
Lenhard: Für den ersten Buchklub im Mai hatten wir eine bunte Mischung. Die TV-Moderatorin Ruth Moschner war unser Premierengast, und sie brachte einen Klassiker mit: Stefan Zweigs »Die Welt von gestern«. Dann hatten wir Lana Lux’ Roman »Geordnete Verhältnisse«, als Vertreterin einer neuen Generation jüdischer Autorinnen, eine Graphic Novel über Theodor Herzl und als Sachbuch Natan Sznaiders »Die jüdische Wunde«, das sich mit Antisemitismus, Israel, jüdischer und deutscher Identität, Aufklärung und so weiter befasst. Gerade die Mischung macht unseren Buchklub so besonders.
von Suffrin: Uns ist es wichtig, auch komplexe und schwierige Bücher zu besprechen. Bei den ausgewählten Büchern handelt es sich um Titel, die man nicht einfach so in der U-Bahn liest. Sie fordern tiefere Auseinandersetzung. Ich finde es wichtig, dass auch das Publikum dabei herausgefordert wird. Viele Bücher werden einfach nur konsumiert oder dienen zur bloßen Identifikation für die Leser, aber Bücher haben letztlich viel mehr Funktionen.

Wie und wann geht es nun weiter mit dem Buchklub? Worauf dürfen wir uns freuen?
Lenhard: Der nächste Jüdische Buchklub findet am 12. November statt, wieder im Literaturhaus. Unser Gast wird die Schauspielerin und Sängerin Lina Larissa Strahl sein, die unter anderem als Darstellerin von Bibi Blocksberg bekannt geworden ist, sich aber etwa im Streit um Greta Thunbergs Anti-Israel-Engagement auch öffentlich zu Wort meldet. Genau wie Ruth Moschner ist Lina jemand, der Literatur liebt und sich kluge Gedanken über die Welt macht, aber dabei eigentlich nicht der naheliegende Gast für eine Literaturveranstaltung ist. Wir wollen diese Szene, in der immer dieselben Leute miteinander sprechen, auch ein bisschen aufbrechen und nach neuen Konstellationen suchen. Insofern freue ich mich sehr darauf.
von Suffrin: Welche Bücher wir besprechen werden, wird bald auf der Homepage des Literaturhauses bekannt gegeben. Bisher haben wir noch keine Auswahl getroffen, das entscheidet sich in den kommenden Tagen. Berücksichtigt werden eben nicht nur Neuerscheinungen, sondern alles, was uns in den Sinn kommt. Wir lassen uns selbst überraschen!

Das Gespräch führte Luis Gruhler.

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